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       # taz.de -- Kolumne Afrobeat: Jung auf eigene Gefahr
       
       > Afrikas Herrscher halten ihre aufstrebende Generation klein. Europa
       > verstärkt die rückschrittlichen Tendenzen auf dem Kontinent noch.
       
   IMG Bild: Kyagulanyi Ssentamu, besser bekannt als Bobi Wine, am 23. August in einem Gerichtssaal in Uganda
       
       Das Verhältnis der Staatsmacht zu ihren Bürgern ist in vielen afrikanischen
       Ländern eine ganz besondere Angelegenheit. Getreu dem Erbe der kolonialen
       Gewaltherrschaft halten viele Herrscher die Bürger ihrer Länder für ihre
       persönliche Verfügungsmasse und Bürgerrechte für einen Gnadenakt des
       Staates. Das Gewaltmonopol des Staates interpretieren sie als Recht auf
       staatliche Gewaltanwendung nach Gutdünken.
       
       Aktuelles Beispiel: die staatlichen Schikanen und die Polizeifolter an Bobi
       Wine, populärer Rapmusiker und Oppositionsabgeordneter aus Uganda, der mit
       rebellischer Musik und deftigen Sprüchen den dortigen Präsidenten Yoweri
       Museveni nach dessen 32 Jahren an der Macht aus der Perspektive einer
       jungen, selbstbewussten Generation herausfordert und bloßstellt. Bobi Wine
       ist nur einer von vielen. In fast allen Ländern gibt es inzwischen solche
       unbequeme Stimmen, die nicht mehr kuschen. Sie stehen für den Wunsch nach
       einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Bürgern, der Afrikas
       politische Kultur vom düsteren Erbe des europäischen Imperialismus
       emanzipiert. Umso heikler ist ihr Verhältnis zu jenem Europa, das trotz
       aller Emigrationsträume sehr kritisch gesehen wird: arrogant, selbstbezogen
       und uninteressiert an Selbstkritik bezüglich der eigenen Rolle in der
       afrikanischen Geschichte.
       
       Nigeria, mit 190 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas
       und eines der dynamischsten, steckt ein halbes Jahr vor Neuwahlen 2019
       mitten in einer Generationsdebatte: Der aktuelle Präsident Muhammadu Buhari
       ist schwer krank und 75 Jahre alt, er ist zunehmend ein Getriebener, kein
       Gestalter. Im Mai beugte er sich monatelangem Agitieren einer
       Jugendprotestbewegung und senkte das Mindestalter zum Kandidieren für
       politische Ämter um fünf Jahre – auf 35 für Präsidentschaftskandidaten und
       25 für das Parlament.
       
       „Not Too Young To Run“ hieß die Protestbewegung in Nigeria, die eins der
       zentralen Probleme Afrikas auf den Punkt brachte: Auf dem jüngsten
       Kontinent der Welt ist knapp die Hälfte der Bevölkerung noch nicht einmal
       volljährig, jedes Jahr kommen 30 Millionen Menschen dazu. Sie alle wollen
       mitreden, mitgestalten, anpacken und aufbauen. Nur lässt man sie nicht.
       Derweil erwarten Altherrscher bis zum Tod bedingungslosen Gehorsam.
       
       ## Wenig Wertschätzung gegenüber der Jugend
       
       Buhari gehört eigentlich nicht dazu – er ist erst seit 2015 Präsident, ließ
       sich damals demokratisch wählen, hat seiner Vorgeschichte als
       Militärdiktator in den 1980er Jahren glaubhaft entsagt und sich im Amt
       weder bereichert noch Personenkult gefördert. Er tritt auf als Erneuerer
       und als Asket, der seinem Land harte Arbeit und Genügsamkeit verordnen
       will, damit es endlich vorankommt. Aber auch damit entgeht er dem
       Landesvater-Reflex nicht.
       
       Als Nigerias Präsident vor zwei Jahren Deutschland besuchte, antwortete er
       auf der Pressekonferenz mit Angela Merkel auf eine Frage nach den
       politischen Vorlieben seiner Ehefrau: „Ich weiß nicht, welcher Partei meine
       Frau angehört, aber sie gehört in meine Küche und in mein Wohnzimmer und in
       das andere Zimmer.“ Verblüffte Journalisten mussten sich gegenseitig
       versichern, dass sie nicht falsch gehört hatten.
       
       Vergangene Woche, als Merkel sich mit einem Gegenbesuch in Nigeria
       revanchierte und viel von Alternativen zur Migration die Rede war,
       erläuterte Buhari, wieder zum Erstaunen mancher Zuhörer, „illegale“
       Emigranten handelten „auf eigene Gefahr“. Wörtlich sagte der nigerianische
       Präsident: „Wir haben ganz klargemacht, dass wir nichts Illegales
       unterstützen und dass jeder, der denkt, dass dieses Land ihm nicht bietet,
       was ihm als Bürger geboten werden sollte, und der beschließt, die Wüste und
       das Mittelmeer herauszufordern, dies auf eigene Gefahr tut.“
       
       Anders gesagt: Nigerianer*innen, die in libyschen Foltercamps oder
       italienischen Bordellen gestrandet sind, sollen von ihrem Staat keine Hilfe
       erwarten. Nun erwartet ohnehin kein Nigerianer von seinem Staat
       irgendetwas, aber dennoch schockierten die unverblümten Worte Buharis –
       dass er sie unwidersprochen im Beisein des Staatsbesuchs aus Deutschland
       sagte, gab seinen Worten viel mehr Gewicht. Wieder einmal wurde klar: Die
       politische Klasse Afrikas bringt der eigenen Jugend wenig Wertschätzung
       entgegen, und die Partner Afrikas in Europa, Asien und Amerika sind nicht
       aufgeschlossener.
       
       ## Menschsein kann man nicht verbieten
       
       Grenzen überschreiten – das soll die Jugend möglichst nicht. Gemeint sind
       da nicht nur die physischen Grenzen zwischen Staaten. Es geht auch um
       kulturelle Grenzen: der von vielen Alten und Mächtigen bei den Jungen und
       Aufstrebenden beklagte Mangel an Respekt und Unterwürfigkeit, am Befolgen
       von Tradition und Moral beziehungsweise was dafür gehalten wird.
       
       Die jungen Frauen von heute wollen sich nicht mehr beschneiden lassen?
       Ihrem Mann nicht mehr automatisch gehorchen? Eigene Reisepässe und
       Bankkonten besitzen? Unerhört! Die jungen Männer wollen sich nicht mehr
       durch horrend teure Hochzeiten bei der Großfamilie verschulden? Ihr hart
       verdientes Geld ins Heimatdorf investieren? Dem Pfarrer respektive Imam
       respektive Parteisekretär nicht mehr blindlings folgen? Skandal! So geht
       doch die Gesellschaft zugrunde!
       
       Es wird in Europas Diskussion um „Fluchtursachenbekämpfung“ viel zu wenig
       wahrgenommen, wie sehr das europäische Drängen auf Grenzschließung und
       Migrationsverhinderung in den betroffenen afrikanischen Ländern
       rückschrittliche Kräfte stärkt und damit genau die sozialen und kulturellen
       Probleme und Unterdrückungen aufrechterhält, vor denen die Leute
       scharenweise davonlaufen. Aber wer sein Leben selbst gestalten will, wird
       das tun, sobald er oder sie dafür die Mittel hat, auch ohne Erlaubnis.
       Menschsein kann man nicht verbieten.
       
       3 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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