URI: 
       # taz.de -- Olympiasiegerin Kristina Vogel: Kampf zurück ins Leben
       
       > Die Bahnradolympiasiegerin Kristina Vogel, die nach einem Trainingsunfall
       > querschnittsgelähmt ist, stellt sich zum ersten Mal der versammelten
       > Presse.
       
   IMG Bild: Für Kristina Vogel war die Zeit im Krankenhaus ein harter Kampf
       
       Berlin taz | Als Kristina Vogel 4 Minuten vor 11 Uhr hereingefahren kommt,
       wird sie von Fotografen und Kamerateams erwartet. Aufregung, Blitzlicht.
       Sie kennt solche Szenen aus ihrer Sportkarriere. Sie ist Olympiasiegerin
       und Weltmeisterin. Pressekonferenzen hat sie am Rande von Bahnradovalen
       dutzendfach abgehalten, die jetzige findet im Unfallkrankenhaus in
       Berlin-Marzahn statt, und Vogel sitzt in einem Rollstuhl. Seit Juni liegt
       sie im Krankenhaus, seit ihrem Unfall im Cottbuser Radstadion, als sie mit
       60 Stundenkilometer auf einen niederländischen Nachwuchsfahrer krachte, der
       sich wie auch der niederländische Radsportverband noch nicht bei ihr
       gemeldet hat.
       
       Die Athletin, im kirgisischen Leninskoje geboren und in Erfurt heimisch
       geworden, hat keine Erinnerung mehr an den Crash, das sei gut, sagt sie,
       das habe ihr vieles leichter gemacht. Es ist der Auftritt einer Kämpferin,
       deren Wirbelsäule kaputt gegangen ist, aber nicht ihr Wille.
       
       Lange Zeit wusste man nicht genau, wie es Kristina Vogel geht. Es sollte
       nichts nach außen dringen. Dann gab sie dem Spiegel ein Interview. Sie
       sprach in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins davon, dass ihre
       Wirbelsäule ausgesehen habe „wie ein Ikea-Klapptisch“. Am Mittwoch stellte
       sie sich nun der gesamten Presse.
       
       Vogel spricht schnell, reflektiert, fast möchte man sagen: professionell.
       Da äußert sich eine Sportlerin, die offenbar aus dem Gröbsten raus ist.
       „Ich bin bereit, neue Aufgaben anzunehmen“, sagt sie. Das will sie in der
       ihr eigenen Art tun: zupackend und mit dem Pragmatismus einer nun leider
       ehemaligen Leistungssportlerin, die darüber hinweg kommen musste, dass bei
       dem Unfall, wie ihr Arzt Andreas Niedeggen sagt, das Rückenmark
       „hochgradig verletzt“ worden ist. Der erste Halswirbel war gebrochen, dazu
       das Brustbein und ein Schlüsselbein.
       
       Mittlerweile sei sie schmerzfrei, sagt Vogel, sie kämpfe eher mit einem
       hartnäckigen Muskelkater, weil sie ihrem Körper schon wieder viel zumutet.
       Sie übt Schwimmen im Bewegungsbad, trainiert das Fahren im Rollstuhl. Das
       geht nicht ohne Stürze: „Gestern bin ich kontrolliert auf den Pops
       gefallen“, sagt sie. Im Berliner Unfallkrankenhaus soll sie bis Dezember
       noch eine Reha durchlaufen. Als eine Athletin, die ihren Körper wie ein
       Werkzeug benutzte, muss die Diagnose Querschnittslähmung eine schwere
       Lebenskrise ausgelöst haben. Oder etwa nicht?
       
       ## Wie geht es weiter?
       
       Weil sie schon kurz nach dem Unfall realisiert habe, wie arg es um sie
       stehe und dass sie wohl nie wieder laufen könne, hat sie nicht mit einem
       Zusammenbruch auf die Mitteilung der Ärzte reagiert. Sie hat sich relativ
       schnell mit der Frage beschäftigt, wie es nun für sie weitergeht. Immer
       nach vorne schauen – das hat sie im Sport und auch im Jahr 2009 gelernt,
       als sie schon einmal kurz vorm Kariereende stand; damals war der
       Sportpolizistin ein Fahrzeug des eigenen Dienstgebers ins Rad gefahren. Sie
       kämpfte sich zurück. Die damalige Traumabewältigung habe ihr jetzt sogar
       geholfen.
       
       „Man soll sich nicht bedauern“, sagt sie, „es ist, wie es ist. Es geht nur
       voran, wenn man im Leben gefordert ist.“ Sie möchte künftig unabhängig
       sein, lernen, wie man mit dem Rollstuhl Treppen runterfährt, und
       Athletensprecherin des Radsportweltverbands UCI will sie auch bleiben.
       
       Das klang alles sehr tapfer und gefasst, und doch konnte man ahnen, was die
       27-Jährige in den vergangen Wochen hat durchmachen müssen. „Ich habe noch
       nie so harte Kämpfe führen müssen wie hier im Krankenhaus, es war ein Kampf
       zurück ins Leben, viel härter als um eine Goldmedaille.“ Vor allem die
       erzwungene Bettlägerigkeit hat sie zur Verzweiflung getrieben.
       
       „Wenn ich noch zwei oder drei Tage länger einfach so hätte liegen müssen,
       hätte ich randaliert. Ich habe das Wort ‚geduldig‘ gehasst“, sagt sie. Nur
       einmal ist sie den Tränen nahe, als sie über den Beistand ihres Mannes
       spricht und sich bei ihm fast schon entschuldigt für ihre Lage: „Es tut mir
       leid, dass er schon wieder so viel durchmachen muss.“
       
       Am Wochenende fährt Kristina Vogel zum ersten Mal wieder nach Erfurt, in
       ihr neues Haus. Sie muss es behindertengerecht umbauen lassen. Ein erstes
       Polster dafür hat sie. Die Sportversicherung zahlt 150.000 Euro. Unter dem
       Hashtag [1][#StayStrongKristina] sind weitere 120.000 Euro an Spenden
       zusammengekommen.
       
       12 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/hashtag/staystrongkristina
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
       ## TAGS
       
   DIR Radsport
   DIR Unfall
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne B-Note: Wenn Blicke töten könnten
       
       Kristina Vogel, Thüringerin mit kirgisischen Wurzeln, gewinnt Gold. Weil
       die Bahnradfahrerin ihre Gegnerin schon vor dem Start hypnotisiert.
       
   DIR Olympianacht in Rio: Ein Tag im Sinne des DOSB
       
       Kristina Vogel gewinnt im Bahnrad-Sprint auch ohne Sattel, Fabian Hambüchen
       brilliert am Reck. Der Star der Nacht ist aber eine US-Turnerin.
       
   DIR Kristina Schröders Buchvorstellung: Glück statt Politik
       
       Kristina Schröder stellt ihr Buch in der Backfabrik Berlin vor. Dort erhält
       sie eine goldene Kochschürze und verkauft den Status quo als Fortschritt.