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       # taz.de -- Sigmund Jähns erster Flug ins All: Held wider Willen
       
       > Sigmund Jähn war ein Teil des DDR-Propaganda-Apparats. Das wirkt nach,
       > auch 40 Jahre nach seinem Flug als erster Deutscher ins Weltall.
       
   IMG Bild: Jähn in Baikonur: Beim Start von Alexander Gerst zur ISS im Juni war er dabei
       
       Mein erstes Interview im neuen Journalistenberuf, das ich im Sommer 1990
       für die Zeitungsneugründung Sachsenspiegel führen durfte, führt mich zu
       „Siggi“ Jähn. Treffpunkt war ein Objekt der in Auflösung begriffenen NVA in
       Eggersdorf bei Berlin. Kontrolliert wurde an der Schranke damals kaum noch.
       
       Trotz reichlich Generalsrot an der Uniform wirkte der erste deutsche
       Fliegerkosmonaut genau so wie sein Ruf unter DDR-Bürgern: Freundlich,
       beinahe väterlich, ohne jede Attitüde. „Ich habe mich nie als Held
       eingestuft“, lautete seine Antwort auf die Frage nach dem Rummel um seine
       Person nach jenem Flug zur sowjetischen Raumstation Saljut 6 am 26 .August
       1978. „Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR“ titelte tags darauf
       das SED-Zentralorgan Neues Deutschland. Jähn fügte 1990 den Hinweis auf
       Brechts „Galilei“ hinzu: „Glücklich ein Volk, das keine Helden braucht!“
       
       Man nimmt ihm ab, dass er diese bescheidene Haltung schon in der Stunde
       seines Triumphes empfand und nicht erst seit dem Zusammenbruch eines
       Systems, dem er bewusst gedient hatte. „Die Idee einer gerechten,
       humanistischen Gesellschaft ist ja so schlecht nicht. Nur ist sie in der
       Praxis so weit von diesem Bild abgekommen, dass auch nichts mehr zu retten
       war“, sagte Sigmund Jähn 1990 nachdenklich. Damals war er 53 Jahre alt,
       heute ist er ein immer noch vitaler und beweglicher Rentner von 81 Jahren.
       Diese Entfernung der SED, ja des gesamten Ostblocks vom sozialistischen
       Ideal sei ihm aber auch erst „hinterher klargeworden“, fügte er hinzu.
       
       Klar, Jähn war ein Teil des Apparats, nach seinem Flug vor allem des
       Propaganda-Apparats. Verstehen kann man das aber nur, wenn man weiß, welch
       hohen Stellenwert die Raumfahrt im Wettbewerb der Systeme einnahm. Die
       Sowjetunion hatte mit dem ersten Raumflugkörper „Sputnik“ 1957 zunächst die
       Nase vorn, 1961 auch mit dem ersten Kosmonauten Juri Gagarin. Die
       Amerikaner eroberten als erste den Mond. „Die Raumfahrt hat auf beiden
       Seiten von Anfang an nicht nur der Wissenschaft gedient“, war Jähn bewusst.
       Treffend beschrieb er deren Ambivalenz, ihre wissenschaftliche
       Katalysator-Funktion, damit zugleich aber auch die forcierte Entwicklung
       ballistischer Raketen im Kalten Krieg und ihre Symbolkraft im
       west-östlichen Wettlauf.
       
       ## Vorbildliche DDR-Karriere
       
       Sigmund Jähns persönliche Rolle in diesem Kampf kann man gleichfalls nur im
       historisch-politischen Kontext sehen. Die so genannte „soziale Herkunft“
       spielte gerade im vermeintlich so chancengleichen Staat der Arbeiter und
       Bauern eine gewichtige Rolle. Und die Jähns im vogtländischen Ort
       Morgenröthe-Rautenkranz, dem in einem Hochtal gelegenen „Kältepol“ der
       Republik, waren einfache Leute. Die Mutter Hausfrau, der Vater in einem
       Sägewerk tätig, der 1937 geborene Sigmund galt mithin als Arbeiterkind. Er
       begann eine Lehre als Buchdrucker, erst viel später holte er im Alter von
       28 Jahren das Abitur nach.
       
       Seine Laufbahn fiel in die Zeit des Aufbaus der DDR in den 1950er Jahren,
       die Gründung der Nationalen Volksarmee 1956 eingeschlossen. In diesem Jahr
       wurde er einer der ersten Offiziersschüler, der physisch und psychisch
       belastbare junge Mann ließ sich zum Jagdflieger ausbilden. Nur über diese
       Strecke führte der Weg zu einer möglichen Beteiligung an sowjetischen
       Raumflügen. Ab 1976 galt der gut russisch sprechende Jähn gemeinsam mit
       Eberhard Köllner als Kandidat für die Premiere eines deutschen Kosmonauten.
       Sein Partner im Sojus-Raumschiff 1978 war dann Waleri Bykowski.
       
       ## Jähn war wirklich populär
       
       Es hätte des Hypes um den „Helden der DDR“ kaum bedurft, denn Jähn war
       wirklich populär. Zwar konnte er bei seinen öffentlichen Auftritten
       erlernte Formeln auch nicht ganz vermeiden, aber auch vielen kritischen
       Bürgern galt der geradlinige Mann spontan als Sympathieträger. 1992 war
       davon noch viel zu spüren, als im stillgelegten Bahnhof von
       Morgenröthe-Rautenkranz die zur „Deutschen Raumfahrtausstellung“ erweiterte
       ehemalige Jähn-Gedächtnisstätte eröffnet wurde. Eine Zeit, in der
       angesichts der Wendewirren auch ein Stückchen Stolz auf Leistungen in der
       DDR wieder entdeckt wurde. Jähn hat seine Leistungen, sein Interesse an
       Wissenschaft und Raumfahrt stets von seinen sozialistischen Überzeugungen
       und seiner SED-Mitgliedschaft zu trennen versucht. Schließlich hat er noch
       als Kind heftige und prägende Erfahrungen mit der Nazizeit machen müssen.
       
       [1][Für die Zeit hat die Schriftstellerin Jana Hensel den Privatmann Jähn
       jüngst in Strausberg besucht]. So wenig wie er ein Medienstar werden wollte
       wurmt es ihn offenbar jetzt wenig, dass ihn die offizielle vereinigte
       Bundesrepublik kaum würdigt, ja sogar seine „Traditionswürdigkeit“ in der
       Bundeswehr in Frage stellt. Seine guten Kontakte zu den westdeutschen
       Astronauten Ulf Merbold oder Alexander Gerst ändern daran wenig.
       
       26 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2018-08/sigmund-jaehn-astronaut-held-erinnerung-deutsche-einheit
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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