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       # taz.de -- Geiseldrama-Gedenken in Bremen: Das Gedenkding von Huckelriede
       
       > Bremen will baulich ans Gladbecker Geiseldrama erinnern. Der Senat habe
       > es damit sogar erstaunlich eilig, teilt er zum 30. Jahrestag der Tat mit.
       > Einen Plan hat er aber nicht.
       
   IMG Bild: Tatort Busbahnhof Huckelriede: Hier soll es hin. Nur was?
       
       BREMEN taz | Bald bekommt Bremen ein neues Denkmal, oder was auch immer es
       sein wird. In Huckelriede, am Busbahnhof. Sehr bald sogar: „Wir wollen noch
       in diesem Jahr einen solchen Ort einweihen“, sagt André Städler, Sprecher
       der Senatskanzlei. Das ist flott, denn erst nachdem im März ein neuer
       Fernsehfilm – war es wirklich erst der siebte? – erneut einen Blick auf den
       Banküberfall von Gladbeck und das sich anschließende Geiseldrama geworfen
       hatte, war der Plan überhaupt aufgekommen.
       
       Der Beitrag hatte neben der üblichen Montage mit bedrohlichem Elektrosound
       unterlegter Originalaufnahmen – Material gibt es da ja reichlich –
       besonders viel Wert auf die Perspektive der Opfer des Verbrechens und der
       Hinterbliebenen der drei Getöteten gelegt. Wie allein gelassen sie sich
       damals schon fühlten – aber auch heute noch fühlen, war erst vor fünf und
       zehn Jahren auch schon Gegenstand der Jahrestagsberichterstattung gewesen.
       Aber diesmal hat es offenbar etwas ausgelöst.
       
       Seither haben Innensenator und Polizeipräsident Einzelgespräche mit
       denjenigen Betroffenen geführt, die das wollten – sieben von 32. Am Grab
       des erschossenen Emanuele de Giorgi im südostitalienischen Surbo wird heute
       bei einer Gedenkveranstaltung im Auftrag des Senats ein Kranz niedergelegt
       und ein Grußwort von Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) verlesen, und am
       Donnerstag gab es eine Veranstaltung auf dem Friedhof von
       Stuhr-Heiligenrode, zur Erinnerung an Silke Bischoff, die erschossen wurde,
       als die Polizei das Entführer-Auto schließlich stürmte.
       
       Den Anfang gemacht hatte die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft. Ihrer
       Forderung, der Senat möge „einen Erinnerungsort für die Opfer des
       Gladbecker Geiseldramas im Bereich des Busbahnhofs Huckelriede initiieren,
       um der Opfern angemessen zu gedenken“, haben sich nach und nach SPD, Grüne
       und Linksfraktion angeschlossen. Und bei der Plenarsitzung am 31. Mai haben
       auch die Wutbürger zugestimmt, die in Huckelriede dessen gedenken wollen,
       dass alles Schlimme nicht passiert wäre, wenn seinerzeit der finale
       Rettungsschuss erlaubt gewesen wäre.
       
       Erinnerungsort ist eines der erfolgreichsten und populärsten Konzepte der
       kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Und es ist hier klar
       der falsche Begriff. Denn was die Bürgerschaftsfraktionen laut Antrag
       wollen, ist eher ein Mahnmal oder Monument, was genau bleibt ungewiss, aber
       ganz sicher jedenfalls: ein handfestes Gedenkding.
       
       Unter Erinnerungsort hingegen, so hat es der Erfinder des Konzepts, Pierre
       Nora, seinerzeit definiert, ist „jederart bedeutsame Entität, ob materiell
       oder immateriell“, zu verstehen, die „zu einem symbolischen Element
       innerhalb des kommemorativen Erbes einer wie auch immer gearteten
       Gemeinschaft geworden ist“. Sprich: Das Geiseldrama von Gladbeck ist längst
       ein gutes Beispiel für einen solchen Erinnerungsort, der eben nicht nur aus
       dem Ereignis selbst, sondern aus der Summe der sich daran anschließenden
       Diskurse besteht, weil diese eine Funktion fürs Kollektiv haben. Und über
       das sagt ein Erinnerungsort etwas aus.
       
       Diese Dimension von Gladbeck hatte Christoph Schlingensief schon 1992 mit
       seinem Filmkunstwerk „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“
       freigelegt: Am Verbrechen, an dem 1988 die gesamte Gesellschaft von
       wohliger Angstlust durchschauert teilgenommen hatte, hat er eine Tendenz
       der deutschen Gesellschaft abgelesen, die, längst patent geworden, heute in
       voller Blüte steht.
       
       ## Moralisierende Medienfloskeln
       
       Zu den Versatzstücken, aus denen der Erinnerungsort Gladbeck besteht,
       gehören zwingend moralisierende Medienfloskeln bezüglich der damaligen
       Grenzüberscheitung der Medien, die sich freilich geändert hätten.
       Allerdings kommt auch der als Kritik camouflierte Voyeurismus auf seine
       Kosten, indem er seine Empörung mit damals grenzüberschreitend geernteten
       Material illustriert, durch die extensive Neu-, Neu-, Neuausstrahlung des
       Interviews mit Geiselnehmer D. beglaubigt.
       
       Oder, noch schöner: indem das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ dessen
       Kompagnon R. 30 Jahre danach noch einmal den Wunsch erfüllt, in die Medien
       zu kommen. Dort kann er deren Rolle problematisieren und beteuern, wie sehr
       ihn seine Tat noch heute reue. Also die Abfolge von Ereignissen, die ihn in
       die Medien brachte. Sie hatte am 16. August 1988 mit dem Überfall auf eine
       Filiale der Deutschen Bank begonnen und war 54 Stunden später mit einer
       Schießerei auf der A3 bei Bad Honnef zu Ende gegangen.
       
       Ein Erinnerungsort gehört zur symbolischen Ordnung. Die Opfer sind real. Es
       spricht wenig dagegen, den Betroffenen des Verbrechens eine Möglichkeit des
       Gedenkens zu verschaffen. Das damalige Versagen von Polizei und Staat und
       die Öffentlichkeit ihres Todes und Leidens rechtfertigt ein Mahnmal:
       Gladbeck, das sei eben „nicht nur irgendein Verbrechen“, stellt Rose
       Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innensenators klar. Jeden hätte es treffen
       können. Und „Es haben sich damals viele schuldig gemacht.“
       
       ## Unklarer Charakter
       
       Aber die Eile mit der das Projekt vorangetrieben werden soll, passt dazu
       nicht: Bis Jahresende – das ist mehr als sportlich. Dennoch gibt es nicht
       einmal einen Entwurf. Auch herrscht eine gewisse Unklarheit über den
       Charakter dieses Gedenkdings, denn „für so etwas gibt es keine Blaupause“,
       weiß Gerdts-Schiffler.
       
       Die Frage, ob man sich dann mit externen Fachleuten beraten hat,
       beantwortet Senatssprecher Städler negativ: „Wir haben dazu keine
       kulturhistorische Forschung in Auftrag gegeben.“ Und für einen Wettbewerb
       mit Jury – die bei Monumenten sonst sachkundig prüft, ob Formgebung und
       Platzierung dem Anlass angemessen sind – kann die Zeit nicht reichen, wenn
       das Ding doch inklusive Beiratsbefassung im Dezember schon am Busbahnhof
       Huckelriede stehen soll.
       
       Was geschehen ist, ist, dass Martina Höhns, früher Katholikensprecherin,
       jetzt Leiterin des Referats für Interkulturelles und -religiöses, mit
       Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser mal drüber geredet hat. Ergebnis: Das
       Gedenkding soll eher zurückhaltend ausfallen. Dann wird es auch
       preisgünstiger.
       
       ## Bei anderen Erinnerungsorten pressiert's nicht
       
       In Erinnerungsorten, um noch einmal auf die Theorie zurückzukommen, scheint
       kollektive Identität ihren Ausdruck zu finden und sich zu konstruieren. Das
       macht die Frage politisch bedeutsam, wo die Verwaltung Pläne priorisiert,
       einem Erinnerungsort zu materieller Präsenz zu verhelfen. Und wo nicht.
       Nach wie vor verschleppt Bremen den Bau des Mahnmals, das die Beteiligung
       bremischer Spediteure wie Kühne + Nagel am Raub jüdischen Eigentums im Zuge
       der sogenannten „Arisierung“ thematisiert. Dabei war die ganz sicher nicht
       irgendein Verbrechen, und groß ist die Zahl seiner Profiteure.
       
       Länger noch gefordert, und mit künstlerisch anspruchsvollen Entwürfen
       hinterlegt worden ist das Denkmal für Laya Condé und zahlreiche weitere
       Bremer Opfer der Brechmittelfolter. Nachdem er diese im Polizeigewahrsam
       erlitten hatte, war Condé 2005 gestorben – danach wurde die
       menschenrechtswidrige Praxis eingestellt. Ein solches Denkmal wäre heute
       lesbar als Bekenntnis gegen Rassismus und längst eingestandene,
       fehlgeleitete staatliche Gewalt.
       
       Aber: Deren Opfer können warten. Da pressiert’s nicht. Es sind offenbar,
       diese Hierarchisierung genau drückt sich in der Eile beim Gladbeck-Memorial
       aus, die falschen. Und – denn ausschließlich People of Color wurden der
       Brechmittelfolter unterzogen – es hätte ja auch nicht jeden treffen können.
       
       17 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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