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       # taz.de -- Auf Kommando der AfD: Celle rückt nach rechts
       
       > Die Verwaltung der Stadt Celle unterstellt Geflüchteten, sie würden
       > Herzattacken vorspielen, um Abschiebungen zu verhindern. Der
       > Flüchtlingsrat nennt das Hetze.
       
   IMG Bild: Ist in der CDU, klingt in Flüchtlingsfragen aber nach AfD: Celles OB Jörg Nigge
       
       HANNOVER taz | Das, was in Celle passiert ist, nennt Kai Weber vom
       niedersächsischen Flüchtlingsrat schlicht „Hetze“. Die Stadtverwaltung hat
       eine Anfrage der AfD „zur aktuellen Situation mit straffälligen
       ausreisepflichtigen Zuwanderern“ beantwortet und dabei aus Webers Sicht
       einen „Generalangriff auf menschenrechtliche Standards im Umgang mit
       geduldeten Geflüchteten“ begangen.
       
       Denn die Stadtverwaltung hat der AfD nicht nur ihre Fragen dazu
       beantwortet, wie viele straffällige Zuwanderer abgeschoben oder nach einer
       freiwilligen Ausreise nach Deutschland zurück gekehrt sind. Sie hat der AfD
       in Eigeninitiative aufgeschlüsselt, warum Geflüchtete, deren Asylantrag
       abgelehnt wurde, aus der Stadt Celle nicht abgeschoben werden können – samt
       der Unterstellung, die Menschen würden lügen, um bleiben zu dürfen.
       
       Insgesamt sind der Antwort nach im Stadtgebiet von Celle 98 Personen
       ausreisepflichtig. Sie werden aus ganz unterschiedlichen Gründen dennoch
       geduldet (siehe Kasten). „Das ist erst einmal relativ unspektakulär“, sagt
       Weber.
       
       Die Stadt jedoch verleiht diesen Zahlen einen negativen Zungenschlag. In
       der Antwort, die nicht für die Öffentlichkeit, sondern für einen
       vertraulichen Ausschuss bestimmt war, heißt es: „In zahlreichen Fällen
       zeigt sich jedoch, dass sich renitentes Verhalten für die abzuschiebenden
       Personen zur Verhinderung der Abschiebung lohnt.“ Eine „nicht unerhebliche
       Anzahl“ von Geflüchteten werde aus medizinischen Gründen geduldet.
       Darunter fielen Menschen, die „am Tage der durchzuführenden Abschiebung
       ohne vorheriges Indiz einen Anfall, Herzattacke oder ähnliches vorzuspielen
       scheinen“.
       
       Die Verwaltung nennt zudem explizit das Klinikum Wahrendorff, das sich als
       Fachkrankenhaus für die Seele bezeichnet. Hier zeige die Erfahrung, dass
       die dortigen Ärzte Geflüchteten Gutachten ausstellten, in denen ihnen eine
       Reiseunfähigkeit wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
       „oder gar“ akute suizidale Tendenzen attestiert würde. „Ein solches
       Gutachten kann nur in den wenigsten Fällen als unzureichend beurteilt
       werden“, schreibt die Stadt Celle. Gegengutachten kosteten 2.000 Euro. Die
       Ausländerbehörde könne dies nicht bei allen betroffenen Personen leisten.
       
       Die Cellesche Zeitung spitzte diese Formulierungen in ihrer
       Berichterstattung zu: „Nach Angaben der Behörden haben sie es oft mit
       Simulanten zu tun. Es geht ums Tricksen, Täuschen, Simulieren.“ Und in
       einem Kommentar: „Dabei geht es auch um Fragen wie Scheinehen und
       medizinische Gefälligkeitsgutachten.“
       
       Rainer Brase ist der Geschäftsführer des Klinikums Wahrendorff. Er weist
       die Unterstellungen zurück: „Unsere Ärzte sind keine Dilettanten. Sie
       lassen sich nicht leicht durch vorgespielte Erkrankungen täuschen.“ Viele
       Geflüchtete zeigten Zeichen einer PTBS oder steckten in akuten suizidalen
       Krisen. Einige töteten sich tatsächlich selbst. „Das sind die Folgen der
       Grausamkeiten eines Krieges“, sagt Brase. In der Nachkriegszeit hätten auch
       viele Menschen in Deutschland darunter gelitten. „Es macht mich betroffen
       zu sehen, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen“, sagt Brase.
       
       Der Oberbürgermeister von Celle, Jörg Nigge (CDU), kritisiert in einer
       Stellungnahme, dass Meinungsäußerungen „voreilig und reflexhaft in
       Schubladen gesteckt“ würden. „Eine sachliche, also inhaltliche
       Auseinandersetzung habe ich wider jeglicher Ankündigung der etablierten
       Parteien bisher noch nicht erleben dürfen.“
       
       Die Stadtverwaltung habe in der Antwort keine Vermutungen geäußert.
       Beispiel Herzattacke vortäuschen: „Wenn im Nachhinein in diesen Fällen
       medizinische Gutachten nicht eingereicht werden, liegt entsprechend der
       Verdacht nahe, dass die medizinische Indikation nicht vorgelegen hat“, sagt
       Nigge.
       
       ## OB Nigge würde gerne sofort abschieben
       
       Ebenso sei es Fakt, „dass psychische Erkrankungen meist nach den
       Asylverfahren angeführt werden“. Mittlerweile kristallisiere sich zudem ein
       Kreis von Ärzten heraus, die primär von Asylsuchenden gewählt würden. „Hier
       würde bereits eine einfache Amtsarztpflicht einem möglichen Missbrauch
       vorbeugen“, so Nigge.
       
       Am Beispiel Celle werde „der Wahnsinn der fehlenden Stringenz von
       Abschiebungen sehr deutlich.“ Die 98 betroffenen Menschen müssten
       eigentlich unverzüglich abgeschoben werden, sagt der Oberbürgermeister.
       Denn die Verfahren seien abgeschlossen. Bei über 90 Prozent der Fälle sei
       die Abschiebung trotzdem nicht möglich. „Wenn es sein sollte, dass das
       System ausgenutzt werden kann, geht das zulasten der tatsächlich
       Schutzbedürftigen“, sagt Nigge. Das gesellschaftliche Klima im Land
       verändere sich.
       
       Weber ärgert sich über Nigges Darstellung: „Die Verwaltung nennt selbst
       lauter legitime Gründe dafür, die Menschen nicht abzuschieben.“ Wo sehe
       Herr Nigge denn Missbrauch? „Es widert mich an, wie die Stadt hier
       unaufgefordert eine Kampagne vom Zaun bricht, um Menschen zu
       diskreditieren.“
       
       13 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andrea Maestro
       
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