# taz.de -- In Russland inhaftierter Oleg Senzow: Gnadengesuch eiskalt abgelehnt
> Die Mutter des ukrainischen Filmemachers Oleg Senzow versucht vergeblich,
> ihren Sohn frei zu bekommen. Der ist weiter im Hungerstreik.
IMG Bild: Kundgebung für die Freilassung von Oleg Senzow im vergangenen Juli in Odessa
Berlin taz | Der Kreml hat ein Gesuch der Mutter des in Russland
inhaftierten ukrainischen Filmemachers Oleg Senzow abgelehnt, ihren Sohn zu
begnadigen und auf freien Fuß zu setzen. Der ukrainische Fernsehsender
Hromadske TV veröffentlichte ein Antwortschreiben Moskaus an Ljudmilla
Senzowa. Ihr Antrag sei abgelehnt worden, da laut russischer Gesetzgebung
ein Verurteilter persönlich um Begnadigung bitten müsse, hieß es zur
Begründung.
Senzow – ein erklärter Kritiker der völkerrechtswidrigen Annexion der
ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im März 2014, war 2015 von einem
Gericht zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Seine Strafe verbüßt er
in der Strafkolonie IK-8 bei Labytnangi am Polarkreis.
Angeblich soll er in Simferopol auf der Krim zwei Vertretungen
pro-russischer Organisationen in Brand gesetzt sowie dort weitere
Terroranschläge geplant haben. Diesbezügliche Geständnisse von
Mitangeklagten waren unter Folter erpresst worden.
Senzow hatte seinen Prozess von Anfang an als „politisch motiviert“ und
sich selbst als unschuldig bezeichnet – weswegen er es ablehnt, um
Begnadigung zu bitten. [1][Seit Mitte Mai befindet sich der 42jährige im
Hungerstreik], um die Freilassung von 64 in Russland inhaftierten Ukrainern
zu erreichen.
## Akutes Organversagen
Mittlerweile hat Senzow über 30 Kilogramm Körpergewicht verloren. Angaben
eines ihn behandelnden Arztes zufolge besteht jederzeit die Gefahr akuten
Organversagens.
Irina Geraschtschenko, Vize-Sprecherin des ukrainischen Parlaments,
bezeichnete die Antwort des Kreml an Senzows Mutter als „zynisch“ und
bezichtigte Moskau der Lüge. Für eine Begnadigung sei ein persönliches
Gnadengesuch des Verurteilten keine Voraussetzung, schrieb sie auf ihrer
Facebook-Seite und erinnerte in diesem Zusammenhang den Fall der
ukrainischen Kampfpilotin Nadja Sawtschenko.
Diese war 2014 als Mitglied des paramilitärischen Bataillons Ajdar bei
einem Gefecht mit prorussischen Kämpfern in der Ostukraine gefangen
genommen und an eine Haftanstalt im russischen Woronesch überstellt worden.
Die russischen Behörden ermittelten gegen sie wegen des Verdachts der
Beteiligung an mehrfachem Mord, da Sawtschenko am 17. Juni einen
Mörserangriff koordiniert haben soll, bei dem zwei russische Journalisten
getötet wurden. Im Mai 2016 wurde sie im Austausch gegen zwei russische
Gefangene freigelassen.
## Langsamer Mord
Sawtschenko selbst habe mitnichten um Begnadigung gebeten, sondern
Verwandte der getöteten Journalisten. „Und das klappte, weil es dem
Szenario des Kreml folgte. Die Kremlherren sind Mörder. Die Russische
Föderation realisiert jetzt das Szenario eines langsamen Mordes an Oleg“,
schreibt Geraschtschenko weiter.
Unterdessen hat die Europäische Filmakademie an Russlands Präsidenten
Wladimir Putin appelliert, den politischen Gefangenen Senzow frei zu
lassen. „Die Stimmen tausender Menschen auf den Straßen von mehr als 30
Ländern sind bislang ungehört geblieben. Was muss eigentlich noch
passieren, damit die Macht endlich ihr menschliches Antlitz zeigt. Herr
Präsident, seien Sie barmherzig und lassen Sie Oleg Senzow frei“, steht in
dem Appell, aus dem das Nachrichtenportal der ukrainischen Wochenzeitung
Zerkalo Nedeli zitiert. Bislang stellte sich Putin taub. Ob das so bleibt?
Zumindest eins steht fest: Viel Zeit bleibt Senzow nicht mehr.
15 Aug 2018
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## AUTOREN
DIR Barbara Oertel
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