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       # taz.de -- Feministin über ihr Leben als Mutter: „Ich habe mich isoliert gefühlt“
       
       > Chronischer Schlafmangel und überzogene Erwartungen: Die Hamburger
       > Autorin Rike Drust schreibt über das Muttersein – auch über die
       > Schattenseiten.
       
   IMG Bild: Schreibt über die Ambivalenz des Mutterdaseins: Rike Drust
       
       taz: Frau Drust, machen Kinder einsam? 
       
       Rike Drust: Nein, generell sicher nicht. Aber nach der Geburt meines ersten
       Kindes habe ich mich total isoliert gefühlt. Mein Mann hat nach zwei Wochen
       Pause wieder in Vollzeit gearbeitet, ich habe ein Jahr lang pausiert. Die
       Tage mit dem Baby waren unendlich lang, ich konnte es kaum erwarten, dass
       mein Mann endlich nach Hause kommt und ich wieder mit einem Erwachsenen
       reden kann. Als Feministin gefiel es mir überhaupt nicht, plötzlich auf die
       Mutterrolle reduziert zu sein.
       
       Wie hatten Sie sich das Leben mit Kind denn vorgestellt? 
       
       Gar nicht. Ich dachte, dass ich alles irgendwie liebevoll aushalten würde.
       Ganz schön naiv, klar. Aber so wie in Deutschland über Mutterschaft geredet
       wird, entsteht eben schnell der Eindruck, man wäre nach der Geburt
       automatisch glücklich und erfüllt. Doch ich war nicht glücklich, ich war
       müde, genervt, überfordert. Mein Sohn war ein sehr sensibles Kind, hat viel
       geschrien. Ich konnte meine Gefühle nicht einordnen und hatte immer ein
       schlechtes Gewissen: Darf ich jammern, weil ich kaum geschlafen habe und
       das Kind schon wieder schreit? Darf ich sagen, dass ich mir manchmal mein
       altes Leben zurückwünsche …?
       
       Fragen, die Sie in ihrem 2011 erschienenen Buch „Muttergefühle“
       aufgegriffen haben. Brauchte es wirklich noch einen Mami-Ratgeber? 
       
       Nein, aber [1][das Buch] ist auch ganz sicher keine Anleitung fürs
       Muttersein, es soll Mut machen. Denn mir hat so ein Buch damals gefehlt.
       Die ständige Besserwisserei von Freunden und Fremden, die mir ungefragt
       Ratschläge erteilt haben, hat mich noch mehr verunsichert. Ich wollte
       einfach nur emotional abgeholt werden, mich verstanden fühlen. In der
       Familienliteratur wurde Mutterschaft damals entweder glorifiziert oder
       verteufelt, Kinder meistens verniedlicht. So was zu lesen, half mir gar
       nicht.
       
       Also schrieben Sie selbst – und zwar recht flapsig, ihren Sohn nennen Sie
       an einer Stelle einen „Vier-Kilo-Pflegefall“. Wie kam das bei anderen
       Müttern an? 
       
       Die meisten Reaktionen waren sehr positiv. Ich bekomme immer noch viele
       Lesermails von Müttern, die sich ähnlich fühlen wie ich damals: einsam. Oft
       haben sie niemanden, mit dem sie sich über die negativen Seiten des
       Mutterseins reden können. Ich hatte damals zum Glück eine Freundin, die zur
       gleichen Zeit ein Kind bekommen hat. Die konnte ich auch mal spontan
       anrufen, dann kam sie vorbei und wir haben uns gemeinsam ausgeheult. Ich
       ermutige alle Mütter, auch mal Dampf abzulassen.
       
       Ihr Sohn ist heute neun Jahre alt, ihre Tochter vier. Was hat sich mit dem
       zweiten Kind verändert? 
       
       Ich bin als Mutter deutlich entspannter und selbstsicherer geworden, kreise
       weniger um mich selbst. Dafür regen mich heute andere Sachen auf.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Das immer krassere Gender-Marketing. Die Werbung ist da ein total
       bekloppter Vorreiter, sie gibt Kindern vor, wie sie zu sein haben. Wenn
       mein Sohn heute Schuhe mit Glitzer trägt oder mit lackierten Fingernägeln
       rumläuft, heißt es in der Schule: Das ist doch was für Mädchen! Ich lasse
       meinen Kindern ganz bewusst die Wahl, sie sollen sein, wie sie wollen,
       spielen, womit sie wollen.
       
       Apropos Geschlechterrollen. Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit:
       Auch bei Ihnen stellte sich nach dem ersten Kind, wie bei vielen Paaren,
       eine eher klassische Rollenverteilung ein. Stört Sie das nicht? 
       
       Ich wollte nicht wieder Vollzeit arbeiten, weil ich wirklich gern Zeit mit
       den Kindern verbringe. Dazu stehe ich, mich macht das glücklich. Anfangs
       hatte ich allerdings gar keine Wahl: Als Freelancerin war ich flexibel,
       mein Mann beruflich sehr eingespannt. In seinem damaligen Unternehmen gab
       es Stimmen, die fanden, Väter sollten auf die Elternzeit verzichten, das
       gehöre zum „Commitment“ dazu. Mich hat das damals wahnsinnig aufgeregt. So
       sehr, dass ich auf einen Ehevertrag bestanden habe, als ich mit meinem
       zweiten Kind schwanger war. Wenn ich schon zugunsten der Familie auf
       Karriereschritte verzichte, sollte ich wenigstens finanziell abgesichert
       sein.
       
       Ist es nicht unromantisch, einzuplanen, dass man sich trennen könnte? 
       
       So denken leider noch viel zu viele Frauen. Und das ist fatal! Ich kenne
       inzwischen einige Alleinerziehende, die auf die Altersarmut zusteuern. Die
       vor der Trennung in klassischen Einverdienerehen lebten und dann aus der
       Wohnung rausmussten, weil sie sich die Miete im Viertel plötzlich nicht
       mehr leisten konnten. Die Kinder wechseln dann die Schule, das
       Unterhaltsgesetz bietet wenig Unterstützung, also arbeitet die Mutter
       wieder in Vollzeit. Das alles kommt dann geballt in einer Zeit, in der der
       Alltag der Kinder ohnehin umgekrempelt wird. Ich möchte alles tun, um das
       zu verhindern.
       
       Welche Regelung haben Sie gefunden? 
       
       Wir haben alle Renten- und Sparangelegenheiten so geregelt, dass beide gut
       davon leben können und nicht in die Altersarmut fallen. Wer mehr verdient,
       zahlt deutlich länger als bis zum dritten Lebensjahr der Kinder Unterhalt.
       Und wer sich mehr um die Kinder kümmert, darf in unserer Wohnung bleiben.
       
       Wie gleichberechtigt ist Ihr Alltag heute? 
       
       Sehr, wir teilen alle Aufgaben. Nach dem Frühstück bringt mein Mann unsere
       Tochter in die Kita, mein Sohn geht allein zur Schule. Ich arbeite von 9
       bis 15 Uhr von Zuhause, hole dann meine Tochter ab. An zwei Tagen in der
       Woche macht mein Mann früher Feierabend, sodass ich länger arbeiten kann.
       Wenn einer privat und geschäftlich unterwegs ist, übernimmt der andere mehr
       Aufgaben. Das ist oft sehr wurschtelig, aber es funktioniert.
       
       Kinder und Job zu verbinden ist also kein Problem? 
       
       Na ja, leicht ist es nicht. Als ich wieder eingestiegen bin, musste ich
       auch Anfragen ablehnen. Oder Auftraggeber meldeten sich nicht mehr, wenn
       sie hörten, dass ich zwischen 15 und 20 Uhr nicht erreichbar bin. Eltern
       müssen eine gewisse Flexibilität im Job einfordern, anders funktioniert es
       nicht. Ich frage mich aber oft, wie der Alltag von Paaren aussieht, die
       beide Vollzeit in einer Festanstellung arbeiten. Ganz zu schweigen von
       Alleinerziehenden, die einen Wahnsinnsjob machen und dann häufig auch noch
       am Existenzminimum kratzen.
       
       Wie könnte die Politik helfen? 
       
       Wir brauchen dringend flexiblere Arbeitszeitmodelle, und zwar für beide
       Elternteile. Und ich finde, dass Mütter gestärkt werden sollten, besonders
       Alleinerziehende. Und wo ich gerade dabei bin: Das Ehegatten-Splitting
       könnte auch mal abgeschafft werden.
       
       Trotz alledem: Würden Sie heute wieder Kinder kriegen? 
       
       Ja, auf jeden Fall!
       
       Die Soziologin Orna Donath hat diese Frage 23 Frauen gestellt, alle
       antworteten mit „Nein“. Die Studie hat 2015 die [2][„Regretting
       Motherhood“-Debatte] ausgelöst, die in Deutschland sehr heftig geführt
       wurde. Kam das überraschend? 
       
       Erst mal glaube ich, dass viele Frauen damals die Begleitumstände meinten,
       den gesellschaftlichen Druck und die Schwierigkeit, Job und Kind zu
       verbinden. Aber überrascht? Nein. Gerade in Deutschland ist der
       Mutter-Mythos ja noch immer sehr stark: Demnach liegt die wahre Bestimmung
       einer Frau in der Mutterschaft. Die Frau opfert sich für die Familie auf,
       sie ist scheinbar nie ängstlich, unsicher oder genervt. Dabei ist es doch
       völlig legitim, keine Kinder zu wollen. Und im Muttersein die alleinige
       Lebensaufgabe zu sehen. Gerade wenn man bedenkt, wie viele Väter ihre
       Familien einfach verlassen, sich einen Scheiß um die Kinder kümmern, dafür
       aber keine Kritik einstecken müssen.
       
       Wie könnte man die Debatte übers Muttersein entspannen? 
       
       Mütter sollten sich weniger in Konkurrenz zueinander sehen und
       solidarischer sein. Vorverurteilungen und Schubladendenken bringen
       niemanden weiter. Anderen Leuten in die Kindererziehung reinzuquatschen hat
       vor allem mit der eigenen Unsicherheit zu tun. Statt in starren Kategorien
       wie „Karrierefrau“ oder „Hausmutti“ zu denken, sollten wir Verständnis für
       andere Lebensentwürfe aufbringen. Lasst uns lieber miteinander reden! Offen
       und ehrlich, über Gleichberechtigung in der Partnerschaft, Selbstzweifel,
       Eheverträge und soziale Ängste. Gerade in einer Gesellschaft, in der Mütter
       oft unter Druck stehen, sollten wir uns gegenseitig stärken und uns nicht
       niedermachen.
       
       10 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.randomhouse.de/Paperback/Muttergefuehle-Zwei/Rike-Drust/C-Bertelsmann/e503173.rhd
   DIR [2] /Soziologin-ueber-Regretting-Motherhood/!5295083
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Lasarzik
       
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