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       # taz.de -- Comeback des deutschen Profiradsports: Return of the Resterampe
       
       > Nach Jahren der Pause findet nun wieder eine Deutschland-Tour der
       > Radprofis statt. Das unterstreicht einen Trend in der Szene.
       
   IMG Bild: Bei der Tour de France ging André Greipel leer aus; vielleicht läuft's in Deutschland besser (Archivbild)
       
       Die Stimmung im deutschen Profiradsport am Ende des Jahres 2008 war
       gedrückt. Die einstigen Helden des Teams Telekom um Jan Ullrich, Erik
       Zabel, Udo Bölts und Rolf Aldag waren im Dopingsumpf untergegangen. Der
       Nürtinger Radprofi Stefan Schumacher, im Sommer zuvor noch Etappensieger
       bei der Tour de France und ein paar Tage Träger des Gelben Trikots, wurde
       im Oktober mit dem Epo-Präparat Cera erwischt, und sein Team Gerolsteiner
       gab mangels neuer Sponsoren den Rückzug aus dem Profisport bekannt und
       schickte das gesamte Material der Mannschaft – von der Gesäßcreme bis zum
       Reisebus – zur Versteigerung in Herrenberg-Gültstein auf die Resterampe.
       Gleichzeitig verkündete auch noch die ARD, wegen der vielen Dopingfälle im
       Jahre 2009 nicht mehr von der Tour de France oder anderen Radrennen live
       berichten zu wollen.
       
       In dem Sog läutete dann auch das Totenglöcklein der 1999 wieder ins Leben
       gerufenen Deutschland-Tour. Kein TV, keine Sponsoren, kein Rennen – und das
       nach sehr erfolgreichen Jahren mit Höhepunkten wie einer Zielankunft 2005
       auf dem 2.684 Meter hoch gelegenen Parkplatz des Rettenbachferners oberhalb
       von Sölden in Tirol. Ein Spektakel ganz ähnlich wie Alpe d’Huez, nur noch
       härter. Nach den ganzen Tiefschlägen konnte sich kein Mensch vorstellen,
       dass sich der Profiradsport in Deutschland je wieder erholen würde.
       
       Jetzt ist die Deutschland-Tour wieder da. Am 23. August startet sie in
       Koblenz nach zehn Jahren Pause. Es ist zunächst nur eine sehr bescheidene
       Veranstaltung: vier Ertappen über Bonn, Trier, Merzig und Lorsch und Finale
       am Sonntag in Stuttgart. In den Zeiten zwischen 1999 und 2008 waren es bis
       zu neun Etappen gewesen, aber dafür hat die 33. Auflage einer
       Deutschland-Rundfahrt seit 1911 jetzt einen Partner, der über eine große
       Reputation und wohl auch einen langen Atem verfügt. Zumindest hat man sich
       schon mal für zehn Jahre festgelegt, mit einer Option auf weitere zehn
       Jahre.
       
       Hinter der neuen Deutschland-Tour steht die französische A.S.O, die Amaury
       Sport Organisation, die die Frankreich-Rundfahrt, aber auch Rennen wie zum
       Beispiel Paris–Roubaix veranstaltet und vermarktet. Die Franzosen haben
       sich mit einem deutschen Partner – der „Gesellschaft zur Förderung des
       Radsports“ – zum Ziel gesetzt, der Rennszene im Land wieder Leben
       einzuhauchen. Aber das sicher nicht aus reiner Freude am Radsport, sondern
       weil man Marktchancen sieht.
       
       ## Neue deutsche Profi-Szene seit 2008
       
       Schließlich hat sich seit 2008 eine neue Szene erfolgreicher Profis in
       Deutschland etabliert, eine Szene, die bisher durch Erfolge statt Eskapaden
       aufgefallen ist. Namen wie Marcel Kittel, André Greipel oder Tony Martin
       stehen für große Siege, auch bei der Tour de France. Die Routiniers werden
       bis auf den verletzten Martin alle an den Start gehen. Dazu kommt ein
       heimisches Weltklasse-Team.
       
       Aber bei Bora-hansgrohe aus Oberbayern wird dann auch klar, dass die
       Deutschland-Tour noch eine kleine Veranstaltung ist. Emanuel Buchmann,
       Deutschlands derzeit wohl bester Klassementfahrer, wird für die Bayern als
       Kapitän bei der am kommenden Samstag beginnenden Spanien-Rundfahrt an den
       Start gehen. Deswegen gilt Geraint Thomas, der Tour-de-France-Sieger aus
       Wales vom britischen Team Sky, als der große Favorit.
       
       Es ist also noch ein sehr zartes Pflänzchen, das da von Donnerstag an über
       vier Etappen und 738 Kilometer durch vier Bundesländer zu wachsen beginnen
       soll. 22 Mannschaften mit jeweils sechs Profis, insgesamt 132 Fahrer,
       werden das Rennen aufnehmen. Darunter gibt es natürlich etliche etablierte
       Berufsfahrer, die sich zeigen wollen. Allen voran die Sprinter Marcel
       Kittel und André Greipel, die beim Höhepunkt Tour de France leer ausgingen.
       Aber auch der junge Max Walscheid will zeigen, dass er ein großer Sprinter
       werden kann. Und dann gibt es noch Maximilian Schachmann. Der 24-jährige
       Berliner hat im Frühjahr eine Etappe beim Giro d’Italia gewonnen und gilt
       als große Hoffnung für Etappenrennen.
       
       Über die Zukunft der neuen Deutschland-Tour entscheiden aber vor allem die
       Radfans. Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF übertragen die
       letzten beiden Rennstunden live und hoffen auf bis zu eine Million
       Zuschauer. Auch Eurosport berichtet. Die Einschaltquoten sind ambitioniert,
       aber sollten sie erreicht werden, dürfte die Deutschland-Tour kräftig
       wachsen – und 2008 wäre dann endgültig Geschichte.
       
       21 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Löhle
       
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