# taz.de -- Rechte Aufmärsche in Chemnitz: Schon wieder Sachsen
> Nach einem Streit mit Todesfolge in Chemnitz rufen Rechte zu Demos auf.
> Kurz darauf sind Hunderte unterwegs. Eine Fallrekonstruktion.
IMG Bild: Polizisten nach dem Abbruch des Stadtfests in Chemnitz. Zunächst schienen sie überfordert
Es beginnt, wie so häufig, mit einer Unklarheit, die am Ende hunderte
Menschen auf Chemnitz’ Straßen treiben wird. Viele von ihnen – Männer,
Frauen, Kinder – laufen an diesem Sonntagabend schweigend hinter der großen
Masse her. Andere – meist Männer – skandieren rechtsextreme und
ausländerfeindliche Parolen, gehen auf Polizisten los und auf Menschen, die
irgendwie nach Ausländern aussehen.
„Ihr Kanaken!“
„Ihr Fotzen!“
„Scheißbullen!“
Das sind einige der Rufe, die auf Videos, die später im Internet kursieren,
immer wieder zu hören sind. Und: „Wir sind das Volk!“ „Das ist unsere
Stadt!“
Einmal sagt auch jemand: „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer!“
Als am Montag die Bilder von Chemnitz im Netz kursieren, als die
Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufgenommen hat und Sachsens
Innenminister eine Stellungnahme ankündigt, ist der Freistaat Sachsen –
gerade erst wegen seines Umgangs mit Journalisten in der Kritik – schon
wieder ein Fall für die Bundesregierung geworden. Angela Merkels Sprecher
Steffen Seibert sitzt in Berlin vor der Presse und sagt: „Solche
Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer
Herkunft oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen
wir nicht hin, das hat bei uns in unseren Städten keinen Platz.“ [1][Schon
wieder: Sachsen.]
Noch ist nicht abschließend geklärt, wie genau der Streit begann und was
sich schließlich in der Nacht auf Sonntag gegen 3.15 Uhr in der
Brückenstraße in Chemnitz abgespielt hat, eines jedoch ist klar. Am Ende
einer Auseinandersetzung zwischen Männern unterschiedlicher Nationalitäten,
so bestätigt es später die Polizei, werden drei von ihnen schwer verletzt
ins Krankenhaus gebracht. Einer von ihnen, ein Mann mit deutsch-kubanischer
Herkunft und deutscher Nationalität, ein Tischler, 35 Jahre alt, stirbt
dort.
## Aufruf von rechter Fangruppe
Gegen einen 23-jährigen Syrer und einen 22-jährigen Iraker [2][beantragt
die Staatsanwaltschaft Chemnitz am Montag einen Haftbefehl.] Sie seien
dringend verdächtig, nach einem Streit ohne Grund mehrfach mit einem Messer
auf den Mann eingestochen zu haben.
Dieser Vorfall ist auch der Grund, warum noch am Sonntag in Chemnitz ein
Stadtfest abgebrochen wird. Es ist das Geburtstagsfest der Stadt.
Angeblich, so heißt es, wird das Fest aus Pietät abgebrochen, wegen des
Toten. Doch tatsächlich drängt zu diesem Zeitpunkt die Polizei auf einen
Abbruch – aus Sicherheitsgründen. Denn in rechten Foren und in
rechtsextremen Gruppen mobilisieren „besorgte Bürger“ und organisierte
Rechtsextreme zu Spontandemonstrationen in die Stadt.
Auch die Ultra-Vereinigung Kaotic Chemnitz ruft im Internet dazu auf, in
die Stadt zu ziehen. In einer Botschaft bei Facebook schreibt [3][die
rechte Fangruppe mit großer Nähe zur rechtsextremen Szene:] „Lasst uns
zusammen zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat! Ehre Treue Leidenschaft
für Verein und HEIMATSTADT“. Kurze Zeit später sind in Chemnitz Hunderte
Menschen unterwegs. Und die Polizei hat die Lage nicht unter Kontrolle.
## Deutschlandpolitikum
Zu diesem Zeitpunkt ist der tote Mann aus der vorangegangenen Stadt bereits
nur noch ein „Deutscher“. Und die, die ihn umgebracht haben, sind
„Ausländer“ – oder wie ein Bundestagsabgeordneter der AfD noch Sonntagnacht
an seinen Twitter-Account heften wird: „Todbringende Messermigranten.“ Zu
diesem Zeitpunkt berichten Augenzeugen bereits via Twitter davon, dass
Rechtsextreme im Schutze der Masse auf mutmaßlich ausländisch wirkende
Menschen losgegangen seien, sie beschimpften und bedroht hätten.
Am Montag dann ist der Fall ein Deutschlandpolitikum. Sachsens
Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, schreibt via Twitter: „Es ist
widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt
aufrufen.“
Und tatsächlich: Für Montagnachmittag riefen erneut diverse rechte und
rechtsextreme Gruppen nach Chemnitz – unter ihnen ein Aufruf der
nationalsozialistischen Partei „III. Weg“, die vom Verfassungsschutz
beobachtet wird und sich zuletzt am 1. Mai unter großer öffentlicher
Aufmerksamkeit in Chemnitz inszenierte. Zum Tag der Arbeit hatten die
Neonazis, überwiegend Männer, in Chemnitz Rechtsextreme aus ganz
Deutschland um sich gescharrt, um für einen nationalen Sozialismus in
Deutschland zu demonstrieren.
Zu weiteren Protesten und Mahnwachen für Montagabend riefen auch die
Identitäre Bewegung Sachsen, Rechtsextreme vom sogenannten „Tag der
deutschen Zukunft“ oder die rechte Kampfsportgruppe Imperium Fight Team
auf, deren Mitglieder unter anderem als Hooligans durch den Neonazi-Angriff
im Leipziger Stadtteil Connewitz bekannt sind.
## Ohne Kontrolle
Auch das Bündnis Chemnitz Nazifrei rief für Montagabend zu einer Kundgebung
auf – um sichtbar gegen die Rechtsextremen Stellung zu beziehen. Diverse
antifaschistische Gruppen aus Chemnitz, aber auch aus Leipzig und Dresden
riefen dazu auf, sich den Rechtsextremen in den Weg zu stellen, damit
Szenen wie in Rostock-Lichtenhagen 1992 sich nicht in Chemnitz wiederholen
könnten – und der rechte Mob ohne Kontrolle durch die Straßen zieht und
Jagd auf MigrantInnen macht.
Die Polizei, die am Sonntag noch überfordert schien und mit deutlich zu
wenigen Beamten vor Ort war, kündigte für Montagabend an, über
„ausreichende Einsatzkräftezahlen“ zu verfügen.
27 Aug 2018
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Martin Kaul
DIR Sarah Ulrich
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