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       # taz.de -- Entwicklung der Wirtschaft: Das Entwicklungsland Berlin holt auf
       
       > Die Wirtschaft brummt. Damit das so weiter geht, will Senatorin Pop
       > Grundstücke für neue Standorte kaufen. Auch beim Internetzugang hapert
       > es.
       
   IMG Bild: Hallo High-Tech: Senatorin Pop (Grüne) bei einem Besuch der Firma B. Braun Melsungen AG Pharma Division.
       
       Noch vor wenigen Jahren war Wirtschaftssenatorin kein besonders begehrter
       Job. In schöner Regelmäßigkeit bekam Berlin von Bundesministern oder aus
       Süddeutschland vorgehalten, dass es ökonomisch gesehen ja eher
       Entwicklungsland sei. Und so ganz falsch war (und ist) das nicht.
       Allerdings hat sich inzwischen einiges entwickelt, und so konnte
       Wirtschaftssenatorin Ramona Pop diese Woche mit der Verkündung äußerst
       guter Zahlen und Prognosen beginnen.
       
       „Im vierten Jahr in Folge ist die Wirtschaft in Berlin stärker gewachsen
       als im Bundesdurchschnitt“, sagte die Grünenpolitikerin bei der Vorstellung
       des Wirtschafts- und Innovationsberichts 2017/2018 am Montagmorgen. Im
       vergangenen Jahr seien es 3,1 Prozent Wachstum gewesen, im Bund waren es
       lediglich 2,2 Prozent. Ähnlich positiv soll es 2018 weitergehen: Pops
       Verwaltung geht von einem Plus von 2,7 Prozent aus; für den Bund wird mit
       2,3 Prozent gerechnet.
       
       Dank der guten Entwicklung steigt das Angebot an
       sozialversichungspflichtigen Jobs, laut Pop selbst für Menschen, die schon
       lange arbeitslos sind. Laut dem Bericht wurden 2017 knapp 41.000
       Unternehmen gegründet; gut 32.100 gaben auf. Die Zahl der Erwerbstätigen
       stieg um 58.000; die Arbeitslosenquote lag 2017 bei 9,0 Prozent.
       
       Gerade dieser Rückgang – 2007 lag die Quote noch bei 15,5 Prozent – sei
       eine „sehr gute Botschaft für die Stadt“. Und darüber hinaus, in Richtung
       des Bundes und Süddeutschlands: Aufgrund der steigenden Einnahmen aus Lohn-
       und Gewerbesteuer verfüge Berlin über deutlich mehr Finanzmittel „aus
       eigener Kraft“ als noch vor einigen Jahren.
       
       Folglich spricht Ramona Pop von Berlin als einer „Boomtown“. Allerdings
       muss auch sie zugeben, dass das Wachstum nicht nur konjunkturell bedingt
       sei, sondern teilweise schlicht ein „Aufholprozess“, bedingt durch die
       starken strukturellen wirtschaftlichen Probleme der Stadt nach der
       Wiedervereinigung 1990, als ein großer Teil der Industrie abgebaut wurde
       oder vorher schon pleite ging.
       
       Zu diesem Aufholprozess gehört auch, dass jedes Jahr „30.000 bis 50.000
       Menschen aus aller Welt“ des Jobs wegen nach Berlin kommen. In der Folge
       entsteht Konkurrenz: Die Neu-Berliner brauchen Wohnungen (die es bisher
       nicht gibt), viele Unternehmen wollen erweitern und benötigten Platz – der
       wiederum auch für neue Wohnungen oder neue Schulen oder sonstige
       Infrastruktur verwendet werden könnte. So kämpfen im rot-rot-grünen Senat
       viele Senatorinnen und Senatoren um das gleiche knappe Gut: den Platz in
       der Stadt.
       
       Öffentlich wurde dieser Konflikt zuletzt Anfang Juli im Fall von Pop und
       Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), die auf dem neun
       Hektar großen ehemaligen Knorr-Bremsen-Areal in Marzahn Wohnungen bauen
       wollte, während Pop es als Wirtschaftsstandort erhalten wollte. Der
       Kompromiss sieht vor, dass dort beides hinkommt, und Pop kündigte am Montag
       an, solche Auseinandersetzungen künftig leiser lösen zu wollen.
       
       ## 50 Millionen Euro für weitere Standorte
       
       Zudem will sie dank 50 Millionen Euro aus einem Fördertopf Grundstücke und
       Erbbaurechte kaufen. Wie weit sie mit dieser Summe angesichts der
       steigenden Preise für Bauland komme, werde man sehen müssen, so die
       Senatorin, und betonte: „Das ist ein Anfang.“
       
       Am Anfang steht auch noch der Ausbau der Breitbandnetze für schnelles
       Internet. Zwar ist die Lage in Berlin gar nicht so schlecht: Laut dem
       Innovationsbericht sind 97 Prozent der Unternehmen und immerhin 90 Prozent
       der Privathaushalte mit Verbindungen von mindestens 50 MBit pro Sekunde
       versorgt. Allerdings sei die sogenannte letzte Meile „überwiegend noch
       nicht mit Glasfaser ausgebaut“. Das ist eigentlich Aufgabe privater
       Unternehmen, etwa der Telekom.
       
       Laut einer Unfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) vom Herbst 2017
       benötigt jedes dritte Unternehmen in Berlin eine höhere Bandbreite, als ihm
       aktuell zur Verfügung steht. „Vernetzte Anwendungen in der Industrie oder
       autonomes Fahren für die Mobilität der Zukunft funktionieren nicht mit 50
       Megabit pro Sekunde“, kritisiert IHK-Präsidentin Beatrice Kramm.
       
       Senatorin Pop will das Problem unter anderem mit einem „Breitband-Dialog“
       angehen, in den alle beteiligten Akteure eingebunden sein sollen. Die IHK
       begrüßt diesen Vorstoß als „zwingend notwendig“. „Aktuell hapert es nicht
       aber an der Erkenntnis, sondern an der Umsetzung durch den Senat“, sagt
       eine IHK-Sprecherin.
       
       27 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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