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       # taz.de -- Bündnis für nachhaltige Textilien: Mehr Bio? Okay. Mehr Lohn? Och nö.
       
       > Ziel sind weniger Unfälle und Gift in der globalen Produktion. Doch das
       > Bündnis für nachhaltige Textilien hat eine wesentliche Schwachstelle.
       
   IMG Bild: Baumwoll-Ernte im indischen Gujarat
       
       Berlin taz | Was die Menschen den Tieren antun, wissen australische
       Merinoschafe. Manche Züchter schneiden ihnen die Haut um den Schwanz ab –
       ohne Betäubung. Das soll einen Befall mit Fliegenmaden verhindern. Proteste
       von Tierschützern und Boykottaufrufe gab es immer wieder. Nun will der
       Handelskonzern Rewe in diesem Jahr eine Leitlinie veröffentlichen, damit
       seine Wollelieferanten auf die „Mulesing“ genannte Methode verzichten. So
       steht es in der Selbstverpflichtung, die das Unternehmen kürzlich beim
       Textilbündnis eingereicht hat.
       
       Diese Organisation, ins Leben gerufen von Entwicklungsminister Gerd Müller
       (CSU), soll die Produktionsbedingungen in der weltweiten Textilindustrie
       verbessern. Beispielsweise geht es darum, dass die Hersteller auf giftige
       Chemikalien verzichten, die Fabriken gegen Brände sichern und den
       Beschäftigten bessere Löhne zahlen. In diesem Jahr müssen die 79
       Mitgliedsfirmen des Bündnisses erstmals ihre Maßnahmenpläne, sogenannte
       Roadmaps, veröffentlichen. Was steht da drin? Und was bringt der Prozess
       für die Arbeitnehmer*innen? Drei Beispiele geben Aufschluss.
       
       Rewe, der drittgrößte Lebensmitteleinzelhändler Deutschlands, verkauft auch
       Textilien, etwa Strümpfe, Socken und Schuhe. Der Discounter Aldi Nord
       bietet neben Nahrungsmitteln ebenfalls Bekleidung an. Die Filialen der
       Firma S. Oliver aus Rottendorf, Bayern, findet man in vielen
       Einkaufspassagen. Kleider „made in China“, Kapuzenpullis „made in
       Bangladesch“: Zahlreiche Produkte von S. Oliver kommen aus problematischen
       Ländern.
       
       Schon auf den ersten Blick unterscheiden sich die Pläne der drei
       Textilbündnis-Mitglieder stark. Rewe veröffentlicht 31 Ziele, die man 2018
       erreichen möchte. „Das Unternehmen nimmt die Roadmap-Erstellung ernst“,
       sagt Gisela Burckhardt, die die Kampagne für Saubere Kleidung im
       Textilbündnis vertritt. Die zehn Ziele von Aldi nehmen sich dagegen etwas
       dünn aus, wenngleich das Unternehmen schon einige Fortschritte in früheren
       Berichten dokumentierte. So hat Aldi das Mulesing bei Schafen bereits
       ausgeschlossen. S. Oliver kommt mit 12 Zielen aus. Burckhardt: „Die Roadmap
       von S. Oliver ist sehr schwammig, es gibt selten klare Aussagen und
       Indikatoren.“
       
       Einen Schwerpunkt legt das Bündnis auf Baumwolle. Konventionell angebauter
       Rohstoff soll zurückgedrängt, die Umweltschäden durch Chemieeinsatz
       verringert werden. Das gemeinsame Ziel der Mitglieder lautet, „bis 2020
       mindestens 35 Prozent nachhaltige Baumwolle einzusetzen. Dabei müssen 10
       Prozent der Gesamtmenge Biobaumwolle sein.“
       
       ## Nachhaltige Baumwolle
       
       Rewe sei schon weiter, erklärt das Unternehmen – im vergangenen Jahr habe
       man „70 Prozent nachhaltige Baumwolle“ erreicht. Dies wird unter anderem
       nach den Kriterien des Global Organic Textile Standard (Gots) definiert.
       Der Plan für 2018 sieht nun vor, 75 Prozent nachhaltige, darunter 20
       Prozent Biobaumwolle, gemessen an der Gesamtmenge, zu beschaffen. Aldi Nord
       will 30, beziehungsweise 20 Prozent erreichen. S. Oliver fängt dagegen erst
       an. Ein Prozent nachhaltige Baumwolle steht auf dem Plan, null Prozent
       Biorohstoff.
       
       Wirkung erzielt das Bündnis auch, weil sich die Mitglieder auf eine lange
       Liste giftiger und gesundheitsgefährdender Chemikalien einigten, die sie
       aus der textilen Produktionskette verbannen wollen. Sowohl Rewe als auch
       Aldi und S. Oliver haben ihre Geschäftspartner und Produzenten
       verpflichtet, auf bestimmte Stoffe zu verzichten und andere nur in
       begrenzten Mengen einzusetzen. Ob das in der Praxis immer klappt, steht auf
       einem anderen Blatt.
       
       Im Vergleich zu den ökologischen tun sich die Firmen bei den sozialen
       Zielen schwerer. Ein Grund: Umweltfortschritte sind für Unternehmen
       offenbar leichter zu definieren und zu handhaben als soziale
       Verbesserungen. Bereits für 2018 empfiehlt das Bündnis, dass jedes
       Unternehmen über „einen effektiven Beschwerdemechanismus verfügen“ solle.
       Darunter sind beispielsweise Kontaktstellen zu verstehen, bei denen die
       Beschäftigten der Zulieferfabriken auf Gefahren und Sicherheitsprobleme
       hinweisen können – auch anonym, um möglichen Repressionen zu entgehen.
       
       So sollen Verstöße gegen Lohngesetze, Bauvorschriften oder Brandschutz
       unterbunden werden. Rewe will ein solches Konzept nun „bis Ende 2019“
       entwickeln – mit mindestens einem Jahr Verspätung. Aldi ist noch langsamer:
       Man „unterstützt die Entwicklung einer Bündnisinitiative“ zu diesem Thema.
       S. Oliver will „Daten auswerten“. Wer will, kann diese Formulierungen als
       Umschreibung für Nichtstun werten.
       
       ## Ein Zeitplan fehlt noch
       
       Eine wesentliche Schwachstelle in den Roadmaps und der Unternehmenspraxis
       ist die Bezahlung der Beschäftigten bei den weltweiten Zulieferern. Die
       Mitglieder des Bündnisses haben zwar grundsätzlich akzeptiert, dass alle
       Arbeiter*innen existenzsichernde Löhne erhalten sollten. Einen Zeitplan
       dafür gibt es jedoch nicht. Existenzsichernde Gehälter liegen in der Regel
       weit über den Mindestlöhnen, die die Regierungen vieler Produktionsländer
       festlegen.
       
       Rewe verspricht nun, sich dieses Jahr mit Experten anderer Firmen über
       höhere Löhne „auszutauschen“. Das sei „enttäuschend“, sagt Burckhardt. „Es
       deutet darauf hin, dass das Unternehmen letztlich nicht bemüht ist, für
       bessere Löhne in seiner Lieferkette zu sorgen.“ Aldi erklärt, die Löhne
       seiner Zulieferer „analysiert“ zu haben. Der Discounter will sich an einer
       Projektgruppe des Bündnisses beteiligen, um das Problem gemeinsam
       anzugehen. Im Maßnahmenplan von S. Oliver kommt der Begriff
       „existenzsichernder Lohn“ nicht vor.
       
       Tatsächlich ist es nicht einfach, die Löhne in Tausenden Fabriken rund um
       den Globus anzuheben. Viele Zulieferer arbeiten gleichzeitig für mehrere
       Auftraggeber. Wenn eines dieser Markenunternehmen isoliert eine bessere
       Bezahlung durchsetzte, geriete die Vergütungsstruktur durcheinander. Warum
       bekommen die Näher*innen, die beispielsweise für H&M arbeiten, mehr als
       ihre Kolleg*innen nebenan, die für Zara schuften? Manche Beschäftigte
       würden sich wahrscheinlich über die ungerechte Bezahlung beschweren.
       
       ## Gerechte Löhne nicht in Sicht
       
       Die großen Auftraggeber müssten also koordiniert handeln. Das jedoch lehnen
       sie ab, weil sie eine Verringerung ihrer Gewinne im Vergleich zu den Firmen
       befürchten, die nicht mitmachen. Deshalb werden die Beschäftigten in
       Bangladesch, Pakistan, Kambodscha und anderen Produktionsländern vermutlich
       noch lange auf ausreichende Löhne warten.
       
       Immerhin aber beteiligen sich Rewe, Aldi und S. Oliver überhaupt am
       Textilbündnis. Sie stellen sich der Debatte. So sind sie mit der Zeit auch
       zu praktischen Verbesserungen verpflichtet. Wirtschaftsethisch gehören sie
       damit zur besseren Hälfte der bundesdeutschen Textilwirtschaft – wie
       Tchibo, Otto, Vaude, Schöffel und andere Firmen, die sich bereits seit
       Langem um bessere Produktionsbedingungen kümmern.
       
       Knapp die Hälfte des Umsatzes auf dem deutschen Markt ist im Bündnis
       vertreten. Die übrigen Konzerne verweigern sich, etwa Inditex (Zara),
       Metro, Peek & Cloppenburg, Tom Tailor. Das dürfen sie. Ein Gesetz, das
       Unternehmen zur Mitarbeit im Bündnis verpflichtet, existiert nicht.
       
       22 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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