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       # taz.de -- Gertrudenberger Höhlen in Osnabrück: Das Giftfässer-Rätsel
       
       > Lagern in den Gertrudenberger Höhlen Giftfässer der Chemieindustrie? Ein
       > Verein versucht, den Fall aufzuklären, und stößt auf Widerstand.
       
   IMG Bild: Kein Zutritt: Die Gewölbe unter dem Osnabrücker Bürgerpark sind für die Öffentlichkeit verschlossen
       
       OSNABRÜCK taz | Der Osnabrücker Bürgerpark ist ein idyllischer Ort. Wer auf
       dem Gertrudenberg spazieren geht, genießt den Blick auf Klostermauern,
       Wiesen, knorrige Bäume. Aber das labyrinthische Gang- und Höhlensystem,
       auch „Loch“ genannt, das im Mittelalter als unterirdischer Kalk-Steinbruch
       entstand, wirft bis heute Fragen auf.
       
       Zwei von ihnen klingen nach Gefahr: Wurden hier Mitte der 1950er-Jahre
       Schadstoff-Fässer des Osnabrücker Reinigungsmittelproduzenten Tolo Chemie
       eingelagert? Kontaminieren toxische Fließmittel der 5.000 Kubikmeter
       Zementschlämme, die in den 70ern und 80ern in die Hohlräume verpresst
       wurden, das Grundwasser?
       
       Wer Antworten sucht, stößt auf Widerstand. Jedenfalls ergeht es Wilfried
       Kley so, dem Vorsitzenden des Vereins „Gertrudenberger Höhlen Osnabrück“
       und einem der besten Kenner der Unterwelt des Bürgerparks.
       
       „Uns liegen besorgniserregende Analysewerte der Hochschule Osnabrück vor“,
       sagt er. „Schon seit Jahren weisen wir die Behörden auf unseren Verdacht
       hin. Aber da wird gemauert.“ Kley ist die Frustration anzumerken. „Wir
       wollen doch keinem was“, sagt er. „Aber wenn irgendwelcher Mist da unten
       liegt, muss er raus.“
       
       Kley würde das geologisch und archäologisch spannende „Loch“ mit seinen
       steilen Treppen, Luftschächten und Durchlässen zu anderen Höhlen gern für
       Besucher öffnen. Seit Mitte der 1970er steht es unter Kulturdenkmalschutz
       und ist nicht öffentlich begehbar. Der Verein „Gertrudenberger Höhlen
       Osnabrück“ zielt auf die kommissarische Verwaltung der Höhlen.
       
       Das Problem: hakelige Zuständigkeiten. Eigentümerin ist, unter anderem, die
       Stadt Osnabrück. Aber Teile des „Gertrudenberger Lochs“ wurden im Zweiten
       Weltkrieg zum Luftschutzbunker ausgebaut, also hatte die Bonner
       Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) lange hier unten das Sagen,
       wenn es um Gefahrenabwehr ging. Ihr Plan: Irreversible Komplettverfüllung,
       ihre Begründung: Einsturzgefahr.
       
       Kley will das unbedingt verhindern. Eigentlich steht der Rat der Stadt
       Osnabrück an seiner Seite, auch er will eine Verfüllung verhindern, auch er
       propagiert eine Öffnung für die Öffentlichkeit.
       
       Der Stadtrat hat eine Idee, um die Bima auszuhebeln: die Höhlen als
       Naturdenkmal auszuweisen, denn als solche unterlägen sie einem
       Veränderungsverbot. Er hat schon ein Gutachten zur Standfestigkeit der
       Höhlen anfertigen lassen, seitdem ist die Einsturzgefahr vom Tisch. Aber
       der finale Push, der die Höhlen aus dem Zwielicht rettet, fehlt noch.
       Derzeit bekämpfen sich Stadt und Bima vor dem Landgericht. Es geht um
       viel Geld, denn der Rückbau der Verbunkerung kostet.
       
       Gute Zeichen also für den Verein, eigentlich. Wäre da nicht die Sache mit
       den Fässern und den Schlämmen. Kley fragt: „Warum wird da so gebremst? Wir
       wollen doch nur Licht ins Dunkel bringen!“ Er möchte einen Runden Tisch,
       „mit Sachvernunft“. Aber derzeit hat der Vereinsvorsitzende noch nicht
       einmal einen Schlüssel zu den Höhlen. Erst kürzlich hat er dazu wieder bei
       Dirk König angefragt, dem Leiter für Immobilien- und Gebäudemanagement
       der Stadt. Ohne Erfolg.
       
       ## Dubiose Stahlfässer
       
       Also kämpft er erst mal oberirdisch weiter, mit Anwaltshilfe. Und mit Hilfe
       eines Zeugen, der dem Verein eine Aussage zu Protokoll gab. Der Mann, der
       anonym bleiben will (Name der Redaktion bekannt), erzählt darin von seinem
       Vater, einem Kraftfahrer. Der sei in den Jahren 1954 bis 1956 angefordert
       worden, „mit Beginn der Dunkelheit Stahlfässer (ca. 200 Liter Inhalt) von
       der Süster Straße abzuholen und oberhalb der Veilchenstraße abzuladen“.
       
       Was man dazu wissen muss: An der Süster Straße war der Firmensitz der
       Osnabrücker Tolo Chemie, an der Veilchenstraße einer der Zugänge zu den
       Höhlen. „Dieser Vorgang wiederholte sich sehr häufig“, gibt der Zeuge an.
       „Am nächsten Tag, wenn es wieder hell war, waren die Fässer verschwunden.“
       
       Der Sohn des Kraftfahrers sagt das nicht zum ersten Mal. „Er war schon vor
       Jahren bei uns“, sagt Kley, „und auch damals haben wir das an die Behörden
       weitergegeben.“ Der Vereinsvorsitzende hat eine Vermutung, wo die Fässer
       jetzt sein könnten: in Raum 31.
       
       ## Was ist in Raum 31?
       
       In dessen Wand hat der Verein ein abgemauertes Bewetterungsloch aus den
       50er-Jahren geöffnet, um das Gasgemisch in der Luft zu messen. Aber in Raum
       31 befinden sich Berge von Gesteinschutt. Durch reine Sondierung komme man
       da nicht weiter. Auch die Geomagnetik habe versagt – zu viele Störfaktoren.
       Der einzig sichere Weg sei der Abtrag.
       
       Kleys Problem: Sein Zeuge ist nicht bereit, sich namentlich zu äußern. Auch
       seine Aussage hat er nicht unterschrieben. Er nennt die Chemiefirma nicht,
       sagt nichts über den Inhalt der Fässer, nichts darüber, ob und von wem sie
       in die Höhlen verbracht wurden. Aber für Kley ist offensichtlich, dass hier
       Giftmüll versenkt wurde: „Wer eins und eins zusammenzählt, dem ist die
       Sache klar.“
       
       Um die Stadt als zuständige Bodenschutzbehörde zu Ermittlungen zu bewegen,
       hat Kley dem Osnabrücker Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) am 28.
       Juni einen Brief geschrieben. Es bestehe eine „sehr große
       Wahrscheinlichkeit einer Altlast“ durch die Fässer, „mit an Sicherheit
       grenzender Wahrscheinlichkeit handelt es sich um giftige Chemikalien“,
       steht darin. Auch die Gefahr der Trinkwassergefährdung durch die
       Zementschlämme erwähnt er. Immerhin gibt es in den Höhlen einen 44 Meter
       tiefen Brunnen, in den bei Regen alles reinsickert.
       
       ## Sachstandsbericht erbeten
       
       Die Antwort aus dem Osnabrücker Rathaus kam von Bernd Früchel,
       Fachdienstleiter Ordnungsbehördlicher Umweltschutz, am 9. Juli. Es gebe
       „weder Hinweise auf die Ablagerung von Stahlfässern in den Gertrudenberger
       Höhlen, noch auf eine Grundwassergefährdung durch die verfüllten
       Zementschlämme“.
       
       Der Brief macht Kley zornig. Denn Früchel macht ihm Vorwürfe: Raum 31
       geöffnet zu haben, sei „eigenmächtiges Vorgehen“, das ein hohes Risiko
       hätte darstellen können“. Kley entgegnet: „Hermetisch versiegelt war der
       Raum nie.“
       
       Die nächste Chance für den Verein ist die Sitzung des Ausschusses für
       Stadtentwicklung und Umwelt am 16. August. Volker Bajus, Ratsmitglied und
       umweltpolitischer Sprecher der Grünen, hat um einen Sachstandsbericht
       gebeten. Dass die Zeugenaussage nicht unterschrieben und vergleichsweise
       unkonkret ist, weckt bei Bajus allerdings Skepsis: „Wir müssen sehen, wie
       belastbar das ist“, sagt er.
       
       ## Letzte Befahrung der Höhlen: Ende 2012
       
       Eine Vertuschung durch die Osnabrücker Umweltverwaltung kann Bajus sich
       nicht vorstellen: „Sie macht exzellente, absolut transparente Arbeit,
       gerade auch in Sachen Altlasten. Aber der Vorwurf wiegt schwer, das sieht
       der Umweltpolitiker ein. Bajus sieht auch die Bima in der Pflicht, „volle
       Unterstützung“ zu gewähren. „Aber das kann zäh werden. Die ist ja nicht
       besonders kommunal- und bürgerfreundlich.“
       
       Thorsten Grützner arbeitet im Stabsbereich Presse und Kommunikation bei der
       Bima. Die letzte Befahrung der Höhlen durch den Bima-Sachverständigen fand
       Ende 2012 statt. Grützner sagt: „Giftmüllablagerungen wurden nicht
       vorgefunden.“ Auch in den Schlämmen sehe er keine Gefahr: „Erkenntnisse
       über eine Umweltbelastung durch diese Sicherungsmaßnahme liegen nicht vor.“
       
       Auch Rainer Scherbeck, der Geschäftsführer des Ingenieurbüros, dass das
       Gutachten über die Höhlen angefertigt hat, gibt Entwarnung: „Wir haben Raum
       31 geöffnet, ihn begangen, Luftmessungen vorgenommen. Es gab keinerlei
       Auffälligkeiten. Anzeichen einer Verbringung von Fässern haben wir nicht
       gefunden.“ Klar, man könne den Bauschutt wegräumen, „mehr geht ja immer“.
       Aber Verdachtsmomente gebe es keine.
       
       ## Für die Stadt ist der Fall erledigt
       
       Für die Stadt Osnabrück ist der Fall erledigt. „Wir sind dem Verdacht
       nachgegangen“, sagt Pressesprecher Sven Jürgensen. „Die Überprüfung hat
       keine Hinweise auf Gefahren und Verbringungen ergeben.“ Weitere Maßnahmen
       erübrigten sich.
       
       Ist das Rätsel um die Fässer und Raum 31 nun gelöst? Kley zweifelt. Im 19.
       Jahrhundert diente das „Loch“ als Bierkeller einer Brauerei. Auch eine
       Pilzzucht war mal darin, das Versteck einer Falschmünzerbande. Und heute?
       Eine Giftmülldeponie? Fragen bleiben. Eine davon: Wer hat Raum 31
       seinerzeit vermauert, und warum? Kley sagt: „Da kommst du nicht weiter.
       Wenn du so was fragst, gehen die Schotten runter.“
       
       9 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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