# taz.de -- Seiteneinsteiger ins Lehramt: Masse statt Klasse
> In Bremen sollen Seiteneinsteiger den Lehrermangel ausgleichen. Nur: Auch
> gutes Fachwissen ersetzt keine didaktischen Kenntnisse.
IMG Bild: Brauchste Kohle, wirste eben mal Lehrer. Kann schließlich jeder
BREMEN taz | Wer glaubt, Fachkräftemangel ließe sich am ehesten durch die
Anwerbung von Fachkräften beheben, war noch nie in einer Bildungsbehörde.
Dort glaubt man nämlich, der allgegenwärtige Fachkräftemangel an Schulen
ließe sich durch die Anwerbung von irgendwem beheben.
In Bremen gibt es zur Zeit drei Wege, als Seiteneinsteiger in den
Schuldienst zu gelangen: Hochschulabsolventen können entweder ein
vollwertiges Referendariat absolvieren und sich so pädagogisch
nachqualifizieren. Sie können aber auch berufsbegleitend einsteigen: Das
bedeutet, sie haben mehr Unterrichtsstunden als Referendare und nur wenige
Fortbildungsstunden am Landesinstitut für Schule.
In Planung ist außerdem ein berufsbegleitender Einstieg, der fachlich mit
Kursen an der Uni ergänzt wird. Wer das überlebt und am Ende durchkommt,
kann eine Prüfung ablegen, die dem Staatsexamen gleichgestellt ist.
Und dann gibt es noch eine Variante, aus dem Nichts Fachkräfte zu
generieren: Das sind Lehramtsstudierende, die über die Stadtteilschule
beschäftigt und in den jeweiligen Schulen eigenverantwortlich eingesetzt
werden. Im Idealfall haben diese Studierenden schon mal ein Praktikum und
ein paar Didaktikkurse an der Uni besucht.
„Die Schulen und die Bildungssenatorin sind auf die Studierenden
angewiesen, um die Ausfallquoten gering zu halten“, sagt Burkhard Sachse,
Lehrer und an der Uni Bremen lange Jahre zuständig für die
Fachdidaktik-Ausbildung am Institut für Geschichte. Er selbst ist nach
seiner Pensionierung noch einmal für zwei Jahre in den Schuldienst
zurückgekehrt.
Den Einsatz von Studierenden als vollwertige Lehrkräfte hält er für
„fatal“: „Natürlich ist Praxiserfahrung durch nichts zu ersetzen, deswegen
gehen auch viele Studierende hochmotiviert und begeistert an die Schulen.“
Doch das, was dann passiert, ist weder für die Studierenden noch für die
SchülerInnen hilfreich: „Die Studierenden tun dann oft das, was Lehrer
gerne tun, die in Not sind: Sie nehmen didaktische Halbfertigware, das
Lehrerhandbuch zum Schulbuch und Kopiervorlagen, die die SchülerInnen dann
bearbeiten sollen.“
Das aber habe mit Didaktik überhaupt nichts zu tun. „Man muss verstehen,
was Didaktik überhaupt ist“, sagt Sachse – nämlich „zum Wesen einer
Problemlage einen Lernprozess zu aktivieren, der bei den SchülerInnen auch
Spuren hinterlässt.“
## Allein vor der Klasse
Das sei keine Schuldzuweisung, aber das Fehlen didaktischer Ausbildung
führe dazu, dass die Lernergebnisse in Bremen „nicht besser, sondern
schlechter werden“. Zum Vergleich: „Wenn Sie mal überlegen, durch was für
eine Mühle die Referendare, die immerhin alle Kurse und Prüfungen schon
absolviert haben, gehen: Bis an die Grenzen der Belastung, und nicht alle
schaffen das.“ Die Rückmeldung von Mentoren und Seminargruppen sei dabei
unverzichtbar.
Seiteneinsteiger, wie auch die Studierenden, stehen hingegen allein vor der
Klasse, von Anfang an. „Das ist ein großes Problem“, sagt auch Christian
Gloede von der GEW. Der Erfolg hänge dabei „ganz stark“ von der jeweiligen
Schule ab: „Wie stark sind KollegInnen bereit, als Senior Partner zur
Verfügung zu stehen?“ Vieles passiere auf dem Rücken der KollegInnen, die
den Seiteneinsteigern mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Das kann aber kein
Privatengagement sein“, sagt Gloede und fordert für die betroffenen
KollegInnen zumindest eine Stundenentlastung.
## Gespräche über Qualifizierungsmaßnahmen
Das grundsätzliche Problem jedoch bleibt davon unberührt: Wie macht man aus
Fachleuten qualifizierte LehrerInnen? Das Motto im Moment: Augen zu und
durch. „Man muss diese fürchterliche Zeit überbrücken“, sagt Gloede. Das
LIS bietet für Seiteneinsteiger und Studierende begleitende Kurse zur
Fortbildung an. „Das ist aber noch nicht ausreichend, was da angeboten
wird“, sagt Gloede. Gespräche über weitere Angebote und die Ausgestaltung
der Qualifizierungsmaßnahmen laufen derzeit.
Der Didaktiker Sachse sagt: „Da wird herumdilettiert.“ Dass Studierende
eigenverantwortlich unterrichten, anstatt erst mal ihre Ausbildung an der
Uni zu beenden, um dann wiederum parallel Qualifizierungskurse beim LIS zu
absolvieren, hält Sachse für eine „doppelte Pervertierung, weil diese
Praxis damit auch noch legitimiert wird“.
## Unaufgeregte Eltern
Beim ZentralElternverband sieht man die Praxis des Seiteneinstiegs nicht so
dramatisch: „Unser Ziel an erster Stelle ist die Versorgung der Klassen mit
Personal und an zweiter die parallele Weiterqualifizierung dieses
Personals, sodass wir am Ende vollwertige Lehrkräfte in den Klassen stehen
haben“, sagt Pierre Hansen vom ZEB.
Zum Einen seien es gar nicht so viele Seiteneinsteiger, als dass sich das
bemerkbar machen würde, und einen Qualitätsunterschied nehmen die Kinder
nach Auffassung des ZEB auch nicht wahr: „Die meisten Schüler*innen haben
aber auch nicht bemerkt, dass sie in den letzten zwei Jahren von
Studierenden beschult wurden.“
Tatsächlich scheinen Proteste von Eltern gegen diese Praxis nicht besonders
laut. „Schüler können von einem fachlich dilettierenden, aber persönlich
engagierten Lehrer begeistert sein“, sagt Sachse. Die Bildungsdefizite
fallen erst später auf.
15 Aug 2018
## AUTOREN
DIR Karolina Meyer-Schilf
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