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       # taz.de -- Verhaftungen von Oppositionellen: Nicaraguas Regime schlägt zurück
       
       > Polizisten und paramilitärische Gruppen haben die Barrikaden der
       > Regierungskritiker geräumt. Nun werden Oppositionelle terrorisiert.
       
   IMG Bild: Oppositionelle wie diese DemonstrantInnen werden von Ortegas Regime terrorisiert
       
       Managua taz | Wer in diesen Tagen in Nicaraguas Hauptstadt Oppositionelle
       treffen will, verbringt viel Zeit in Cafés, Hinterzimmern und
       Einkaufszentren. Kaum jemand lebt zu Hause, viele wollen sich nicht
       öffentlich zeigen, die großen Universitäten sind geschlossen. Doch dieses
       Mal ist das Warten umsonst. „Ich kann aus Sicherheitsgründen nicht kommen“,
       schreibt Edwin, den alle als „El Sombrerito“ kennen. „Ein Auto mit zwei
       seltsamen Personen verfolgt mich.“
       
       Es ist der 22. August. Im Zentrum Managuas sind Anhänger der regierenden
       Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) auf den Straßen. Mit schwarz-roten
       Fahnen ziehen sie durch die Innenstadt. Präsident Daniel Ortega hat zur
       Kundgebung zum 40. Jahrestag des Sieges der Sandinisten aufgerufen. Ein
       gefährlicher Moment für einen bekannten Studenten wie Edwin.
       
       Vom Podium ruft Ortega, „vergiftete Seelen“ hätten einen bewaffneten
       Aufstand gegen das Volk organisiert. Die Botschaft kommt an: „Mörder,
       Mörder, Mörder“, brüllen die Anhänger des Präsidenten.
       
       Kurz zuvor hat Ortegas Frau, Vizepräsidentin und Kommunikationschefin
       Rosario Murillo, im Regierungssender Canal 4 von „Perversen“, „Bösartigen“
       und „Neidischen“ gesprochen, die Nicaragua zerstören wollten: „Sie haben es
       nicht geschafft, und sie werden es nicht schaffen. Das können wir ganz
       sicher ausschließen, weil es nicht Gottes Wille ist.“ Dann verliest sie
       religiöse Parolen.
       
       ## Zehntausende auf der Flucht
       
       Nicaraguas Regime rächt sich. [1][Ende Juli räumten Polizisten und
       paramilitärische Gruppen die letzten Barrikaden] und drängten damit einen
       vier Monate dauernden Protest von Studenten, Bauernorganisationen,
       Feministinnen und anderen Regierungskritikern von den Straßen Nicaraguas
       zurück. Dieser hatte sich zunächst gegen die Sozialreformen der Regierung,
       insbesondere gegen die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge, gerichtet.
       
       Seither vergeht kein Tag, an dem nicht [2][Oppositionelle verhaftet und
       terrorisiert werden]. Ständig verlassen Menschen das Land, weil sie sich
       ihres Lebens nicht mehr sicher sind: Kirchenvertreter und Politikerinnen,
       studentische Aktivisten oder deren Angehörige. Mehrere Zehntausend Menschen
       sind auf der Flucht.
       
       Vergangene Woche flüchtete der Pfarrer César Augusto Gutiérrez, um, wie
       er sagte, der „Operación Limpieza“, der „Operation Säuberung“, zu entgehen.
       Dem Geistlichen, der im rebellischen Stadtteil Monimbó von Masaya tätig
       war, wirft die Regierung Terrorfinanzierung vor. „Total absurd“, sagt
       Gutiérrez, dessen Kirche in diesen Tagen einen verwaisten Eindruck macht.
       
       Seit Paramilitärs die Kontrolle in dem Viertel übernommen haben, sind die
       Einwohner vorsichtig geworden. Als die Barrikaden noch standen, sei es hier
       sicherer gewesen, erklärt eine junge Frau, die auf der Straße Maisfladen
       verkauft. „Doch jetzt patrouillieren die da“, sagt sie und wirft einen
       vorsichtigen Blick auf einen Pick-up mit drei Männern. „Die Regierung zahlt
       ihnen 10.000 Cordobas im Monat.“ 300 Euro, um die Bevölkerung zu
       terrorisieren.
       
       ## Einige verschwunden, andere in Haft
       
       Von 1.000 illegalen Festnahmen und einer „Menschenjagd“ spricht Vilma Nuñez
       von der Menschenrechtsorganisation CENIDH. Maskierte Paramilitärs,
       „freiwillige Polizisten“ genannt, und Uniformierte dringen in Wohnungen ein
       und verschleppen Leute. Einem festgenommenen 14-Jährigem ritzten die
       Polizisten vergangene Woche die Buchstaben FSLN mit einem Messer in den
       Arm.
       
       Einige sind bis heute verschwunden, andere sitzen in Haft. Rechtsanwalt
       Carlos Cárdenas Zepeda zum Beispiel beriet die katholischen Bischöfe
       während des inzwischen ausgesetzten „Nationalen Dialogs“ zwischen
       Opposition und Regierung. Vergangene Woche holten ihn Vermummte aus seiner
       Wohnung.
       
       „Sie zerrten ihn vor den Augen seiner zehnjährigen Tochter aus dem Haus“,
       berichtet sein Kollege Francisco Ortega, der sich um den Fall kümmert. Zwei
       Tage lang suchte er nach Zepeda. Dann machte er den Juristen im „El
       Chipote“ ausfindig – jenem Gefängnis von Managua, in dem mehrere
       Studentinnen gefoltert wurden.
       
       Vergeblich versuchte der Anwalt zu erreichen, dass Zepedas Frau ihren Mann
       besuchen kann. Das nötige Dokument hat er eingereicht. „Aber hier kümmert
       sich niemand um das Recht“, sagt er, während er mit ihr vor dem blauen
       Gittertor des Gefängnisses steht. Am Zaun des „Chipote“ hat die Regierung
       die Bilder von Polizisten aufhängen lassen, die während der Unruhen
       gestorben sind.
       
       ## Keine Ruhe
       
       Neben den Fahnen der FSLN haben sich angebliche Angehörige der Beamten
       versammelt, die ein scharfes Vorgehen gegen die „Terroristen“ fordern. „Das
       sind bezahlte Leute der Sandinisten, ich kenne einige von ihnen,“ erklärt
       der Anwalt.
       
       Der 55-Jährige kommt in diesen Tagen nie zur Ruhe. Ständig klingelt sein
       Handy, oft geht es darum, Verschleppte ausfindig machen. Dabei kümmert er
       sich schon jetzt um acht Familien, deren Söhne während der Proteste
       erschossen wurden. Wie viele seiner Generation hat er einst in der FSLN
       gekämpft – damals, als es gegen Somoza und die Contras ging.
       
       Dreimal wurde er verwundet, er geht am Stock und trägt eine Beinprothese.
       „Ich bin immer noch Sandinist“, sagt er. „Nur kein Orteguist.“ Seine
       ehemaligen Genossen werfen ihm vor, von der CIA finanziert zu werden, weil
       er „die Terroristen“ verteidige. Francisco Ortega kann darüber nur lachen.
       Ihn besorgt eher, dass zwei seiner Kinder das Land verlassen mussten.
       
       Auch die Geschwister von Iskra Malespín haben Nicaragua verlassen. „Zwei
       maskierte Typen sind in unser Haus eingestiegen und haben mich gesucht,
       aber ich war nicht da“, berichtet die junge Frau. Seither ist sie nicht
       mehr zu Hause gewesen.
       
       ## Verfolgung an der Universität
       
       Malespín schrieb gerade ihre Abschlussarbeit, als die Studenten am 18.
       April das erste Mal auf die Straße gingen. „Am Anfang verteidigten wir uns
       mit unseren Kugelschreibern, später mit selbst gebauten Geschossen, die
       niemanden töten“, erklärt sie. Dass ihre akademische Karriere jetzt vorerst
       beendet ist, ist ihr egal.
       
       „Einige Kommilitonen sind gestorben, andere sind auf der Flucht und können
       nicht zur Uni gehen“, sagt sie selbstbewusst und schiebt ihr langes,
       lockiges Haar zur Seite. „Ich will nicht an einer Universität studieren,
       die in Blut getränkt ist.“
       
       Iskra lebt mit 46 weiteren Kommilitonen in einem „Sicherheitshaus“
       außerhalb der Stadt. Ein Gebäude, das die Polizei nicht kenne, meint sie.
       Sie muss jeden Schritt genau abwägen. Als Aktivistin der Studentenbewegung
       steht sie auf der Liste der staatlichen Häscher, von der
       Interamerikanischen Menschenrechtskommission erhält sie Schutzmaßnahmen.
       
       Der rege Anwalt Francisco Ortega hatte weniger Glück. Kurz nach seinem
       Treffen mit der taz wurde er von Paramilitärs kurzzeitig festgenommen.
       Mittlerweile ist er wieder auf freiem Fuß.
       
       Dieser Artikel wurde aktualisiert um 16.07 Uhr.
       
       27 Aug 2018
       
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