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       # taz.de -- Inhalte der Bewegung „Aufstehen“: Mehr Fragezeichen als Anworten
       
       > Wagenknechts Projekt einer linken Sammlungsbewegung bleibt vage. Was soll
       > sie praktisch tun? Kann sie sich in der Migrationsfrage einigen?
       
   IMG Bild: Was wird aus Wagenknechts Bewegung? Druck wird sie auf jeden Fall von Kipping bekommen
       
       Berlin taz | Es ist eine seltsame [1][Bewegung, die sich unter dem Namen
       „Aufstehen“] um Sahra Wagenknecht formieren soll. Eine, bei der die
       Hauptfrage nicht geklärt ist: Was genau soll sie eigentlich sein?
       
       Große Bewegungen in Deutschland wie die Anti-Atom-Bewegung hatten nicht nur
       ein scharf umrissenes Thema, sondern auch typische Protestformen:
       Unterschriftensammlungen, juristische Verfahren gegen AKWs,
       Demonstrationen, Blockaden. Wagenknechts Sammlungsbewegung dürfte sich am
       Anfang auf Saalveranstaltungen beschränken, bei denen sie die politische
       Lage debattiert. Bald aber müsste sie entscheiden, ob sie sich thematisch
       fokussiert.
       
       Eine jährliche Großdemonstration zu sozialer Ungerechtigkeit allgemein
       dürfte wenig Wirkung zeigen, eine allwöchentliche Demonstration à la
       Montagsdemos schnell zu Ermüdungserscheinungen führen. Konzentriert sich
       die Sammlungsbewegung aber zunächst auf ein Thema wie Mieten, könnten all
       diejenigen wegbleiben, die es nicht betrifft. Oder soll die Bewegung
       vielleicht eine Partei gründen – oder in die bestehenden eintreten?
       
       Wagenknecht hat immer wieder zwei Vorbilder genannt: La France insoumise
       und die britische Momentum-Bewegung. La France insoumise ist eine eher
       zentralistische Partei rund um den charismatischen Jean-Luc Mélenchon. Der
       Versuch, eine ähnliche Bewegung in Deutschland zu starten, könnte
       Wagenknecht ein Parteiausschlussverfahren in der Linkspartei einbringen,
       weshalb sie die Idee derzeit dementiert.
       
       ## AfD-Wähler zurückholen
       
       Momentum wiederum hat Hunderttausende neue Mitglieder in die Labour-Partei
       gespült, die den linken Parteichef Jeremy Corbyn gegen die Versuche der
       alten blairistischen Parteieliten, ihn aus dem Amt zu befördern,
       unterstützten.
       
       Dagegen, „Aufstehen“ für Eintritte in SPD, Grüne oder Linke zu nutzen, kann
       offiziell niemand etwas haben. Aber wären Parteieintritte koordiniert?
       Würde dann das Schwergewicht der Bewegung auf der Parteiarbeit liegen?
       
       Und wäre das Ergebnis auch inhaltlich das, was sich Wagenknecht erhofft?
       Aus ihrer Sicht fehlt in Deutschland eine linke Partei, die Asyl und
       Einwanderung mit den Möglichkeiten des Sozialstaats austariert und die
       damit zur AfD und ins Nichtwählerspektrum abgewanderte Wähler zurückholen
       soll. Nur dann sei die Linke in der Lage, wieder parlamentarische
       Mehrheiten zu gewinnen.
       
       Offen ist aber, ob der ausgeweitete Unterstützerkreis von „Aufstehen“ diese
       Linie teilt. Im Kern um Wagenknecht ist man sich weitgehend einig –
       Wolfgang Streeck etwa schrieb am Samstag in der FAZ in seinem Vorschlag für
       „eine zur Vernunft gekommene Linke“: „Wenn Einigkeit besteht, dass die vom
       deutschen, europäischen und internationalen Recht postulierten
       Pflichtenkataloge jedenfalls nicht bedeuten, dass jeder jederzeit unbesehen
       in Deutschland einreisen und dort Unterstützung beanspruchen kann, ist
       Platz für pragmatische Gerechtigkeitspolitik.“
       
       ## Druck von Kipping und den Grünen
       
       Der jetzt kursierende Aufrufentwurf für die Sammlungsbewegung ist in der
       Migrationsfrage weitaus schwammiger: „Das Recht auf Asyl für Verfolgte
       gewährleisten, Armut vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern
       Perspektiven schaffen“ heißt es dort. Wagenknechts Gegner von
       Linken-Parteichefin Katja Kipping bis zu den Grünen werden „Aufstehen“ mit
       dem Migrationsthema schon deshalb unter Druck setzen, weil ihnen dessen
       Moralisierung einen enormen Zulauf beschert hat. Sie werfen Wagenknecht
       Nähe zu rechtspopulistischen Positionen vor. Schon die Frage, ob zu
       Demonstrationen für die private Seenotrettung vor Libyen aufgerufen werden
       soll, taugt für Spaltungen.
       
       Nicht auszuschließen, dass am Ende eine Sammlungsbewegung steht, die
       allgemein für mehr soziale Gerechtigkeit wirbt, aber die Migrationsfrage
       beschweigt, weil sie sich dabei so uneins ist wie SPD und Linke schon
       jetzt.
       
       Scheitern könnte die Bewegung aber schon viel früher: So gerne Wagenknecht
       über Mélenchon und Momentum spricht, so ungerne erwähnt sie [2][Yanis
       Varoufakis’ DiEM25]. Varoufakis hatte seine Bewegung mit großem Getöse
       angekündigt – dann kam nicht viel nach.
       
       Das zeichnete sich schon bei der Auftaktveranstaltung in Berlin vor zwei
       Jahren ab: Über lange Stunden hinweg lobten führende Vertreter linker
       Parteien DiEM25 und geißelten die EU-Politik. Kaum jemand sprach darüber,
       was DiEM25 eigentlich tun solle.
       
       Dann fuhren alle nach Hause – und arbeiteten in ihren bisherigen Parteien
       weiter wie zuvor. Heute werkeln in den meisten europäischen Ländern nur ein
       paar kleinere Grüppchen vor sich hin.
       
       5 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Linke-Bewegung-Aufstehen-online/!5526443
   DIR [2] /Deutscher-Fluegel-von-DiEM25/!5509527
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reeh
       
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