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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ministerium für Ohnmacht
       
       > Er macht es nicht, obwohl er es machen will: Was bedeutet es, dass Daniel
       > Cohn-Bendit nicht Frankreichs Umweltminister wird?
       
   IMG Bild: Cohn Bendit hat „nicht wirklich Lust“ auf ein Ministeramt in Paris
       
       [1][Die Eintracht hatte gerade verloren], als am Samstagnachmittag in einem
       Wohnzimmer in Frankfurt das französische Mobiltelefon von Daniel
       Cohn-Bendit vibrierte. (Ich dachte, ich gönn' uns mal 'nen
       Spiegel-Einstieg.) Präsident Macron rief an, um sich mit seinem Berater in
       einer brisanten Personalfrage auszutauschen. Sie lautete: Soll Cohn-Bendit
       französischer Umweltminister werden?
       
       Er wird es nicht, das ist [2][seit Anfang der Woche bekannt], aber die
       Frage lautet: Was bedeutet das?
       
       Um die Dimension des Vorgangs verstehen zu können, muss man wissen, dass
       Cohn-Bendit in Frankreich berühmt ist. Er „polarisiert“ auch, rechts- und
       linksaußen hassen sie ihn gleichermaßen, aber in der liberalen heterogenen
       Mehrheitsgesellschaft Frankreichs gibt es auch eine romantische
       Vorstellung: Wenn unser Dany mitmacht, dann kriegt die Macron-Regierung
       einen neuen Drive.
       
       Das ist die Magie, das ist die historische Bedeutung von Daniel
       Cohn-Bendit. Er ist das Symbol, dass Menschen verkrustete Verhältnisse
       aufbrechen können. Dass ein einzelner einen Unterschied machen kann.
       
       ## Sozialökologisch und europäisch
       
       Das reduziert sich nicht auf die Befreiungsrevolte von 1968. Es war
       Cohn-Bendit, der in Frankreich bei der Europawahl 2009 eine progressive
       Sammlungsbewegung auf die Realität des 21. Jahrhunderts verpflichtet hatte,
       also nicht rückwärts nationalsozial wie Wagenknecht, sondern
       sozialökologisch und europäisch. 16,3 Prozent wählten das, und es schien
       der Anfang.
       
       War es aber nicht. Die Grünen regredierten danach zu linken
       Sozialdemokraten und erledigten damit als erstes sich selbst.
       
       Dann kam Macron, der im Westen eine neue Antwort jenseits des
       Halbrechts-halblinks-Spektrums mehrheitsfähig machte, die nicht national
       und nicht autoritär daherkommt, die nicht die Lethargie seiner Bürger
       bedient, sondern Versprechen mit knallharten Ansprüchen an sie koppelt.
       Macron ist bis zum Beweis des Gegenteils die Antithese zu Trump. Aber er
       konnte seinen Ausbruch aus der Vergangenheit bisher nicht mit dem
       Essentiellsten verknüpfen, das die neue Welt determiniert: Die
       Erderhitzung. Dann, denkt er, wäre es zu viel, zu kompliziert, die Mehrheit
       futsch.
       
       Das sehen Union und SPD auch so. In Deutschland ist das ohnehin
       marginalisierte Umweltministerium ab 2005 von den traditionellen
       Regierungsparteien und namentlich den Ministern Gabriel und Altmaier immer
       schwächer gemacht worden, je dringlicher das Klimaproblem wurde. Während es
       in Frankreich nie administrativ handlungsfähig gemacht wurde.
       
       ## Die Zukunft der anderen
       
       Es ist längst nicht nur die AfD, die das ausblendet. Ständig versuchen
       demokratische Spitzenpolitiker, zuletzt Nahles, ihren Senioren-Wählern
       einzureden, dass Zukunft elitär sei, weil nur die Zukunft der anderen. (Was
       bei Älteren eindeutig stimmt.)
       
       Daniel Cohn-Bendit überlegte tagelang, ob er es trotzdem tun sollte. Er hat
       solche Jobs ein Leben lang vermieden, aber auch er hat jetzt das drängende
       Gefühl: „Verdammt nochmal, ich muss was machen.“ Sonntagabend ging er dann
       ins Fernsehen und erklärte den Franzosen, warum er es nicht macht, obwohl
       er es machen will. Weil er das neue Symbol der großen Illusion wäre. Dass
       es irgendwie doch geht, auch wenn wir Zukunft als Luxusproblem „Umwelt“
       mißverstehen und weiter privatisieren und moralisieren.
       
       Hier ist mein Punkt: Nicht mal mehr Daniel Cohn-Bendit kann sich – und will
       uns – einreden, dass er ökosoziale Zukunftspolitik machen kann – ohne
       politische Macht, ohne gesellschaftlichen Rückhalt einer demokratischen
       Mehrheit, in einem Ministerium der Ohnmacht. Das ist eine intellektuelle
       Redlichkeit, die anzuerkennen ist. Und zu verstehen. Es bedeutet: Stand
       jetzt geht nichts.
       
       7 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/spieltag/1-bundesliga/2018-19/2/4243279/spielanalyse_eintracht-frankfurt-32_werder-bremen-4.html
   DIR [2] /Absage-von-Daniel-Cohn-Bendit-an-Macron/!5529902
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
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