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       # taz.de -- Geflüchtete als Drogendealer: In der Illegalitätsfalle
       
       > Das Arbeitsverbot treibt viele Flüchtlinge in Grauzonen – sie wollen
       > nicht auf Zuwendungen warten, selber Geld verdienen.
       
   IMG Bild: Jagdszenen aus St. Pauli: Polizei nimmt einen Geflüchteten fest
       
       Wie soll man sie nennen – Dealer, Refugees, Händler, Westafrikaner,
       Schwarze, Nachbarn, Jungs? Schon an der Schwierigkeit, eine Bezeichnung für
       die jungen Männer zu finden, die aus westafrikanischen Staaten nach
       Deutschland geflüchtet sind und hier mit illegalisierten Substanzen
       handeln, lässt ahnen, wie schwierig die Lage ist.
       
       Tags und nachts stehen in den Szene- und Bahnhofsvierteln deutscher
       Großstädte wie Hamburg und Berlin schwarze Menschen auf der Straße und
       bieten Passant*innen Marihuana und andere Drogen an. Regelmäßig beschweren
       sich Anwohner*innen über den sichtbaren Handel vor ihrer Haustür, täglich
       patrouilliert die Polizei durch die Wohnviertel, jagt die Dealer um die
       Häuser, kontrolliert schwarze Menschen, die vorbeigehen oder sich im
       öffentlichen Raum aufhalten.
       
       Das stresst auch die Anwohner*innen – schwarze, weil sie sich nicht frei
       bewegen können, ohne ständig auf ihr „Anderssein“ verwiesen zu werden, und
       weiße, weil sie unter der massiven Polizeipräsenz leiden und sich über
       rassistische Kontrollen aufregen. Und es sät Streit in der Nachbarschaft:
       Müssen die Dealer weg, damit die Polizei verschwindet? Wo sollen sie hin?
       Warum kümmert der Staat sich nicht um sie? Wie kann man ihnen helfen? Wie
       verhält man sich in einem Konflikt, der so viele gesellschaftlich hart
       umkämpfte Themen berührt?
       
       Denn es geht nicht vorrangig um Drogen. Zwar verkaufen die Geflüchteten
       diese, aber nur, weil sie auf dem offiziellen Arbeitsmarkt keine Chance
       haben. Viele von ihnen haben italienische Papiere, die ihnen zwar
       Bewegungsfreiheit in Europa verschaffen, aber nicht die Erlaubnis zu
       arbeiten. Andere haben Asylverfahren in Deutschland am Laufen und sind in
       Flüchtlingsunterkünften in Heidelberg, Magdeburg, Bielefeld oder sonstwo
       gemeldet, wo sie es nicht aushalten, nutzlos und mittellos herumzuhängen
       und die Zeit totzuschlagen.
       
       ## Ende der Toleranz
       
       Mit Drogen würden sie am liebsten nichts zu tun haben, viel lieber würden
       sie eine Ausbildung machen oder studieren und ernsthaft Geld verdienen. Im
       Gegensatz zu manchen Linken, die versuchen, sie zu unterstützen, lehnen die
       unfreiwilligen Dealer weder den deutschen Staat noch Lohnarbeit im
       Turbokapitalismus ab, sondern wünschen sich nichts sehnlicher, als aktiv
       und legal daran teilzuhaben. Drogen verschmähen viele von ihnen schon aus
       religiösen Gründen.
       
       Aber wo Schwarze dealen, ist es mit der gesellschaftlichen Toleranz vorbei.
       Gras geht ja noch, aber spätestens bei Kokain ist Schluss mit dem
       Verständnis für die Notlage der Drogenarbeiter, die unter den prekärsten
       Bedingungen arbeiten: jeder Witterung ausgesetzt, ohne Zugang zu Toiletten,
       Wasser oder Strom, ohne jegliche soziale Absicherung, ständig auf der Hut
       vor der Polizei und gesellschaftlich geächtet – und das Ganze für einen
       Hungerlohn. Viele von ihnen sind zudem obdachlos.
       
       ## Sinnlose Energien
       
       Dass Weiße auch mit harten Drogen dealen, scheint hingegen nicht so zu
       stören – sie sind ja nicht sichtbar, denn sie arbeiten zu besseren
       Bedingungen. Weiße Dealer sind gut vernetzt und verkaufen zu Hause, in
       Autos, Klubs oder hinter Kneipentresen. Die Polizei gibt sogar zu, dass sie
       bei ihren Dauereinsätzen lediglich gegen den „öffentlich sichtbaren
       Drogenhandel“ vorgeht. Wenn aber der Handel im Verborgenen nicht so stört,
       geht es wohl doch nicht primär um Drogen, sondern um Rassismus. Gruppen von
       schwarzen jungen Männern stören das Straßenbild.
       
       Andererseits hat die Polizei auch eine schwierige Position. Solange der
       Handel mit Drogen außer Alkohol und Tabak als Straftat gilt, muss sie ihn
       verfolgen. Dass sie der international organisierten Drogenkriminalität
       nichts anhaben kann, indem sie die Letzten in der Handelskette triezt, ist
       dabei wohl allen Akteur*innen klar. Dementsprechend könnte die Polizei
       davon absehen, sinnlos Energien in die oft gewalttätige Verfolgung
       schwarzer Menschen zu stecken, die sich ihren Scheißjob ja nicht ausgesucht
       haben.
       
       Was allerdings im Rechtsstaat nicht sein dürfte, ist, dass die Gesetze für
       Schwarze anders ausgelegt werden als für Weiße. Dauernd landen
       Westafrikaner für den Besitz minimaler Mengen Marihuana in
       Untersuchungshaft. Wenn Mengen von einem halben oder einem Gramm bei Weißen
       gefunden werden, gilt das zu Recht als Eigenbedarf. Bei Schwarzen gehen
       Polizei und Justiz davon aus, dass sie gewerbsmäßig Handel treiben.
       
       ## Soziale Orte
       
       Das mag im Einzelfall zwar stimmen, aber wenn eine Menge nun mal als
       Eigenbedarf gilt und ihr Besitz folglich nicht strafbar ist, hat das auch
       für Schwarze zu gelten, alles andere kommt Rassengesetzen gleich.
       
       Für viele Schwarze in Hamburg sind die Orte im Park, in Bahnhofsnähe oder
       auf St. Pauli auch zu sozialen Orten geworden. Dort treffen sie Menschen,
       die ihre Geschichten teilen, mit denen sie auf ihrer Muttersprache reden
       und Solidarität erfahren können, die ihnen anderswo verwehrt wird. Viele
       Versuche ehrenamtlicher Helfer*innen, sie zu unterstützen, scheitern – man
       kann ihnen eine Handyladestation, eine Steckdose und ein Fahrrad zur
       Verfügung stellen und sie zur Anwältin begleiten.
       
       Aber was die Menschen am meisten brauchen, ist ein gesicherter
       Aufenthaltsstatus und die Erlaubnis, zu arbeiten. Und dafür braucht es eine
       andere Politik.
       
       Den ganzen Wochenendschwerpunkt zum Thema „Illegale Flüchtlingsarbeit“
       lesen in der Druckausgabe oder [1][hier.]
       
       24 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!p4350/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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