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       # taz.de -- Gedenken an Prager Frühling: Schimpf und Schande für Babiš
       
       > Am 50. Jahrestag des Prager Frühlings machen viele Tschechen ihrem Unmut
       > über den Regierungschef Luft. Denn der war ein Stasi-Spitzel.
       
   IMG Bild: Tschechiens Premier musste sich viel Kritik von Demonstranten anhören
       
       Prag taz | In lautstarkem Protest endete am Dienstag das traditionelle
       Gedenken der Niederschlagung des Prager Frühlings vor dem historischen
       Gebäude des Tschechischen Rundfunks, wo die Prager Neustadt auf die
       Königlichen Weinberge trifft. Jedes Jahr am 21. August ist eine
       Kranzniederlegung mit anschließender Rede ein Pflichttermin für jeden
       Regierungschef.
       
       Was sonst eine würdige und tragende Prozession zu trauriger Marschmusik
       ist, wurde für Ministerpräsident Andrej Babiš zum Spießrutenlauf im
       Pfeifkonzert: Sobald die hagere Figur des 63-jährigen vor den Toren des
       Rundfunkgebäudes auftauchte, erhob sich ohrenbetäubendes Geschrei und der
       laute Ruf: „Hanba!“ (Schande) Einige Hunderte Demonstranten hatten den
       Gedenkakt für eine lautstarke Demonstration gegen Babiš genutzt.
       
       Als Mitläufer des „Normalisierungsregimes“, das mit dem Einmarsch im August
       1968 installiert wurde, hatte sich Babiš – Deckname Bureš – der
       tschechoslowakischen Staatssicherheit angedient. Dass er heute bei
       Umfragewerten von um die 30 Prozent, die Regierungsgeschäfte leitet und
       [1][nach dem Motto „den Staat wie eine Firma führen“ Kontrolle über die
       Geschicke Tschechiens hat], können viele Tschechen nicht verkraften.
       
       Besonders in Prag, wo sich Babiš die Sympathien der urbanen Mittelklasse
       verspielt hat, stand das Gedenken an den Einmarsch vor 50 Jahren im Zeichen
       des Protests gegen ihn. Babiš stellte sich der Herausforderung, legte
       seinen Kranz nieder, und nahm sie dann an: Nach dieser Aktion würden seine
       Präferenzen wieder steigen, knurrte Babiš, nachdem seine Rede im Getöse der
       Demonstration untergegangen war.
       
       ## Rote Unterhosen geflaggt
       
       Anderswo protestierte man leiser. Nicht wenige Tschechen folgten zum
       Beispiel einem Aufruf in sozialen Netzwerken, vor ihren Häusern und auf
       ihren Balkonen anstelle der traditionellen Landesfarben rote Unterhosen zu
       flaggen. Die rote Unterhose ist zu einem Symbol gegen Präsidenten Miloš
       Zeman geworden, nachdem Prager Aktionskünstler vor zwei Jahren die
       präsidentielle Standarte auf der Prager Burg, gegen eine riesige rote
       Unterhose austauschten. Viele Tschechen betrachten die Weigerung des
       Präsidenten, anlässlich des 50. Jahrestags der Besatzung eine Ansprache zu
       halten, als Affront.
       
       Jeder aber gedachte auf seine Art des 21. 8. 1968, der jede Familie des
       Landes getroffen hat. Auf Ausstellungen, Konzerten oder
       Diskussionsveranstaltungen, unter anderem [2][mit dem russischen
       Ex-Dissidenten Pawel Litwinow], war es für viele vor allem ein Tag der
       Erinnerung. Die Älteren dachten an die ersten Stunden, als die Panzer ins
       Land rollten. Jüngere lauschten den Erzählungen von Zeitzeugen, ob am
       heimischen Ess- oder draußen am Kneipentisch.
       
       Andere teilten Fotos oder Videos aus der Zeit in den sozialen Netzwerken.
       Das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen trug der
       tschechoslowakischen Bedeutung des Jubiläums Rechnung und reagierte auf
       das Schweigen des Präsidenten: Es übertrug die Rede des Oberhaupts des
       einstigen Bruderstaats, Andrej Kiska.
       
       21 Aug 2018
       
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       ## AUTOREN
       
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