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       # taz.de -- Sozialleistungen in den Niederlanden: Unangemessene Kleidung? Strafe!
       
       > In den Niederlanden werden Joblose bestraft, wenn ihr Äußeres eine
       > Anstellung verhindert. Die Höhe der Buße setzen Sozialarbeiter*innen
       > fest.
       
   IMG Bild: Ausreichend zugeknöpft ist diese Bewerberin – aber riecht sie auch gut?
       
       „Ist das sommerlich oder schon sexuelle Belästigung?“, [1][fragt sich
       Twitter-Nutzerin Lissy täglich] bei ihrer Outfitwahl angesichts der
       aktuellen Hitzewelle über Europa. Die über 1.300 Likes, die ihr Tweet
       bisher bekommen hat, zeigen, dass sie mit dieser Frage nicht alleine ist.
       Welche Kleidung ist ok und welche trotz tropischer Temperaturen nicht? Was
       enstpricht [2][einem sogenannten Business-Knigge] und dürfen [3][Männer
       etwa nicht mal kurze Hosen tragen]? Wer Zeit und Lust hat, kann sich zu
       diesem Thema die verschiedensten Meinungen und Tipps ergoogeln.
       
       Ein ziemlich genaues Bild über ein angemessenes äußeres Erscheinungbild
       müssen Sozialarbeiter*innen in den Niederlanden haben – und zwar über den
       Sommer hinaus. Vor drei Jahren wurde dort [4][das Gesetz zu
       Sozialleistungen] überarbeitet. Dabei kamen vor allem viele Einschränkungen
       für die Empfänger*innen der Leistungen dazu.
       
       Eine der damals neu eingeführten Regelungen sieht Geldstrafen vor, falls
       Kleidung, Körperpflege oder Verhalten dazu führen könnten, dass eine
       arbeitslose Person einen Job nicht bekommt. Dabei zählt allein die
       Einschätzung des oder der zuständigen Sozialarbeiter*in. Diese*r kann dann
       darüber entscheiden, wie hoch die Geldstrafe ist (bis zu mehrere hundert
       Euro) und für wie viele Monate sie fällig ist.
       
       Wie oft diese Regelung bereits zu Sanktionen geführt hat, ist bislang noch
       nicht bekannt. Dafür haben zwei Soziologinnen herausgefunden, dass die
       Geldstrafen willkürlich und nach geschlechtsspezifischen Rollenklischees
       verhängt werden. [5][Im Rahmen einer Studie interviewten die Forscherinnen]
       18 Sozialarbeiter*innen, in deren Verantwortung diese Sanktionen liegen.
       
       ## Optimismus gibt's nicht durch Abschreckung
       
       Ein Beispiel für geschlechterspezifische Entscheidungen: Frauen werden
       öfter für unangemessene Kleidung sanktioniert, beispielsweise für zu viel
       Dekolleté-Zeigen auf dem Bewerbungsfoto, Männer, von denen angenommen wird,
       dass sie sich gehen ließen, wenn sie arbeitslos und noch dazu single seien,
       öfter für schlechten Geruch.
       
       Laut einer früheren Studie von einer der beiden Forscherinnen sei das Ziel
       des überarbeiteten Sozialleistungsgesetz, dass [6][die Arbeitslosen
       weiterhin gut gelaunt durchs Leben gehen sollen], sich fleißig und positiv
       gestimmt auf Jobs bewerben und die eigene Hygiene und Pflege eben nicht
       vernachlässigen. Die Kleidungs- und Geruchsregel soll aber vor allem –
       abschrecken.
       
       Betroffen sind von dieser Regel Langzeitarbeitslose, denn Sozialleistungen
       bekommt man in den Niederlanden erst nach 38 Monaten Arbeitslosengeldbezug.
       Abschreckung ist genau die falsche Methode, um sie weiter bei Laune zu
       halten. Und ohnehin ist es eine ziemliche Herausforderung, nach mehr als
       drei Jahren ohne Job noch optimistisch auf dem Arbeitsmarkt unterwegs zu
       sein.
       
       Zu guter Letzt ist es durch eine solche Regelung leicht, aus der
       Langzeitarbeitslosigkeit ein individuelles Problem zu machen: „Wenn du dich
       anders anziehen oder mehr pflegen würdest, hättest du schon längst einen
       Job.“ Solche Sätze werden durch die gesetzliche Regelung gestützt. Oft sind
       es aber strukturelle Gegebenheiten, die, einmal in der Arbeitslosigkeit
       angekommen, den Betroffenen den Wiedereinstieg erschweren. Einen angeblich
       schlechten Geruch oder Kleidungsstil haben schließlich auch viele Menschen,
       die auf Chefsesseln hocken.
       
       2 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/Nurirgendeine/status/1021989230921310208
   DIR [2] https://www.nrz.de/panorama/trotz-hitze-diese-kleidung-ist-in-den-meisten-bueros-tabu-id214760619.html
   DIR [3] https://www.sueddeutsche.de/bayern/kurze-hosen-sommer-1.4068757
   DIR [4] http://wetten.overheid.nl/BWBR0015703/2018-01-01#Hoofdstuk2
   DIR [5] http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0950017018758196#
   DIR [6] http://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0261018318759923#articleShareContainer
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juliane Fiegler
       
       ## TAGS
       
   DIR Arbeitslosigkeit
   DIR Niederlande
   DIR Langzeitarbeitslose
   DIR Sozialleistungen
   DIR Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
   DIR Arbeitslosigkeit
   DIR Hubertus Heil
       
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