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       # taz.de -- Urteile zum Wohnen mit Hartz-IV: Unfriede in den Hütten
       
       > Sozialgerichte in Bremen und Niedersachsen haben über Wohnkosten von
       > Arbeitslosen geurteilt. In Bremen wurden Obergrenzen zu niedrig
       > gerechnet.
       
   IMG Bild: Miete 950 Euro? Für Harzt-IV-EmpfängerInnen ist das meist zu hoch.
       
       Bremen taz | Erst sitzt er allein in der Wohnung. Frau und Kind sind
       ausgezogen, er bleibt zurück. Die 849 Euro an monatlicher Warmmiete muss
       der 51-Jährige nun selbst berappen. Dann verliert er auch noch seine Stelle
       im Online-Marketing. Es folgen Arbeitslosengeld, dann Hartz-IV. Die Miete
       ist dem Jobcenter in Hannover schließlich zu hoch, es gibt dem Mann eine
       Frist von sechs Monaten. Danach solle er umziehen.
       
       So oder so ähnlich läuft es für viele Erwerbslose, denen das Jobcenter
       wegen angeblich zu hoher Mieten Probleme macht. In zwei Entscheidungen
       haben sich das Sozialgericht Bremen und das Landessozialgericht
       Niedersachsen-Bremen nun mit den Wohnkosten von Hartz-IV-EmpfängerInnen
       befasst.
       
       In dem oben beschriebenen Fall gewährte das Landessozialgericht dem Mann
       nun in einem Eilverfahren weiteren Aufschub (AZ: [1][L 11 AS 561/18 B ER]).
       
       Grundsätzlich muss das Jobcenter zwar nicht die volle Miete von
       Hartz-IV-EmpfängerInnen tragen. In seinem Fall aber lief es etwas anders:
       Nach Ablauf der Frist hatte der Mann eine neue Arbeitsstelle gefunden und
       konnte sich die Wohnung wieder leisten. Allerdings wurde ihm innerhalb der
       Probezeit nach fünf Monaten wieder gekündigt. Nun wollte das Jobcenter nur
       noch die Kosten einer „angemessenen Wohnung“ übernehmen, weil es hierauf
       schon einmal hingewiesen habe. Demgegenüber sah sich der Mann als
       „Neufall“, was eine neue Aufforderung und eine neue Frist erfordere und
       verwies auf den angespannten Wohnungsmarkt in Hannover.
       
       Das Landessozialgericht räumte ihm nun eine weitere Frist von drei Monaten
       ein. Nach der kurzfristigen Kündigung sei ein weiterer zeitlicher Vorlauf
       nötig, um die Kosten etwa durch Umzug oder Untervermietung zu senken.
       
       ## Bremer Gericht kippt Miet-Höchstwerte
       
       Weitreichender ist ein Urteil des Sozialgerichts in Bremen, das seit Kurzem
       schriftlich vorliegt ([2][AZ: S 28 AS 1213/16]). Darin erklärte das Gericht
       die in Bremen bis 2017 geltenden Richtwerte für Mieten für nicht
       realistisch. Das Jobcenter muss deshalb einer Mutter, die mit ihren zwei
       Kindern in Bremen-Blumenthal lebt, nun Miete nachzahlen.
       
       Blumenthal ist ein armer Stadtteil im etwas abseits liegenden nördlichen
       Teil Bremens. Rund 650 Euro bezahlte die Frau dort Anfang 2016 an Kaltmiete
       – zu hoch, wie das Jobcenter Bremen zunächst meinte. Denn laut einer
       Verwaltungsanweisung der Sozialsenatorin lag der damalige Richtwert für
       einen Dreipersonenhaushalt bei lediglich 507 Euro Miete im Monat. Für
       einzelne teurere Wohnlagen, etwa im beliebten Bremer „Viertel“, wären die
       Richtwerte um 10 bis 20 Prozent höher. Nicht aber für Blumenthal.
       
       Aufgestellt wurden diese Richtlinien in Bremen, weil hier ein Mietspiegel
       fehlt. Laut Gesetz müssen Hartz-IV-EmpfängerInnen die „angemessenen Kosten“
       für ihre Unterkunft bezahlt werden. Was aber „angemessen“ ist, darum wird
       viel gestritten. Einfach die Beträge zu zahlen, die bundesweit im
       Wohngeld-Gesetz festgelegt sind, ist vielen Gemeinde zu hoch – hier
       orientieren sich die Höchstbeträge nämlich an einem bundesweiten
       Durchschnitt. „Darin sind auch Metropolen wie München oder Hamburg“,
       erklärte Sozialressort-Sprecher Bernd Schneider. „Das würde dem hiesigen
       Wohnmarkt nicht entsprechen.“ Für einen dreiköpfigen Haushalt stehen etwa
       626 Euro in der Wohngeldtabelle.
       
       In der eigenen „Mietstruktur-Analyse“, die Bremen von der Firma „Analyse
       und Konzepte“ hatte erstellen lassen, waren die Werte niedriger. Diese
       „Ermittlung der Referenzmieten“ ist laut Gericht allerdings „nicht auf
       Grund eines schlüssigen Konzepts erfolgt“.
       
       Denn die Firma „Analyse und Konzepte“ habe laut Gericht überwiegend Mieten
       von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erfasst, Mieten kleinerer
       Vermieter seien nicht ausreichend repräsentiert worden. Auch konzentrierten
       sich die erhobenen Mieten ganz überwiegend auf wenige Stadtteile – vor
       allem aus der Vahr, Osterholz, Vegesack, Obervieland, Gröpelingen und
       Blumenthal. Allesamt Stadtteile mit einer ärmeren Bevölkerungsstruktur.
       Wohnungen aus innenstadtnahen Stadtteilen waren kaum vertreten. Zudem seien
       nur weniger Neuvermietungen und zu viele alte Bestandsmieten Teil der
       Erhebung gewesen.
       
       ## Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung
       
       Mangels eigener Ermittlungsmöglichkeiten hat das Gericht als Richtwert für
       die Miete der Klägerin deshalb die jeweils geltenden Werte aus dem
       Wohngeldgesetz zu Grunde gelegt, zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von
       zehn Prozent. Der Entscheidung kommt laut Gericht eine „grundsätzliche
       Bedeutung“ zu, da sich eine „erhebliche Anzahl an Streitigkeiten vor dem
       Sozialgericht Bremen“ um diese Mietobergrenzen drehe – etwa 200 Klagefälle
       sind betroffen.
       
       Der Anwalt der Klägerin, Fabian Rust, erklärte: „Leistungsberechtigte haben
       einen Anspruch darauf, dass sie menschenwürdig wohnen können.“ In Bremen
       sei nun „über sieben Jahre eine rechtswidrige Verwaltungsanweisung
       umgesetzt worden“. Rust stellt auch das neue Konzept infrage, das in Bremen
       seit 2017 gilt und durch die Hamburger Firma „F+B“ erstellt wurde. Auch
       hierzu seien bereits einige Klageverfahren anhängig.
       
       Bernd Schneider, Sprecher der Bremer Sozialsenatorin, erklärte, dass das
       Ressort diese Ansicht nicht teilt. Das Jobcenter Bremen hat als Beklagte
       Berufung eingelegt. Obwohl sich der Streit um eine alte
       Verwaltungsanordnung drehe, wolle man im Berufungsverfahren vor dem
       Landessozialgericht in Celle erreichen, dass das Gericht die Kriterien
       dafür klar definiert, was ein „schlüssiges Konzept“ zur Ermittlung der
       Mieten sei.
       
       Konsequenzen hat das Urteil laut Schneider nur in den Fällen, in denen
       Hartz-IV-EmpfängerInnen gegen ihre damaligen Bescheide geklagt hatten.
       
       21 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=4&ved=2ahUKEwjqt_mSpP7cAhWO_aQKHdFoBkAQFjADegQIBxAC&url=https%3A%2F%2Fwww.landessozialgericht.niedersachsen.de%2Fdownload%2F134847&usg=AOvVaw3gSVHBnZncgENVGbGhRjpV
   DIR [2] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=8&ved=2ahUKEwih9pC4pP7cAhWMCOwKHS9iBbgQFjAHegQIAxAC&url=https%3A%2F%2Fwww.sozialgericht-bremen.de%2Fsixcms%2Fmedia.php%2F13%2FS_28_AS_1213_16_URTEIL_00000068123504Anonym.pdf&usg=AOvVaw0JLfP-GlPYXtQVfezq7wrw
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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