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       # taz.de -- Reisen von Merkel, Müller und May: Was ist da los in Afrika?
       
       > China, Indien, Türkei: Alle wittern sie Chancen in Afrika. Auch
       > Deutschland zieht nach. Schade, dass es vor allem um die Bekämpfung von
       > Fluchtursachen geht.
       
   IMG Bild: Merkel auf dem Afrika-Gipfel 2017
       
       Mit Afrika ist es wie mit einem Restaurant (oder der Liebe): So lange es
       leer ist, will niemand dort essen. Je besser es dagegen besucht ist desto
       mehr Besucher zieht es an. Fair ist das nicht, klar.
       
       So wurde Afrika lange Zeit kaum beachtet – von Politikern wie
       Geschäftsleuten –, galt es doch als verlorener Kontinent.
       
       Das hat sich jüngst stark geändert. Allein diese Woche reisen drei
       europäische Spitzenpolitiker durch Afrika. Die britische Premierministerin
       Theresa May ist in Kenia, Nigeria und Südafrika unterwegs, Bundeskanzlerin
       Angela Merkel (CDU) bereist den Senegal, Ghana und Nigeria, und
       Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) absolviert eine [1][Tour de
       Force] durch sieben Länder: Eritrea, Äthiopien, Mosambik, Botsuana,
       Simbabwe, Tschad und Ghana.
       
       Woher das plötzliche Interesse für Afrika?
       
       Da wären zunächst wirtschaftliche Interessen: Europa hat Angst, den
       Anschluss zu verlieren, scheint doch längst der Ausverkauf des südlichen
       Nachbarkontinents begonnen zu haben: China macht fast täglich durch
       [2][große Investitionen] von sich reden: [3][eine Billion US-Dollar] wolle
       es in Afrikas Infrastruktur stecken, erklärte es kürzlich. Chinesische
       Unternehmen – mehr als 10.000 sollen es laut der Unternehmensberatung
       McKinsey sein – bauen in Afrika Zugstrecken, Flughäfen, Häfen, Brücken,
       Regierungspaläste und, und, und.
       
       ## In Afrika freut man sich über das „Engagement“ Chinas
       
       Viele Afrikaner scheinen das zu begrüßen: Laut einer Umfrage von
       Afrobarometer beurteilen zwei Drittel der Menschen in 36 afrikanischen
       Ländern [4][Chinas Gebaren] als „gut“, wie das [5][Handelsblatt schreibt].
       Demnach überrascht es auch wenig, dass seit 2015 [6][an chinesischen
       Universitäten] mehr afrikanische Studierende immatrikuliert sind als an
       US-amerikanischen und britischen zusammen genommen.
       
       Auch Indien und die Türkei machen zunehmend Deals mit Afrika. Und Europa?
       Schläft – zu großen Teilen zumindest. Deutschland ist da keine Ausnahme.
       Allein mit Österreich sei das Handelsvolumen dreimal so groß wie mit dem
       gesamten afrikanischen Kontinent, sagt der [7][Experte für
       Entwicklungszusammenarbeit] Robert Kappel von der Uni Leipzig Al Jazeera.
       
       Nicht mal ein Prozent der deutschen Auslands-Investitionen – rund 10,5
       Milliarden Euro – sei 2016 nach Afrika geflossen, meldet die Presseagentur
       epd und beruft sich auf Berechnungen des Afrika-Vereins der deutschen
       Wirtschaft – verglichen mit 160,5 Milliarden Euro, die im gleichen Jahr in
       Asien investiert worden seien. Dennoch sei dies eine Steigerung um 23
       Prozent im Vergleich zu 2015, gibt epd zu bedenken.
       
       Da überrascht es kaum, dass es Deutschland unter allen ausländischen
       Investoren in Afrika nur auf einen 11. Platz schafft.
       
       ## Rasantes Bevölkerungswachstum in Afrika
       
       Entwicklungsminister Müller will das ändern. Kürzlich sagte er in einem
       [8][Interview mit dem BR], in den nächsten zehn Jahren würde in Afrika mehr
       gebaut als in Europa in den letzten 100 Jahren. Warum wir da etwa nicht
       dabei sein wollten?
       
       Rasant ansteigen wird auch die Bevölkerung Afrikas. Bis 2050 soll sie sich
       auf 2,5 Milliarden Menschen mehr als verdoppelt haben und dürfte dann ein
       Viertel der Weltbevölkerung ausmachen, rechnet Eurostat vor. Der Anteil
       junger Menschen wird besonders groß sein.
       
       Gleichzeitig verzeichnen einige afrikanische Länder ein starkes
       Wirtschaftswachstum mit einem Plus zwischen sechs und acht Prozent
       jährlich.
       
       Theresa May hat diese Chance begriffen. Soeben verkündete sie,
       Großbritannien wolle [9][4,3 Milliarden Euro in Afrika investieren] – damit
       würde ihr Land der größte Afrika-Player unter den G7-Staaten, nur noch
       getoppt von China. Vor dem Hintergrund des nahenden Brexit ist es wenig
       überraschend, dass sie sich schleunigst nach neuen Handelspartnern für ihr
       Land umsehen muss.
       
       ## Mehr EU-Gelder für Griechenlandrettung als für Afrika
       
       Müller spricht in seinem TV-Interview mit dem BR einen weiteren kritischen
       Punkt an: Er wundere sich, dass auch EU-Hilfen für Afrika so kläglich
       ausfielen: Für die Griechenland-Rettung habe man 289 Milliarden Euro
       ausgeben. Was sei denn da die eine (zusätzlich) geplante Milliarde für
       Afrika im Vergleich? Die Antwort gibt er selbst: „Ein Regentropfen“.
       
       Dabei spielt er auf den neuen EU-Haushalt an, der von 2021 bis 2027 gelten
       wird und eine Aufstockung des – für die Länder südlich der Sahara geltenden
       – Instruments für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale
       Zusammenarbeit von 31 auf 32 Milliarden Euro beinhaltet. Müller sagt: „Die
       in Brüssel haben immer noch nicht verstanden, „was da auf uns zukommt“.
       
       Müller meint die Flüchtlinge. Die werden von manchem Beobachter als der
       Hauptgrund für Merkels Afrika-Reise angesehen. Einer vermutet, die
       Kanzlerin unternehme diese Reise, um innerparteiliche Kritiker ihrer vielen
       als zu liberal geltenden Flüchtlingspolitik zu besänftigen.
       
       Alle drei von ihr bereisten Länder sind Herkunfts- sowie in Teilen auch
       Transitländer von Flüchtlingen, allen voran das knapp 200 Millionen
       Einwohner zählende Nigeria, das aktuell nach Syrien und Irak auf Platz 3
       der Herkunftsländer für Flüchtlinge in Deutschland liegt – mit sehr
       niedrigen Anerkennungsraten, da Nigerianer vom BAMF in den seltensten
       Fällen als asylberechtigt angesehen werden, ungeachtet der Tatsache, das
       die Terror-Organisation Boko Haram noch immer nicht besiegt ist und
       Schätzungen zufolge mehr als [10][20.000 Menschen ihres Lebens beraubt]
       haben dürfte.
       
       ## Mangelnde Kooperation bei der Rückübernahme
       
       Mit Nigeria sollen Gespräche zu einem Rückübernahmeabkommen von irregulär
       eingereisten Migranten stattgefunden haben – und zwar sowohl auf EU-Ebene
       als auch bei bilateralen Treffen mit deutschen Politikern. Bislang ohne
       Erfolg. Nigeria habe wenig Interesse, heißt es. Auf Geld aus Deutschland
       sei das rohstoffreiche Land sowieso nicht angewiesen, sagen Experten.
       
       Blöd für die andere Seite: Immer wieder klagen deutsche Behörden sowie ihre
       Counterparts in anderen EU-Ländern über mangelnde Kooperationsbereitschaft
       nigerianischer Botschaften bei der Identitätsfeststellung.
       
       Ohne die wiederum gibt es keinen Pass, und ohne Pass ist keine Abschiebung
       möglich. So bleiben viele Nigerianer dann doch in Deutschland, teils mit
       einer sogenannten Duldung, teils ganz ohne Status. Mit Ghana und Senegal
       gibt es mitunter ähnliche Schwierigkeiten, wenn auch zahlenmäßig weniger
       bedeutsam. Aus allen drei Ländern sollen zurzeit insgesamt 14.000 Menschen
       in Deutschland leben, [11][berichtet die Deutsche Welle].
       
       Merkel ist es ein Anliegen, für die vielen jungen Menschen aus diesen
       Ländern Jobs zu schaffen, verkündet sie [12][in einer Video-Botschaft]. Ein
       durchaus nobles Ziel – und mittel- bis langfristig in Teilen womöglich
       realisierbar, wenn immer mehr deutsche Firmen ihre Geschäfte nach Afrika
       verlegen. Noch tun dies zu wenige. Gerade kleine und mittelständische
       Unternehmen scheuen oft das Risiko, weil [13][Investitionen nicht
       abgesichert] sind.
       
       Hilfsorganisationen kritisieren die Reisen von Merkel und Müller. So
       erklärte die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, kurz nach
       Merkels Abflug in den Senegal, dass statt Arbeitsplätzen und
       Fluchtursachenbekämpfung vielmehr die Bekämpfung von Hunger im Vorderund
       stehen sollte. Noch immer hungerten weltweit 815 Millionen Menschen, die
       meisten von ihnen in afrikanischen Ländern südlich der Sahara und Südasien.
       
       ## Größerer Reichtum führt zu mehr Migration
       
       Was die Kanzlerin außerdem vergessen haben dürfte: Bei steigender
       Wirtschaftsleistung wächst auch die Migrationsrate. Denn zum einen nimmt
       der Bildungsgrad zu – und der damit verbundene Wunsch nach Pespektiven –,
       und zum anderen haben viele erst bei einem etwas höheren Einkommen die
       nötigen Mittel für eine Flucht: in der Regel mehrere Tausend Euro.
       
       Wenn wir Afrika langfristig stärken – und damit gleichzeitig den
       Migrationsdruck senken – wollen, müssten wir zu allerest unsere
       Agrarpolitik grundlegend ändern – und zwar auf EU-Ebene. Es kann nicht
       sein, dass Afrika 80 Prozent seiner Lebensmittel importieren muss – weil
       die eigenen Produkte aufgrund von EU-Subventionen zu teuer sind für die
       Bevölkerung. Schade – wenngleich wenig verwunderlich – , dass weder Merkel
       noch Müller oder May diesen Punkt auf ihrer Agenda haben.
       
       29 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Deutschlands-Afrikapolitik/!5528256
   DIR [2] /Umstrittene-Kredite-von-der-Volksrepublik/!5528157
   DIR [3] https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/brexit-leaves-britain-powerless-to-influence-chinas_uk_5b85582ee4b013f66bd56a50?guccounter=1&guce_referrer_us=aHR0cHM6Ly93d3cuZ29vZ2xlLmNvbS8&guce_referrer_cs=NbsbqkeI-CPreC2SxHbuvQ
   DIR [4] /Kommentar-Afrikas-Entwicklung/!5521164
   DIR [5] https://www.handelsblatt.com/politik/international/entwicklung-was-merkel-von-chinas-afrika-strategie-lernen-koennte/22966394.html
   DIR [6] https://edition.cnn.com/2017/06/29/africa/african-students-china-us/index.html
   DIR [7] https://www.aljazeera.com/indepth/features/migration-expected-top-merkel-agenda-west-africa-tour-180825154635346.html
   DIR [8] https://www.br.de/mediathek/video/entwicklungsminister-mueller-europa-muss-nach-afrika-und-fluchtursachen-bekaempfen-av:5b7d9e5a7999e9001831d44b
   DIR [9] http://de.euronews.com/2018/08/28/premierministerin-may-in-kapstadt
   DIR [10] https://www.theguardian.com/world/2018/feb/21/scores-of-girls-missing-after-new-boko-haram-school-attack
   DIR [11] https://www.dw.com/en/business-and-migration-to-shape-merkels-trip-to-west-africa/a-45259852
   DIR [12] https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Mediathek/Einstieg/mediathek_einstieg_podcasts_node.html?cat=podcasts
   DIR [13] https://www.handelsblatt.com/politik/international/entwicklungshilfe-hermes-buergschaften-sind-ein-meilenstein-fuer-deutsche-investitionen-in-afrika/22656878.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Wagner
       
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