URI: 
       # taz.de -- Konfliktforscher über Boko Haram: „Der Konflikt läuft weiter“
       
       > Um gegen die Terrormiliz Boko Haram anzugehen, muss vollkommen umgedacht
       > werden, sagt Atta Barkindo. Er nimmt ab Montag an der Tschadsee-Konferenz
       > teil.
       
   IMG Bild: „Erinnerungen und Wut sind noch ganz frisch“: Ein Militärkonvoi in Nigeria
       
       taz: Herr Barkindo, in Berlin tagt ab Montag die Tschadsee-Konferenz.
       Eingeladen haben Deutschland, Nigeria, Norwegen und die Vereinten Nationen,
       um über humanitäre Hilfe, Stabilisierung und Entwicklungszusammenarbeit in
       der Region zu sprechen. Was erwarten Sie davon? 
       
       Atta Barkindo: Ich habe an vielen Konferenzen teilgenommen, in Singapur,
       Großbritannien und hier in Nigeria. Es ist Zeit zu handeln. Nigerias lokale
       Bevölkerung muss gehört werden, zum ersten Mal. Was sind ihre Sorgen und
       Ängste? Letztendlich sind sie es, die in den Kommunen leben müssen.
       
       Wichtiges Thema ist die Terrormiliz Boko Haram. Sie hat sich in den frühen
       2000er Jahren gegründet. Was hat Ihrer Meinung nach dazu geführt? 
       
       Als Nigeria 1999 zur Demokratie zurückgekehrt ist, gab es Raum für eine
       politische Debatte. Einige Regionen sind aber völlig vernachlässigt worden.
       Stattdessen wurden Politiker arrogant und haben ihren Reichtum zur Schau
       gestellt. Die Opposition hatte keine Stimme, und Religion ist zu einer Art
       Opposition geworden. Beispielsweise hat Boko Haram die Korruption
       angeprangert. Und als die Politik entschied, Boko Haram nicht mehr zu
       brauchen, hat diese wiederum den Staat angegriffen.
       
       Die Gruppe hat sich vor gut neun Jahren radikalisiert und gewinnt bis heute
       neue Mitglieder. Wie funktioniert das? 
       
       Mitglieder sind verhaftet worden, andere wurden erschossen. Die Frage ist
       tatsächlich, wie die Gruppe weiter Mitglieder rekrutieren kann. Das liegt
       an der absoluten Vernachlässigung der Region durch den Staat. Die Menschen
       verlassen sich auf die Religion und religiöse Institutionen. Das Predigen
       wird jedoch nicht reguliert. Dazu kommt die Armut, fehlender Zugang zu
       Bildung und Alternativen. Um das zu ändern, muss die Regierung kurz- und
       langfristige Strategien entwickeln.
       
       Auch wenn sie anders als etwa 2014 keine Gebiete mehr besetzt hält, gelingt
       es Boko Haram, sich zu finanzieren. Wie ist das möglich? 
       
       Ich habe einige der inhaftierten Mitglieder interviewt. Sie sagten, anfangs
       haben sie Geld von Politikern bekommen. Da war die Gruppe ja nicht
       unbedingt gewalttätig, und Nigerianer sind sehr religiös. Politiker spenden
       auch für den Bau von Kirchen. Anschließend kam es zu Banküberfällen. Eine
       Einnahmequelle sind auch Entführungen, über die niemand spricht. Entführt
       werden beispielsweise die Eltern von Senatoren. Bei der Entführung von zehn
       Chinesen und der Frau des stellvertretenden Premierministers von Kamerun
       sollen mehrere Millionen US-Dollar gezahlt worden sein. Boko Haram ist
       clever und legt das Geld an. Das würde bei diesen Summen keine Bank
       verweigern. Auf Schwarzmärkten ist es wiederum sehr einfach, Waffen zu
       kaufen.
       
       Sie sind im Bundesstaat Adamawa groß geworden. Dort ist es, anders als etwa
       in Plateau und Kaduna, in der Vergangenheit nicht zu ethnischen und
       religiösen Ausschreitungen gekommen. In Teilen Adamawas ist jedoch nun auch
       Misstrauen zwischen Christen und Muslimen spürbar. Woran liegt das? 
       
       Internationale Organisationen und die Regierung sitzen in Abuja in
       wunderschönen Büros. Hier fertigen sie ihre Pläne für die betroffenen
       Kommunen an und versuchen dann, diese vor Ort umzusetzen. Das ist sehr
       schwierig, da der Konflikt weiterläuft. Erinnerungen und Wut sind noch ganz
       frisch. Es gibt keine Prozesse für Versöhnung und Vergebung, die Regierung
       hat keine Plattform geschaffen, um darüber zu sprechen. Deshalb bleiben die
       Kommunen gespalten, fühlen sich vernachlässigt, übergangen und nicht nach
       ihrer Meinung gefragt. Dazu kommt der Eindruck, dass sich die Regierung um
       Anhänger von Boko Haram kümmert. In Gefängnissen gibt es Programme zu deren
       Entradikalisierung.
       
       3 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
   DIR Boko Haram
   DIR Sahara
   DIR Nigeria
   DIR Boko Haram
   DIR Entwicklungszusammenarbeit
   DIR Kamerun
   DIR Nigeria
   DIR Boko Haram
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Boko Haram in Kamerun: Flüchtlinge im Schlaf umgebracht
       
       Bei einem nächtlichen Angriff auf Vertriebene in Kamerun sind mindestens 18
       Menschen ums Leben gekommen. Die Gewalt von Boko Haram nimmt wieder zu.
       
   DIR Tschadsee-Konferenz in Berlin: Zwei Milliarden für Tschadsee-Region
       
       Die Tschadsee-Region leidet unter Boko Haram und dem Klimawandel. Knapp elf
       Millionen Menschen benötigen hier dringend humanitäre Hilfe. Diese soll nun
       kommen.
       
   DIR Konflikt im anglophonen Teil Kameruns: Kameruner flüchten nach Nigeria
       
       Gewalt im Westen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht nach
       Nigeria. UNO und Regierung befürchten, dass die Gewalt übergreift.
       
   DIR Nigerias Kampf gegen Boko Haram: Der Terror im Kopf
       
       Offiziell ist Boko Haram in Nigeria nahezu besiegt, aber die Herrschaft der
       Islamisten hat Spuren hinterlassen. Der Wiederaufbau fällt aus.
       
   DIR Amnesty-Bericht zu Kamerun: Mit Folter gegen Boko Haram
       
       Bilder von Amnesty zeigen US-Soldaten in einer Anlage in Kamerun, wo
       Islamisten gefoltert wurden. Die NGO fordert nun ein Ende der Hilfen.