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       # taz.de -- Premiere vom Musical „König der Möwen“: Rentner mit Vögeln anlocken
       
       > „König der Möwen“ ist das irre komische Musical von Andreas Dorau und
       > Gereon Klug. Es wirft ein Schlaglicht auf die hanseatische
       > Indie-Identität.
       
   IMG Bild: Komische Vögel: Andreas Dorau und Gereon Klug am Hamburger Hafen
       
       Es ist nicht so, dass ganz Hamburg in heller Aufregung ist. Doch hat es
       zumindest bei popkulturell interessierten Menschen Euphorie ausgelöst, als
       Gereon Klug und Andreas Dorau vor einiger Zeit ankündigten, vor Ort ein
       Bühnenstück zur Aufführung bringen zu wollen. Jetzt ist es so weit: Heute
       feiert ihr Musical „König der Möwen“ Premiere beim Internationalen
       Sommerfestival auf Kampnagel. Die vier geplanten Vorstellungen waren
       schnell ausverkauft, eine weitere wurde auf den Spielplan gesetzt.
       
       Die Vorfreude ist verständlich: Der frühere NDW-Star Andreas Dorau
       fabriziert seit Jahrzehnten brillante Popsongs mit genial-abseitigen
       Texten. Gereon Klug ist ein Faktotum des Hamburger Undergrounds, unter
       anderem gründete er den Plattenladen Hanseplatte. Klug und Dorau stehen für
       schräge, geistreiche Unterhaltung ohne Nähe zur
       Zeigefinger-Kabarett-Tradition. Eine seltene Spezies.
       
       „König der Möwen“ wird mit zehn Schauspielerinnen und Schauspielern
       aufgeführt, Regie führt Patrick Wengenroth. Am Rande der Proben nimmt Klug
       sich Zeit für ein Gespräch. Es gibt im „König der Möwen“ zwei große
       Erzählstränge, verrät er. Der erste handelt von dem prekär lebenden
       Hamburger Plattenhändler Hans E., dem das Stadtmarketing einen Umzug seines
       Ladens in die noble HafenCity anbietet. Hans stimmt zu und fühlt sich mies
       dabei. Die Stadt braucht seinen Laden dort nämlich nur, um dem öden Gebiet
       etwas Verwegenheit zu verpassen.
       
       ## Figur Hans im Glück
       
       „Mit der Figur Hans stellen wir die Frage nach Subkultur-Identität“, sagt
       Klug. „Alle großen Themen unseres Stücks begegnen ständig jedem von uns –
       Marketing, Gentrifizierung, prekäres Leben. Die Frage ist, wie man sich
       ihnen gegenüber verhält, um eine für sich akzeptable, subkulturelle
       Identität zu wahren.“ Der zweite Erzählstrang handelt von einer Band. Sie
       spielt mal Soul, mal Pop, mal Trap, und will mit zielgruppengenauer Musik
       den Erfolg erzwingen.
       
       An der Komposition und Einspielung der Songs waren Carsten Friedrichs und
       Gunther Buskies von der Liga der gewöhnlichen Gentlemen beteiligt, ebenso
       der Künstlerkollege Zwanie Jonson. Ein Album mit den Stücken ist nun zur
       Premiere erschienen. „Die Songs sind eine Gratwanderung“, sagt Klug. „Sie
       nehmen Bezug auf Musikentwürfe, die nicht immer unserem Geschmack
       entsprechen. Trotzdem sollen sie keine Verhohnepipelung sein, sondern
       ansprechende Songs.“ Das ist überwiegend gelungen. Zum Beispiel beim
       urkomischen Song „Wir haben alte Leute gern“, mit der die Band Rentner
       anlocken will. Ohne Kenntnis der dazugehörigen Story wirkt das Album aber
       wie ein merkwürdiges Sammelsurium von Liedern.
       
       Eines ist Klug bei der Bühnenfassung wichtig: „Weil unser Stück Musik
       enthält und der Titel auf das Musical ,Der König der Löwen“ rekurriert,
       geraten wir unter Musical-Verdacht“, sagt der 49-Jährige. „Wir möchten uns
       aber zu diesem Genre nicht verhalten, wir machen keine Parodie und auch
       kein Anti-Musical. Sondern eine musikalische Dramödie.“ In Hamburg ist
       diese Abgrenzung nachvollziehbar.Seit Andrew Lloyd Webbers „Cats“ 1986
       Deutschlandpremiere an der Reeperbahn feierte, brachen alle Dämme. Ständig
       gingen seither neue Produktionen an den Start, große und kleine
       Musical-Paläste schossen aus dem Boden. Aufgrund dieser Tradition wird
       „König der Möwen“ in der Stadt auch als Musical wahrgenommen. Egal, was die
       Autoren davon halten.
       
       ## Ab in den Keller
       
       Plattenhändler Hans begegnet jedenfalls irgendwann der von Andreas Dorau
       gespielten Titelfigur. „Der König der Möwen bringt Hans an einen Ort namens
       Hamburger Keller“, sagt Klug. „Dort zeigt er ihm, wie in Wahrheit alles
       miteinander zusammenhängt. Da feiern die Schweine mit den Guten, links mit
       rechts, unten mit oben. Ohne die einen gäbe es die anderen nicht. Und Hans
       muss nur seine ihm zugewiesene Rolle spielen, damit das System funktioniert
       und sein Leben sinnig ist. Das ist die moralische Volte der Geschichte.“
       
       Dann ergänzt er: „Es klingt nach komplizierten Bedeutungsebenen und
       Verschachtelungen – aber das kann ja auch Freude machen und leicht in
       seiner Schwere sein. Der Besuch der Aufführung soll schließlich Vergnügen
       bereiten.“ Gemessen an der Nachfrage haben Klug und Dorau bereits jetzt
       einen Überraschungshit gelandet. Deshalb denkt Klug groß: „Einen
       dauerhaften Spielort an der Elbe würde ich gut finden“, sagt er.
       
       „Am besten in Form einer gigantischen Möwe. Ich weiß auch, wem das noch
       gefallen würde – 90 Prozent aller Hamburger.“
       
       9 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Sakowitz
       
       ## TAGS
       
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