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       # taz.de -- Theater bei den Salzburger Festspielen: Der lange Marsch wider die Ironie
       
       > Ulrich Rasche inszeniert „Die Perser“ bei den Salzburger Festspielen als
       > Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.
       
   IMG Bild: Katja Bürkle (li) und Valery Tscheplanowa (re) sprechen die Weisheiten des persischen Ältestenrats, Patrycia Ziolkowska sind die Klagen Atossas zugeordnet
       
       Das Theater ist eine Wortmühle. Und die Welt eine Scheibe, genauer gesagt
       zwei. Ulrich Rasche hat für „Die Perser“ von Aischylos bei den Salzburger
       Festspielen gleich zwei Drehbühnen hintereinander installiert, in Serie
       geschaltet, wenn man so will. Sie überbrücken 2.500 Kilometer und 2.500
       Jahre. Die Apparatur presst sich dominant ins Bühnenportal und den vorderen
       Teil des Zuschauerraums, als würde sie jeden Moment die stuckverzierte
       Puppenstube des Salzburger Landestheater zum Bersten bringen.
       
       Es geht um Krieg, die Schlacht von Salamis (479 v. Chr.), in der
       listenreiche Griechen der damaligen persischen Hegemonialmacht eine
       vernichtende Niederlage zufügten, und um Europa. Letzteres ist das, wo die
       anderen nicht hingehören. Darin ist sich der weltweit mutmaßlich älteste
       überlieferte Dramentext mit der Gegenwart ziemlich einig.
       
       Der Universalismus, den der Kontinent als imaginierte geistige und
       irgendwann dann auch politische Einheit zu seiner unique selling
       proposition entdeckt hat, beruht grundsätzlich auf Ausschluss. Auch sein
       bestes und folgenreichstes Projekt, die antike Demokratie, kommt nicht aus
       ohne Sklaven, rechtlose Fremde und aufopfernde Frauen. Das Theater wird für
       alles und jeden zum Distributionsmodus, der zeigt, wo er/sie/es hingehören.
       Das ist grundsätzlich nicht dort, wo die Rede davon ist.
       
       ## Das Grausame hinter dem Vorhang
       
       Die Distanz zwischen dem gesprochenen Wort und den Dingen und Handlungen,
       die Abwendung von dem, worauf es referiert, wird zu seinem konstituierenden
       Moment. Das Augenausstechen und Halsabschneiden hat ausschließlich hinter
       dem Vorhang stattzufinden. Immer, wenn es „nah dran“ sein wollte, hat sich
       das Theater klein gemacht.
       
       Die vordere Drehbühne wird in Rasches Arbeit zum Teller, der die Welt
       bedeutet, oder es zumindest glaubt. Wo um Himmels willen dieses Athen
       liege, fragt hier Atossa, die Königsmutter des sich und sein Land gerade
       ruinierenden Feldherrn Xerxes in der tausende Kilometer entfernten
       Hauptstadt des persischen Weltreichtums.
       
       Drei Frauenfiguren räsonieren über das, was sie vom fernen Krieg
       nachträglich gehört oder im Traum vorausgeahnt haben. Rasche legt ihnen
       alle reflektierenden Textpassagen von Aischylos in den Mund: Katja Bürkle
       und Valery Tscheplanowa sprechen die Weisheiten des persischen
       Ältestenrats, Patrycia Ziolkowska sind die Klagen Atossas zugeordnet.
       
       Männer führen Krieg, Frauen partizipieren ungefragt an den Gesamtfolgen. So
       ist bis zum Einstimmen in den Schlussjammer durch den mit schwarzem
       Kunstblut verschmierten Xerxes (Johannes Nussbaum) erst mal Schluss mit
       Mansplaining. 15 starke Recken bleiben auf den hinteren Bühnenteller
       verbannt, auf dem sie direkt beleuchtet oder in der Videoprojektion eines
       halbdurchlässigen Vorhangs den realkinematografischen Widerschein des
       Gesagten skizzieren.
       
       ## Das Theater ist Musik
       
       Das Wort entsteht im Gehen auf der unablässig bewegten Spielfläche. Die
       antike Hierarchie stellte das Drama und die Musik ob ihrer vermeintlichen
       Immaterialität über jene Künste, die wie etwa die Architektur im Dreck
       wühlen.
       
       Hier binden Rotation und Hydraulik das Theater, als „Medium“ betrachtet
       ohnehin ein Anachronismus, an die Relikte des Maschinenzeitalters. Theater
       ist ein Arbeitsprozess, der Licht, die Abwärme der Körper und die
       Schallwellen des Sprechens und der Musik absondert.
       
       Das Theater selbst ist Musik. Statt innere und äußere Bilder zu evozieren,
       nimmt dieses Wortmühlentheater die von ihm geriebenen Partikel in ihren
       musikalischen Qualitäten wahr, das treibt die Sinnsuche bisweilen weiter,
       als die gute alte Hermeneutik mit dem Wiederfinden des eigenen Vorurteils
       in der Textvorlage es je vermochte. Wie reagieren Körper, wenn Sätze sie
       durchdringen, die weit über Alltagserfahrungen hinausführen?
       
       ## Von Worten umschlungen
       
       Pathos wird im musikalischen Kontext wieder sprechbar, vielleicht sogar,
       ohne es zu affirmieren. Das freute leider auch konservative Kritiker, die
       in dieser Aufführung schon den Paradigmenwechsel von der postmodernen
       Ironie hin zu einem Theatertheater sehen wollen, das sich im hohen Stil dem
       Allgemeinmenschlichen weiht, statt Gesellschaftliches zu erhellen. Müssen
       wir wieder die Kerzen anzünden, ergriffen von einem Theater der
       Eigentlichkeit?
       
       Das nicht, aber Rasches Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
       birgt auch Gefahren. Sie neigt dazu, die Ungeheuerlichkeit, die sie hinter
       den Buchstaben gerade entdeckt hat, im Gesamtsound der begleitenden
       Minimal-Music-Combo wieder zu ersäufen.
       
       Ein Rezensent wähnte sich umschlungen im Theater-Rave. Das trügt. Die
       Tragödie beginnt erst, wenn ihr Protagonist aus dem Wohlgefühl der
       kollektiven Drogeneinnahme herausfällt und sich schmerzlich als Individuum
       wahrnimmt.
       
       22 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Mattheiß
       
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