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       # taz.de -- Stadtrat überstimmt Oberbürgermeister: Osnabrück wird Hafen für Flüchtlinge
       
       > Der Osnabrücker Stadtrat schließt sich gegen den Willen des
       > Oberbürgermeisters der „Seebrücke“ an. Die Stadt will mehr Flüchtlinge
       > aufnehmen.
       
   IMG Bild: Demo in Hamburg: Dem Appell der „Seebrücke“ schließen sich immer mehr Menschen an
       
       OSNABRÜCK taz | Es ist die erste Sitzung des Osnabrücker Stadtrats nach der
       Sommerpause. Doch von Entspanntheit keine Spur: Ein Konflikt spitzt sich
       zu, teils hoch emotional, an diesem fünfstündigen Abend des 28. August. Es
       geht um den Appell des Bündnisses „Seebrücke Osnabrück“, die Stadt zum
       „sicheren Hafen“ zu erklären: Bietet Osnabrück, an der Seite von Städten
       wie Düsseldorf, Köln und Bonn, der Bundesregierung an, zusätzliche
       Flüchtlinge aufzunehmen – Hilfebedürftige, die zivile Seenotretter im
       Mittelmeer bergen?
       
       Der Verlierer steht schon vorher fest: Oberbürgermeister Wolfgang Griesert,
       CDU. Denn Griesert hatte dem Bündnis geschrieben, er könne „dem Rat nicht
       empfehlen, die Aktion zu unterstützen“. Es gebe „entweder eine gemeinsame
       Lösung auf europäischer Ebene oder gar keine“. Empörung brach los. Bündnis
       90/Die Grünen, SPD, Unabhängige Wählergemeinschaft/Piraten, FDP und Die
       Linke stellen sich hinter den Appell der Seebrücke. Gegen ihre Stimmen hat
       Griesert im Rat keine Chance.
       
       Nur die CDU unterstützt ihn, flankiert vom Bund Osnabrücker Bürger. Ihre
       Fraktionsvorsitzenden Fritz Brickwedde und Ralph Lübbe: Der Antrag sei
       rechtswidrig, denn der Rat habe kein allgemeinpolitisches Mandat. Klingt
       nach Ablenkungsmanövern. Dazu bringen sie „konsequente Rückführungen
       Nicht-Bleibeberechtigter“ ins Spiel.
       
       „Über Grieserts Nein waren wir natürlich enttäuscht“, sagt Tim Zumloh,
       Vorsitzender des Osnabrücker Flüchtlingszentrums Exil. „Umso glücklicher
       sind wir jetzt über das klare Ja des Rats.“ Exil ist Teil der Osnabrücker
       Sektion der internationalen Bewegung Seebrücke. Terre des Hommes und Help
       Age sind dabei an seiner Seite, Attac und DGB, Caritas und Diakonie, das
       Aktionszentrum 3. Welt und das Bistum.
       
       Während der Beschluss für Griesert ein „inhaltsleeres Symbol“ ist, ist er
       für Zumloh ein Hoffnungszeichen: „Außerdem sind ja auch Symbole wichtig.
       Gerade in Zeiten, in denen sich der Diskurs immer stärker nach rechts
       verschiebt.“ Jetzt gelte es, „am Ball zu bleiben“, damit von Osnabrück
       „zeitnah auch wirklich ein Appell ausgeht, der der Entscheidung des Rates
       Rechnung trägt“.
       
       Zeit – der entscheidende Faktor. Denn das Sterben im Mittelmeer geht
       weiter, und die EU sieht diesem Sterben zu.„Wir tun lediglich so, als
       hätten wir etwas getan“, sagt Oberbürgermeister Griesert am 28. August im
       Rat. Und „dass wir nicht den Eindruck erwecken dürfen, dass es alternative
       Wege, unkonventionelle Wege, Wege von dir zu mir gäbe, die, wenn wir alle
       nur stark genug wollen, hoffen und vielleicht sogar beten, beschritten
       werden könnten“. Man solle sich „dringend davor hüten, Menschen dazu zu
       verleiten, sich absichtlich oder auch nur fahrlässig in Seenot zu bringen“.
       
       Die Seebrücke gefährdet Menschen? Wer so etwas sagt, verkennt, dass es
       nicht die Suchfahrt eines Rettungsschiffs ist oder die Aufnahmebereitschaft
       einer Stadt wie Osnabrück, die Menschen zur Flucht treibt, sondern Krieg,
       Armut und Perspektivlosigkeit.
       
       Nicht, dass sich Osnabrücks Rat nicht für Flüchtlinge einsetzen würde. Auch
       Griesert hat viel für Flüchtlinge getan. Als 2016 Flüchtlinge in Idomeni
       festsaßen, an der griechisch-mazedonischen Grenze, hat er sich dafür
       eingesetzt, 50 von ihnen nach Osnabrück zu holen. Idealismus, der, sagt er,
       „an den Institutionen gescheitert“ sei.
       
       Das soll sich nicht wiederholen: „Wenn Europa nicht die Kraft aufbringen
       sollte, eine Lösung für die Menschen zu finden, die ihr Leben riskieren, um
       zu uns zu kommen, dann ist Europa an dieser Herausforderung an seine Grenze
       gekommen und an eben dieser vielleicht sogar gescheitert.“ Klingt
       resigniert. Und ein bisschen zu – einfach. „Pragmatismus“, sagt Griesert
       dazu.
       
       Auch die Seebrücke-Mahner waren am 28. August im Rat. Papierboote in
       Rettungsorange haben sie verteilt. Ob sie in Osnabrück noch mal Infotische
       organisieren, Demos, Flashmobs? Zumloh, etwas zögernd: „Wir werden sehen.
       Unser Primärziel ist jedenfalls erreicht.“ Fest steht: Viele Osnabrücker
       Aktivisten fahren am Sonntag zusammen nach Hamburg. Da ist
       Seebrücke-Großdemo, an den Landungsbrücken. Passt ja.
       
       31 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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