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       # taz.de -- Erst die Schule und dann …: Hausaufgaben – muss das sein?
       
       > Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat mehr Hausaufgaben gefordert.
       > Nun rudert er zurück, aber das Problem einer Schule, die Kindern keine
       > Zeit lässt, bleibt.
       
   IMG Bild: Wollen oft schier kein Ende nehmen: Hausaufgaben
       
       Hamburg taz | Der Schulsenator in Hamburg fordert zu Beginn des Schuljahrs
       mehr Hausaufgaben. Das ist für Familien, die schon heute unter den langen
       Zeiten leiden, die Schule auch zu Hause noch frisst, wie Benzin ins Feuer
       gießen. Als Begründung zitiert der Politiker Schulleistungstests. Seit der
       „empirischen Wende“ um 2000 herum sind Kinder, so scheint es, nur noch für
       Pisa da.
       
       Genau genommen geht es nun um ein Schulaufgaben-Minimun, das jedes Kind
       leisten soll. Kinder haben keine Gewerkschaft, es fehlt ein
       Interessenverwalter, der für sie verhandelt. Und auch manche Eltern, hier
       als Hilfsarmee vereinnahmt, wünschen sich einen Hausaufgabenhelferstreik.
       
       Bis Ende der 1990er-Jahre ging die Grundschule meist nur bis elf oder halb
       zwölf. Kinder konnten schon vor dem Mittagessen Hausaufgaben erledigen und
       den Nachmittag über spielen. Dann kam die verlässliche Halbtagsgrundschule
       bis 13 Uhr, die es Müttern ermöglichen sollte, halbtags zu arbeiten. Dann,
       ab 2011, wurden alle Hamburger Grundschulen zu Ganztagsschulen. Nun geht
       die Schule bis 16 Uhr. Dass es Kinder gibt in dieser Stadt, sieht man auf
       der Straße meist in den Ferien.
       
       Alle Schulformen, auch Gymnasien und Stadtteilschulen, erstrecken sich bis
       in den Nachmittag. Und es gibt schon Hausaufgaben obendrein, an den
       Gymnasien sowieso, und auch an den Stadtteilschulen ist für Klausuren und
       Vokabeltests zu üben.
       
       ## Ganztagsschule und Hausaufgaben passen nicht zusammen
       
       Für die Zukunftschancen der Kinder ist es gut, wenn sie schulisch gebildet
       sind. Aber die Politik überzieht. Ganztagsschule und Hausaufgabenpflicht
       passen nicht zusammen. Zwar ruderte der Hamburger Schulsenator etwas zurück
       – es soll jetzt eine Untergrenze geben, eine Minimum-Hausaufgabe von 20 bis
       30 Minuten, die möglichst im Schulalltag platz finden sollen –, nur funkt
       der damit wiederum den Pädagogen vor Ort unnötig ins Geschäft.
       
       Die Kinder zu verpflichten, nach einem anstrengenden Schulvormittag ruhig
       zu sitzen, ist unsinnig. Kindheit und Jugend hat auch einen Wert an sich.
       Es ist nicht nur die Wartezeit zum Erwachsenwerden. Kinder brauchen Räume
       und Zeit, in der sie selbst ihre Regeln setzen können.
       
       „Es führt zu Störungen wie ADHS, wenn Kinder die Räume für
       Selbstregulierung nicht mehr haben“, sagt der Hamburger
       Sozialwissenschaftler Timm Kunstreich. „Die Kinder rebellieren.“ Kinder,
       die von früh bis spät nach Vorgaben leben, lernen nicht, eigene Ziele zu
       entwickeln.
       
       Und doch hat der Vorstoß des Senators etwas Gutes, kann die Debatte
       fruchtbar sein. Denn wir lernen, dass selbstregulierte Lernphasen wichtig
       sind. Dafür braucht man nicht zwingend Hausaufgaben, das können auch
       moderne Lernmethoden wie „Logbucharbeit“ sein, wie sie die preisgekrönte
       Ganztagsschule Alter Teichweg in Hamburg und weitere Reformschulen schon
       erfolgreich anwenden. Und es kommt zur Sprache, dass Hausaufgaben bei
       vielen Kindern kontraproduktiv sind, wenn sich Eltern und Kinder am
       häuslichen Schreibtisch verkämpfen.
       
       ## Restrisiko Freizeit
       
       Dass es so weit kommt, liegt an einer Drucksituation. Es wird Aufstieg
       durch Bildung versprochen und die Verantwortung für gesellschaftliche
       Teilhabe dem einzelnen Kind überlassen. Doch Aufstieg durch Bildung ist
       ganz schön schwer. Machen mehr Abitur, ist der Realschulabschluss weniger
       wert.
       
       Und der Senator nutzt nun ein Argument, das Verfechter kindlicher Freiräume
       moralisch konfrontiert. Die Kinder aus bildungsfernen Familien hätten den
       Nachteil, wenn die Ganztagsschule keine Schulaufgaben abfordert. Wobei er
       40 Prozent der Eltern mit diesem nicht unproblematischen Adjektiv tauft.
       
       Dem kann man entgegnen: Wir brauchen qualitativ gut ausgestattet
       Ganztagsschulen, die die Kinder ausreichend individuell fördern. Die
       Schulen müssen ihren Job machen. Denn die Zeit von Kindern und Jugendlichen
       ist auch ein kostbares Gut. Wenigstens ab 16 Uhr sollten wir sie dem
       Restrisiko namens Freizeit überlassen.
       
       Kinder brauchen „Zeit für Dummheiten, Zeit für Liebeskummer, Zeit für
       Langeweile“, schrieb Hannah Knuth in der Zeit. Dazu gehöre auch, einfach am
       Fenster zu sitzen und nach Wolken zu schauen.
       
       Den ganzen Schwerpunkt der taz nord zur Debatte um die Hausaufgaben lesen
       Sie in der taz am Wochenende oder [1][hier].
       
       31 Aug 2018
       
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