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       # taz.de -- Kunstfreiheit in Kuba eingeschränkt: Zurück in die grauen Jahre
       
       > In Kuba gehen kritische Künstler gegen das Gesetz 349 auf die Straße. Sie
       > befürchten, dass unabhängige Kulturprojekte bald Vergangenheit sind.
       
   IMG Bild: Performances im öffentlichen Raum machten Künstlerin Tania Bruguera bekannt, nun sind sie bedroht
       
       Das Wort „No“ und die Ziffern 3, 4 und 9 hielten sieben Künstler auf den
       Stufen des Capitolio in der vergangenen Woche in die Kameras. Danach
       präsentierten sie ihren mehrseitigen Protestbrief gegen das Gesetz 349, den
       sie zuvor im Parlament, bei der Staatsanwaltschaft und im Kulturministerium
       abgegeben hatten. Unter den sieben befindet sich Amaury Pacheco, Poet und
       Performancekünstler, der sich seit Anfang der 1990er Jahre für unabhängige
       Strukturen in Havannas Kulturszene engagiert. „Mit dem Gesetz wird in Kuba
       die Uhr zurückgestellt. Wir drohen von der Politik zurück in die grauen
       Jahre Anfang der 1970er Jahre geschickt zu werden – als die Kultur unter
       den Argusaugen der Zensur verkümmerte“, kritisiert der Mann mit dem
       graumelierten Vollbart und den kurzen Dreadlocks.
       
       Dafür macht Pacheco das Gesetz mit der Nummer 349 verantwortlich, welches
       am 10. Juli in der Gaceta Oficial, dem offiziellen Mitteilungsblatt der
       Republik Kuba veröffentlicht wurde. Das aus fünf Kapiteln bestehende Gesetz
       definiert neue Standards für künstlerische Dienstleistungen und schreibt
       vor, dass alle Künstler, die in der Öffentlichkeit auftreten, „eine
       Bewilligung der sie vertretenden staatlichen Kulturinstitution vorweisen
       müssen“.
       
       Für Pacheco und die zehn Künstler, die die Beschwerde gegen die
       Implementierung des Gesetzes mit der Nummer 349 eingereicht haben, ist das
       ein Eingriff in die Freiheit der Kunst. „Fortan entscheiden die staatlichen
       Institutionen, ob du Teil des Kunstbetriebs bist oder nicht. Das ist in
       Kuba nichts wirklich Neues, aber das Gesetz bietet zahlreiche Handhaben für
       die Kriminalisierung der Künstler. Es ist ein massiver Eingriff in die
       Freiheit der Kunst“, kritisiert Pacheco. Er befürchtet, dass Räume, in
       denen unabhängige Kunst präsentiert und produziert wird, Galerien, kleine
       Studios und damit Auftrittsmöglichkeiten verschwinden könnten.
       
       Performances im öffentlichen Raum mit denen Künstlerkollektive wie „Omni
       Zona Franca“ oder Tania Bruguera national und international bekannt wurden,
       sind mit dem neuen Gesetz kaum zu vereinbaren. Das bietet konkrete Handhabe
       zur Kriminalisierung der Künstler. So könnten Aufführungen beendet, das
       Equipment beschlagnahmt und Geldstrafen von bis zu 2.000 Peso nacional
       (umgerechnet 80 US-Dollar) verhängt werden.
       
       ## „Kunst zum Verbrechen“
       
       „Das Gesetz macht Kunst zum Verbrechen“, kritisiert Tania Bruguera. Die
       international bekannte Performance-Aktivistin hat vor rund 18 Monaten das
       unabhängiges Kunstzentrum „Hannah Arendt“ in ihrem Elternhaus in Havannas
       Altstadt gegründet. Das wurde zu erheblichen Teil durch Crowdfunding
       finanziert und bietet kritischen Kunstaktivisten eine Plattform.
       Initiativen, die mit dem Gesetz Nr. 349 kaum zu vereinbaren sind, so
       Bruguera gegenüber dem französischen Radiosender RFI. „In Kuba wird die
       Zensur legalisiert, und Künstler werden systematisch kriminalisiert. Es
       geht darum, alle zu kontrollieren, die sich gegen die offizielle Ideologie
       stellen.“
       
       Die im Gesetz enthaltenden Formulierungen legen das nahe. Diese kritisieren
       auch Pacheco und seine zehn Mitunterzeichner der offiziellen Beschwerde.
       Sie monieren, dass „Inhalte, die die kulturellen und ethischen Werte
       verletzten“, sanktioniert werden können, und fragen, wer diese definiert
       und interpretiert. „Ich denke, dass das Gesetz ein Rückgriff in die ersten
       Jahre nach der kubanischen Revolution ist, als Fidel in seiner Rede an die
       Intellektuellen festlegte, was sie dürfen und was nicht: Innerhalb der
       Revolution alles, gegen die Revolution nichts, waren seine Worte“,
       kritisiert Pacheco.
       
       Er sieht die künstlerische Freiheit in Kuba durch das Gesetz bedroht und
       gehört zu den Aktivisten, die mit einer Performance vor dem Capitolio und
       einem Konzert in der Altstadt von Havanna auf das Gesetz aufmerksam machen
       wollten. Beide Aktionen wurden von der Polizei unterbunden, und dieses
       Vorgehen hat auch Amnesty International alarmiert. Die
       Menschenrechtsorganisation hat sich in einer Erklärung, die vor vier Tagen
       veröffentlicht wurde, mit den Künstlern solidarisiert.
       
       Die berufen sich in ihrer offiziellen Beschwerde auf die kubanische
       Verfassung, sammeln parallel aber auch Unterschriften gegen das Gesetz – in
       Kuba, aber auch online. So haben sie eine Petition auf Avaaz
       veröffentlicht, die bisher rund 800 Menschen unterschrieben haben. Für
       Amaury Pacheco ist es allerdings noch wichtiger, die Menschen auf der Insel
       zu informieren. „Hier liest kaum jemand Gesetzestexte, deshalb planen wir
       weitere Aktionen in der Öffentlichkeit.“
       
       30 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Knut Henkel
       
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