URI: 
       # taz.de -- Serie Berliner Luft: Brutal benebelt
       
       > Früher mussten Sportler zum Höhentraining in die Berge, heute kann man in
       > Kreuzberg in die Höhenkammer gehen. Wenn ein Raum in Berlin zum
       > Kilimandscharo wird.
       
   IMG Bild: Höhentraining in Kreuzberg
       
       Der Weg zu 4.500 Metern Höhe führt durch einen Hinterhof im Bergmannkiez.
       Vorbei an ausrangierten Eistüten-Werbeaufstellern in Gold und Silber, eine
       Treppe hoch in einem Hausflur mit unverputzten Mauern. Die Art bemüht
       runtergerockte Coolness, wo sonst irgendwelche Start-ups residieren. Durch
       eine Tür ins Fitnessstudio Black Sheep Athletcis.
       
       Julian Jost und sein Kumpel Johannes ackern auf Laufbändern im Höhenraum,
       Johannes mit 5-Kilo-Rucksack auf dem Rücken. Hinter ihnen zeigt eine
       Fototapete Berge im Nebel, einen hölzernen Wanderweg. Sehnsuchtsorte.
       
       Die zwei auf dem Laufband atmen schwer. Johannes, der Erfahrene, hat das
       Kommando. „Drei, zwei, eins.“ Julian, zum ersten Mal im Höhenraum, spricht
       kaum noch. Folgt nur. Die Laufbänder laufen auf 3 Stundenkilometer. Julian,
       atemlos: „Man merkt es schon extrem. Du bist wie benebelt.“
       
       In drei Wochen werden die beiden Freunde in einer Gruppe auf den
       Kilimandscharo steigen. Früher fuhren Mannschaften und Einzelsportler für
       Höhentraining in die Berge. Heute gibt es Zentren und private Anbieter wie
       Fitnessstudios, die das Schuften auf dem Berg auch im Berliner Flachland
       möglich machen. Hypoxietraining heißt das. In Räumen mit künstlich
       sauerstoffarmer Luft, die eine Höhe von 1.800Metern, 2.000 Metern oder
       auch 4.000 Metern simulieren.
       
       ## Eingeleiteter Stickstoff
       
       Der Höhenraum bei Black Sheep Athletics simuliert gerade 4.500 Meter. Eine
       ordentliche Höhe, fast Maximum. Bis 5.000 Meter kann sich der menschliche
       Körper langfristig akklimatisieren. Black Sheep erreicht seine Simulation
       nach eigenen Angaben durch Stickstoff, der kontrolliert in den Raum
       eingeleitet wird. Der Sauerstoffanteil in der Luft fällt von den üblichen
       20,8 Prozent ab; bei 5.000 Metern etwa sind es 10,5 Prozent.
       
       Der Unterschied ist sofort spürbar. Die Lungen ringen um Sauerstoff, aber
       es kommt immer zu wenig hinein. Der Körper reagiert mit Kopfschmerzen,
       Schwindel, Konzentrationsmangel.
       
       Als Johannes später etwas auf einem Blatt Papier notiert, wird er sich
       fünfmal verschreiben. Er lacht. Die Gespräche hier drin sind immer ein
       bisschen wirr und mühsam. Eine Mischung aus angetrunken und high. Benebelt,
       wie Julian sagt, trifft es. Und Sport in diesem Klima verlangt den beiden
       alles ab.
       
       „Drei Minuten noch“, kommandiert Johannes. Das gleichmäßige Stampfen ihrer
       Füße auf dem Laufband klingt monoton, das Gerät quietscht. „Es ist brutal“,
       sagt Johannes später. „Als ich allein war, war es noch schwieriger. Zu
       zweit ist es leichter. Du musst dich bei allem irrsinnig konzentrieren.“
       
       ## Effekt ist umstritten
       
       Bergsteiger und Ausdauersportler sind die Hauptnutzer von Höhentraining.
       Langstreckenläufer, Radfahrer, Schwimmer etwa. Der Effekt für sie ist
       allerdings seit Jahren umstritten. „Es besteht kein Zweifel, dass Training
       in Höhe notwendig ist für die Leistungsfähigkeit in der Höhe“, sagt Dieter
       Böning, Professor für Physiologie an der Charité und Autor mehrerer Studien
       zu Höhentraining. „Fraglich ist, ob es für die Leistungsfähigkeit im
       Tiefland etwas bringt. Ob es mehr bringt als andere Trainingsformen.“
       
       Anders gesagt: Für Bergsteiger ist Hypoxietraining nachweisbar wichtig. Für
       Tiefland-Athleten ist es umstritten. „Um Höhentraining ranken sich viele
       Mythen“, so Böning. „Es ist allgemein üblich geworden, dieses Training zu
       machen. Inzwischen wissen aber auch viele, dass die Effekte angezweifelt
       werden.“
       
       Hypoxietraining basiert auf einer simplen Gleichung: Mehr Blutvolumen
       erhöht die Leistungsfähigkeit. In den Bergen kommt mehr Blutvolumen durch
       das körpereigene Hormon Epo, das die Bildung roter Blutkörperchen
       stimuliert und in künstlicher Form bei Doping verwendet wird.
       
       Bei Training im Flachland steigt das Blutvolumen auch, teils durch mehr
       Wasser im Blut, teils durch mehr rote Blutkörperchen. Höhentraining bringt
       also etwas; fraglich ist, ob es mehr bringt als normales Training in Wald
       und Wiese.
       
       ## Das Ziel: der Kilimandscharo
       
       Sie schalten das Laufband schneller, Initiative von Johannes. Er, der
       früher für eine Solarfirma in Tansania arbeitete, ist der sportlich
       Ambitioniertere der beiden. Dreimal die Woche macht er Crossfit; mit der
       Berg-Vorbereitung hat er ohne Julian angefangen. Der Kilimandscharo ist
       seit Langem auf seiner Liste. „Ich nehme im Gegensatz zu ihm die
       Vorbereitung ernst“, scherzt er über den Freund.
       
       Julian hat keine Erfahrung mit Höhentraining, war aber dafür schon mal auf
       einer Tour im Himalaja unterwegs. Wo die Teilnehmer allerdings im Jeep
       durch die Gegend gekarrt wurden. Er hat Schwierigkeiten hier in der Kammer.
       
       „Noch neunzig Sekunden.“ Sie haben aufgehört zu reden, sie atmen nur noch.
       Das Laufband läuft mittlerweile mit 5,5 Stundenkilometern. Johannes’
       Anweisungen sind kurz und pragmatisch geworden. „Letzte Minute, komm!“ Er
       nimmt Tempo auf.
       
       Julian trabt mühsam, schleppt sich über die letzte Minute. Dann aus. Sie
       klatschen ab, beugen sich vor, ringen nach Luft. Zehn Minuten lockeres
       Training, zehn Minuten hartes Training, zehn Minuten Pause: Das sind ihre
       Intervalle. Zwei Stunden insgesamt.
       
       ## „Nicht die Coca-Cola-Route“
       
       Der Kilimandscharo wird auch keine Rücksicht nehmen. Obwohl er natürlich
       längst eine Art Disney-Vergnügen ist, wo sich massenhaft unerfahrene
       Touristen von Einheimischen für teures Geld hochschleppen lassen. Johannes
       und Julian wissen das. „Na ja, wir gucken ja auch das Brandenburger Tor an,
       obwohl es touristisch ist“, sagt Tim. Und, zur Sicherheit: „Wir nehmen
       nicht die Coca-Cola-Route.“ Nicht die komfortabelste also, sondern eine
       anspruchsvollere; sechs Tage soll sie dauern. Und noch ein paar Mal
       Hypoxietraining.
       
       Julian Jost kommt langsam wieder zu Atem. „Es war ganz okay eigentlich“,
       bilanziert er. „Sehr anstrengend, aber diese Cooling Period macht es
       besser.“ Der Freund räumt ein, dass er sich anfangs auch schwertat: „Beim
       ersten Mal hier bin ich fast ohnmächtig geworden. Beim zweiten Mal hing ich
       in den Seilen wie du. Jetzt geht es viel besser, das Training hilft richtig
       gut.“
       
       Es reizt sie, hier an ihre Grenzen gehen zu können. Der normale Sport gibt
       das nicht. Jedenfalls nicht um die Ecke hinter Eistüten.
       
       21 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
       ## TAGS
       
   DIR Berliner Luft
   DIR Extremsport
   DIR Bergsteigen
   DIR Kreuzberg
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Luftverschmutzung
   DIR Alkohol
   DIR Doping
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Russische Behörde wieder zugelassen: Doping? Alles außer Kontrolle
       
       Die Welt-Anti-Doping-Agentur lässt die russische Kontrollbehörde Rusada
       wieder zu. Damit setzt sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
       
   DIR Olympiasieger Christian Schenk: Talfahrt eines Helden
       
       Christian Schenk gewinnt 1988 Olympiagold im Zehnkampf. Dann setzt er zum
       Sprung in ein neues Leben an – und landet in der Psychiatrie.
       
   DIR Berliner Luft: Immer der Nase nach
       
       Wo Potsdamer Straße und Hauptstraße in Schöneberg aufeinandertreffen, liegt
       einer der am stärksten luftverschmutzten Orte der Stadt.
       
   DIR Kultschnaps aus Berlin: Smells Like Teen Spirit
       
       Mit dem Pfefferminzlikör „Berliner Luft“ haben sich schon DDR-Funktionäre
       besoffen. Vor der Pleite gerettet hat den Hersteller das Berliner
       Party-Publikum.
       
   DIR Radrennklassiker Giro d'Italia: Nach Doping wird nicht gefragt
       
       Der Giro d’Italia ist das Rennen des Volkes. Tausende radeln den Profis
       hinterher. Und manch Freizeitsportler weiß ganz genau, wie Epo wirkt.