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       # taz.de -- Elektromobilität im Norden: Lautlos rollt der E-Bus
       
       > Seit zwei Jahren testet Hannover Elektrobusse. In den nächsten fünf
       > Jahren soll die Busflotte komplett auf Elektro umgestellt werden
       
   IMG Bild: E-Bus in Hannover: Der Akku muss immer zu 50 Prozent geladen sein, bevor er losfährt
       
       Hannover taz Der Bus ist zu spät. Ein paar Minuten schon. Der Verkehr war
       dicht, Müllwagen auf der Strecke unterwegs. Wäre der Bus ein Diesel, wäre
       das egal. Er könnte von der Endhaltestelle aus einfach in die nächste Runde
       im Stadtverkehr durchstarten. Der Bus mit dem silbernen Aufbau auf dem
       Dach, der jetzt am August-Holweg-Platz in Hannover heranfährt, ist aber ein
       reiner Elektrobus und der braucht hier, am Endpunkt der Route, wieder neuen
       Strom.
       
       Elke Karmann-Ave sitzt am Steuer. Sie parkt ihren Bus neben einer großen,
       schwarzen Säule. Jetzt muss es schnell gehen. Auf dem Dach des Fahrzeugs
       fährt sie per Knopfdruck einen metallischen Arm aus, der sich automatisch
       in den Lademasten einhängt – den Stromabnehmer, auch Pantograf genannt. Der
       Akku füllt sich. Noch viereinhalb Minuten. Dann muss Karmann-Ave weiter, um
       in der nächsten Runde pünktlich zu sein.
       
       Sie fährt heute auf der Rundlinie 100/200 in Hannovers Innenstadt. Das
       Verkehrsunternehmen Üstra hat auf dieser Linie in den vergangenen zwei
       Jahren [1][drei Elektrobusse getestet]. Mittlerweile ist das Pilotprojekt
       abgeschlossen – und aus Unternehmenssicht ein Erfolg. Die Üstra will in den
       kommenden fünf Jahren alle Buslinien in der Innenstadt auf Elektro
       umrüsten. 48 neue E-Busse will der Verkehrsbetrieb dafür kaufen und weitere
       Ladestationen auf den Strecken errichten.
       
       ## Die Luft ist dick
       
       60 Millionen Euro soll das kosten. Weil Elektromobilität jedoch vom Bund
       und dem Land Niedersachsen gefördert werde, blieben noch rund 30 Millionen
       Euro für die Üstra übrig, heißt es vom Unternehmen. Da ohnehin neue Busse
       in der Zeit bis 2023 gekauft werden müssten, beliefen sich die Mehrkosten
       nur auf etwa 200.000 Euro. Ein E-Bus-Schnäppchen.
       
       In Hannover ist die Luft schon seit Jahren [2][ziemlich schlecht]. Die
       Grenzwerte für Stickstoffdioxid werden in mehreren Hauptverkehrsstraßen
       überschritten. Der Giftstoff kommt vor allem über die Abgase von
       Dieselmotoren in die Atemluft. Er kann die Atemwege reizen, chronische
       Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen und steht im Verdacht,
       krebserregend zu sein.
       
       Die Busse in der Stadt elektrisch fahren zu lassen, ist zumindest eine
       Möglichkeit, um die Stickstoffdioxidbelastung zu senken – auch wenn die
       Üstra dies zunächst nur für den Innenstadtbereich plant. Für den Neukauf
       der Busse außerhalb des Stadtzentrums hat das Unternehmen, das der Stadt
       und der Region Hannover gehört, noch keinen Zeitplan.
       
       Im Cockpit von Karmann-Aves Elektrobus sind drei Touchscreens verbaut. Sie
       kann auf dem Display verfolgen, wie weit die Akkus im Heck und auf dem Dach
       geladen sind. 50 Prozent sind das Minimum, damit sie losfahren darf. Die 16
       Kilometer der Linie 200 könnte sie auch locker mit weniger Strom schaffen.
       Im Sommer sowieso, denn dann zieht keine Heizung die Energie ab – die
       Klimaanlage verbraucht weniger Strom.
       
       Die 50 Prozent sind eine Vorsichtsmaßnahme, schließlich soll der Bus auch
       dann nicht liegen bleiben, wenn die Strecke mal verstopft ist. Der Akku
       wird nach jeder Runde schnell nachgeladen und kommt nachts im Betriebshof
       an die Steckdose.
       
       ## Wie bei Raumschiff Enterprise
       
       Jetzt steht die Ladeanzeige auf 78 Prozent. Elke Karmann-Ave klappt den
       Pantografen wieder ein. Ihre pink lackierten Fingernägel klackern auf dem
       Display. Darunter ist noch eine zusätzliche Reihe Knöpfe angebracht, für
       die Kollegen, die sich nicht so schnell auf die neue Technik einstellen
       können. „Ist so aber viel einfacher als früher“, sagt Karmann-Ave.
       
       Sie fährt schon seit 17 Jahren Busse und hat alle Modernisierungsschritte
       mitgemacht: erst Diesel, dann Hybridmotoren und nun die Elektrofahrzeuge.
       Die 43-Jährige mag das neue Fahrgefühl: „Der beschleunigt toll“, sagt sie.
       Die konventionellen Busse reagierten viel langsamer. „Wenn sie endlich
       beschleunigt haben, muss man schon wieder anhalten“, sagt Karmann-Ave. Die
       Busfahrerin drückt jetzt aufs Gaspedal. Zu hören ist davon fast nichts. Nur
       ein leises Surren.
       
       Mit an Bord ist auch Roland Weiß. Er ist bei der Üstra der Ansprechpartner
       für die Fahrer. „Ich finde, das hört sich an wie bei Enterprise“, sagt er.
       Die Üstra habe sogar vorn extra noch einen kleinen Lautsprecher einbauen
       lassen, der bei Geschwindigkeiten bis 15 km/h ein Kratzen ausspuckt, das
       sich anhöre, als schleife der Bus einen Ast mit. Der Sinn: Auch Passanten,
       die in ihr Handy vertieft oder in ihrer Sicht beeinträchtigt sind, sollen
       die leisen Elektrobusse hören können. „Sonst kommen wir quasi aus dem
       Nichts“, sagt Weiß.
       
       Für die Üstra-Kollegen hat sich das Fahren verändert. Weiß vergleicht das
       mit einer kleinen Wassermühle. Kippe man dort einen Eimer Wasser oben
       drauf, können die Schaufeln nicht das ganze Wasser aufnehmen. Es läuft
       daneben. Gibt man langsam Wasser nach, dreht sich das Rad stetig. Ähnlich
       funktioniere auch ein Elektromotor. „Wer den noch fährt wie einen Diesel,
       der macht etwas falsch“, sagt Weiß. Die Busfahrer wurden geschult, damit
       sie das hinbekommen.
       
       Auf einem Monitor im Inneren können die Fahrgäste sehen, ob der Motor
       gerade Strom zieht oder das Fahrzeug, wenn es ausrollt, selbst wieder Strom
       in den Akku zurückspeist. Dafür wechseln grüne Pfeile auf dem Display von
       der Batterie zu einer technisch gezeichneten Achse. „Der Ladevorgang wird
       visualisiert“, sagt Weiß. Der Strom für die Busse kommt laut Üstra aus
       erneuerbaren Energien. Einen Teil speisen auch die ebenfalls elektrisch
       betriebenen Straßenbahnen ins Netz ein.
       
       Karin Blödern ist Rentnerin und fährt fast jeden Tag mit dem Bus. Sie weiß
       nicht, was ihr die grüne Pfeile auf dem Display sagen sollen. Die Erklärung
       fehlt. Mit dem Elektrobus fährt sie aber ganz gern: „Der fährt so leicht
       und nicht so ruckartig“, sagt sie. Trotzdem ist die 75-Jährige mit der
       Forderung nach mehr E-Bussen zurückhaltend. „Das darf nicht auf die
       Fahrpreise umgelegt werden“, sagt Blödern. Höhere Preise für sauberere
       Luft? „Das hier ist keine Kurgegend.“
       
       ## Relikt aus der Nazizeit
       
       Kyra Gödecke hingegen, ebenfalls ein Fahrgast, findet die Umstellung
       richtig. „Das ist besser für die Umwelt“, sagt sie. Dafür, dass es noch
       fünf Jahre dauern wird, bis in der Innenstadt keine stinkenden Dieselbusse
       mehr fahren werden, hat sie Verständnis: „Man muss klein anfangen.“ Die
       Hauptsache sei, dass es gemacht werde.
       
       Elektrobusse gab es in Hannover schon einmal. Die Linie wurde allerdings
       1958 eingestampft. Die O-Busse mit Oberleitungen auf der Strecke waren ein
       Relikt aus der Nazizeit. Die Nationalsozialisten führten die O-Busse ein,
       um weniger von ausländischen Treibstoffen abhängig zu sein, schreibt die
       Üstra in ihrem Firmenmagazin. Nach dem Krieg wurde die zerstörte Linie noch
       einmal aufgebaut, 1958 dann aber stillgelegt. Die Üstra baute stattdessen
       die Straßenbahnlinien aus.
       
       Daran, dass die Üstra nun wieder auf Elektrobusse setzt, wenn auch auf ein
       anderes Prinzip, kann Üstra-Mitarbeiter Weiß nur einen Nachteil sehen: „Das
       wird Arbeitsplätze reduzieren“, sagt er. Der klassische Mechaniker werde
       für die E-Busse weniger gebraucht. „Es gibt kein Öl, keine Filter und keine
       Keilriemen“, sagt Weiß. Stattdessen seien dann Experten für Elektronik
       gefragt.
       
       Als Busfahrerin Karmann-Ave an die nächste Haltestelle heranrollt, steht
       dort schon ein Pulk Menschen und wartet darauf, dass sie die Türen öffnet.
       „Am Anfang der Testphase haben die Leute extra auf den E-Bus gewartet“,
       sagt sie. Die Üstra gab sogar eigene E-Bus-Fahrpläne heraus. Mittlerweile
       habe sich das ein bisschen eingependelt. „Das ist auch gut so“, sagt
       Karmann-Ave. Denn der große Ansturm auf die Busse hätte erst recht zu
       Verspätungen geführt.
       
       Den ganzen Schwerpunkt zum Thema Elektromobilität lesen Sie in der
       gedruckten Ausgabe der taz Nord oder [3][hier].
       
       17 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Maestro
       
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