# taz.de -- Protest gegen Flüchtlingspolitik: Gehängte Puppe war Politkunst
> Berliner Künstlerkollektiv bekennt sich per Video zu an Baukran
> aufgehängter Flüchtlingspuppe. In Berlin demonstrieren 2.500 Menschen für
> „Seebrücke“.
IMG Bild: Flüchtlingspuppe wird an Baukran aufgehängt: Filmstill aus Video des Künstlerkollektivs
Berlin taz | Das Rätsel um die an einem Baukran am Herrmannplatz
aufgehängte Flüchtlingspuppe ist gelöst: Dahinter steckt das Berliner
Künstlerkollektiv Rocco und seine Brüder. In einem auf Facebook
kursierenden [1][Video, dass am 30. August ins Netz gestellt wurde,] ist zu
sehen, wie jemand die mit einer orangefarbenen Rettungsweste und
Strickmütze bekleidete Puppe am Schwenkarm des Krans aufhängt und ein
Transparent mit der Aufschrift „humanit“ befestigt. Mit einem leeren
Unterstrich wird angezeigt, dass der letzte Buchstabe fehlt. Die Künstler
nehmen im Video Stellung zur jüngeren EU-Flüchtlingspolitik. „Europas
Menschlichkeit wurde abgeschafft“, heißt es. Und weiter: „Nun besitzt
Europa die tödlichste Grenze der Welt.“
Am Sonntag vor einer Woche hatten Passanten die Polizei gerufen, weil sie
jemanden an einem Baukran hängen sahen. Aufgrund der Höhe – verschiedene
Medien schrieben später von 23 Metern – war zunächst nicht ersichtlich, ob
es sich um einen Mensch oder eine Puppe handelte. Erst als ein
Feuerwehrmann hinauf kletterte, wurde klar, dass es sich um eine als
Flüchtling verkleidete Schaufensterpuppe handelte.
Zu der Aktion hatte sich zunächst niemand bekannt. Obwohl das Transparent
die Stoßrichtung deutlich macht, kursierten im Netz schnell Spekulationen,
es könnten Rechtsextreme dahinter stecken. Schließlich sind aufgehängte
Puppen eher ein Kennzeichen von Rechten: Man denke an Klu-Klux-Klan, NSU
oder die „Merkel-Galgen“ bei Pegida-Demos.
Entsprechend kritisch wurde die Aktion im Netz von flüchtlingspolitischen
Gruppen gewertet. „Geschmacklos ist aus unserer Sicht noch ein Euphemismus
für diese Aktion. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel und wer mit Symbolen
arbeitet, sollte diese auch kennen und wissen was er (oder sie) tut“,
[2][postete „Neukölln hilft“ vorige Woche bei Facebook]. Es handele es sich
offenkundig um eine „gänzlich verunglückte Aktion pro Seerettung“. Die
Betreuer der Facebook-Seite des Netzwerks „Seebrücke – Schafft sichere
Häfen“ distanzierten sich in der Kommentarspalte von Neukölln hilft
ebenfalls „aufs Schärfste von dieser Aktion“. Die meisten KommentatorInnen
dort urteilten ähnlich.
Das Video beginnt mit Bildern von einer Pressekonferenz des italienischen
Innenministers Matteo Salvini und des ungarischen Ministerpräsidenten
Viktor Orbán. Per Nachsynchronisation in Deutsch wird ihnen in den Mund
gelegt, dass sie ein Spiel spielen und um Hilfe bitten, weil sie nicht
weiter wüssten. Ein Papier mit Galgenmännchen und dem Wort „humanit“ wird
eingeblendet. „Es fehlt nur noch ein Buchstabe“, sagt Orbán im Video. Eine
weibliche Stimme ruft mehrmals „Y“ und „Humanity“ – was beide mit „Unsinn“,
„Spasti“ und „noch nie gehört“ kommentieren. Im zweiten Teil des Videos ist
aus größenteils subjektiver Kameraperspektive gefilmt, wie eine Person im
Bauarbeiter-Outfit den Kran hinaufklettert und in schwindelnder Höhe Puppe
und Transparent befestigt.
[3][Auf seiner Webseite gibt das Künstlerkollektiv Rocco und seine Brüder
an], seit 2000 „fester Teil in der Berliner Graffiti-Szene“ zu sein. Seine
Aktionen sind oft umstritten und nicht ganz legal. Einmal setzte es
„Stolpersteine“ ins Pflaster vor das Berliner AfD-Büro im „Gedenken“ an
Leute wie den Wehrmachtsoffizier und verurteilten Kriegsverbrecher Erich
von Manstein. Bei einer anderen Kunstaktion gegen die Waffenfirma Heckler &
Koch konnten BesucherInnen eines Volksfests in Oberndorf mit
Spielzeughandgranaten auf ein Papp-Aleppo werfen – was sie laut taz-Bericht
gerne taten.
Ungeachtet der umstrittenen Kunst-Aktion kamen am Sonntag Mittag in Berlin
nach Veranstalterangaben rund 2.500 Menschen im Rahmen der europaweiten
Seebrücke-Aktionswoche am Molkenmarkt zusammen und forderten „Berlin zum
sicheren Hafen“ zu machen. Viele hielten vor dem Roten Rathaus orangene
Schwimmwesten in die Höhe, wie [4][Fotos auf Twitter] zeigen. Auch in
anderen deutschen Städten gingen jeweils mehrere hundert Menschen im Namen
von Seebrücke auf die Straße.
2 Sep 2018
## LINKS
DIR [1] https://vimeo.com/287485584
DIR [2] https://www.facebook.com/kunterbuntesneukoelln/posts/726779810997214?hc_location=ufi
DIR [3] http://www.roccoundseinebrueder.com/about-us/
DIR [4] https://twitter.com/SeebrueckeB/with_replies
## AUTOREN
DIR Susanne Memarnia
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