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       # taz.de -- Hannover 96 erdet Werder Bremen: Henne, der Werderwellenbrecher
       
       > Die schier grenzenlose Werder-Euphorie hat nach dem 1:1 gegen Hannover 96
       > einen Dämpfer erlitten. Hannovers Torschütze kickte vor vier Jahren noch
       > in der Kreisliga.
       
   IMG Bild: Kann sein Glück noch nicht richtig fassen: Hannover Torschütze Hendrik Weydandt
       
       Bremen taz | Hätte die Sommerpause in der Fußball-Bundesliga auch nur eine
       Woche länger gedauert – bei Werder Bremen wäre möglicherweise die
       Meisterschaft als Saisonziel ausgerufen worden. Wie eine Welle baute sich
       die Erwartungshaltung über Monate ungebrochen auf. Die spielerischen
       Fortschritte unter Trainer Florian Kohfeldt, der die Mannschaft im Herbst
       auf dem vorletzten Tabellenplatz übernommen hatte, nährten zunächst die
       Überzeugung, mit dem Abstiegskampf künftig nichts mehr zu tun haben.
       
       Nachdem Stars wie Jiři Pavlenka und Max Kruse gehalten wurden und mit
       Martin Harnik, Yuya Osako und Davy Klaassen vielversprechendes
       Offensivpersonal dazugeholt wurde, galt ein einstelliger Tabellenplatz als
       machbar. Dann überstand Werder souverän die erste Runde im DFB-Pokal und
       kurz vor dem Spiel gegen Hannover 96 ließ Geschäftsführer Frank Baumann die
       Katze aus dem Sack: „Wir wollen nach Europa“, sprach er aus, was viele
       schon längst dachten.
       
       Wie eine Welle versuchte Werder am Samstag auch, sein Spiel aufzubauen.
       „Kontrolle, Geduld, Tempo“ nannte Kohfeldt den Dreiklang, mit dem die
       Mannschaft das dicht gesponnene Abwehrnetz der Hannoveraner überwinden
       sollte. Bis zum Strafraum sah das auch meist flüssig aus, mit viel
       Ballbesitz, Positionswechseln und ansehnlichen Kombinationen. Zwingende
       Torchancen kreierten die Bremer dabei allerdings kaum. Wenn das Spiel aus
       der Kontrolle heraus Fahrt aufnahm, um die Flügel oder Halbpositionen in
       Tornähe zu bringen, fehlte meist die Präzision.
       
       „Kontrolle und Geduld haben gut geklappt, die Tempoaktionen nicht so“,
       sagte Kohfeldt nach dem Spiel. Dennoch schien die Bremer Führung lange nur
       eine Frage der Zeit zu sein. Erst recht, nachdem Kohfeldt in der 67. Minute
       Rückkehrer Claudio Pizarro als zweite Spitze neben Osako einwechselte, um
       mehr Gefahr im Strafraum zu entfachen. „Mit ihm gab es eine Veränderung in
       unserem Spiel, wir sind besser in die Box gekommen“, sagte Kohfeldt.
       
       ## Von der Euphorie- zur Erfolgswelle?
       
       Die Bälle wurde nun auch mal etwas länger in den Strafraum geschlagen, wo
       der Peruaner gleich zweimal zu gefährlichen Abschlüssen kam. Die
       Einwechslung Pizarros änderte nicht nur die Statik auf dem Spielfeld. Schon
       als der fast 40-Jährige sich von der Außenlinie auf den Weg zur
       Einwechslung machte, erfasste die Arena ein Energieschub, der vom Publikum
       auf die Spieler übersprang.
       
       Zum Wellenbrecher wurde ein Spieler, den kaum jemand außerhalb Hannovers
       bis zu diesem Zeitpunkt gekannt hatte. Erst Sekunden vorher eingewechselt,
       stand Hannovers Stürmer Hendrik Weydandt nach einer missglückten
       Abseitsfalle der Grün-Weißen in der 76. Minute plötzlich allein vor
       Pavlenka und schob den Ball überlegt an ihm vorbei.
       
       Weydandt spielte vor vier Jahren noch in der Kreisliga, war vor der Saison
       aus der Oberliga verpflichtet worden und eigentlich für die U23-Mannschaft
       der Hannoveraner eingeplant. Nachdem der 23-Jährige bereits im DFB-Pokal
       doppelt traf, hat er mit seinen ersten drei Ballkontakten im Profifußball
       nun drei Tore gemacht. 96-Boss Martin Kind soll „Henne“, wie er genannt
       wird, spontan einen Profi-Vertrag angeboten haben.
       
       ## Matchwinner aus der Kreisliga
       
       Zum kompletten Stimmungskiller für die Bremer wurde der
       Überraschungsstürmer nicht, weil Werder zumindest Teil zwei des
       Kohfeldt-Dreiklangs zu Ende spielte. Die Mannschaft behielt die Geduld,
       sich neben mehreren guten Gelegenheiten noch eine Großchance zu erarbeiten,
       die Theodor Gebre Selassie in der 85. Minute verwandelte. Das änderte
       nichts daran, dass die Bremer Spieler das Ergebnis eher als Niederlage
       werteten.
       
       Gewonnen haben bei diesem Unentschieden dagegen die Fußball-Romantiker. Das
       Spiel hatte zwei Protagonisten, die nach den Gesetzen des modernen Fußballs
       eigentlich gar nichts auf dem Platz verloren hätten: Henne, der Nobody, und
       Claudio, der Ewige. Der größte Jubel brandete auf, als die lebende
       Werder-Legende einen verlorenen Ball mit Grätsche und anschließender
       Sitzpirouette zurückeroberte und in aller Ruhe weiterspielte. Irgendwo im
       Mittelfeld.
       
       26 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Lorenzen
       
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