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       # taz.de -- Die Wahrheit: Genesis und Galatea
       
       > Im Rheinischen steht ein Bauernhaus, und in der Diele steht ein Pferd.
       > Wenn das mal nicht ein Traum von geradezu biblischen Ausmaßen ist.
       
   IMG Bild: Taxifahrten versprechen immer etwas Glamour, manchmal sogar Sex
       
       Da steht ein Pferd auf dem Flur. Das ist seit dem Nordseeküsten-Schlagerduo
       Klaus & Klaus soweit bekannt, überraschend ist nur, dass sich das Pferd im
       Obergeschoss des Hauses meiner Großeltern befindet. „Da steht etwas in der
       Garage und guckt“, wäre ja noch ein rechtschaffener Satz gewesen, aber hier
       guckt etwas in der engen Diele dieses ehemaligen rheinischen Bauernhauses.
       Ein stattliches, dunkles Pferd. Ein Friese. Ein schönes Tier. Wie aber
       kommt es hier her? Und, viel wichtiger, wie kommt es hier wieder raus?
       
       Ich öffne die Augen und schaue in die Bibel, die praktischerweise auf dem
       Nachttisch liegt. Leider kommt dieses „Buch der Bücher“ oft ziemlich
       verdreht daher. So heißt es etwa im Buch Genesis: „Es werde Licht. Und es
       wurde Licht.“ Das war am ersten Tag der großen Welterschaffung. Dreizehn
       Verse später heißt es: „Gott machte die beiden großen Lichter, das größere,
       das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch
       die Sterne.“ Das Licht wurde also schon am ersten Tag angemacht, die Sonne
       selbst gab es aber erst ab Tag drei. Zwei Tage Licht ohne Sonne! Die Funzel
       unseres kleinen Sonnensystems wurde mitsamt dem Erdtrabanten also erst im
       Nachhinein angeschraubt, „damit sie über die Erde hin leuchtet, über Tag
       und Nacht herrscht und das Licht von der Finsternis scheidet“.
       
       Erstaunlich! Ich lese die Bibelstellen meiner Geliebten vor, die
       praktischerweise auch gleich neben mir liegt. Sie kuschelt sich an mich und
       spricht: Das müsse man anders verstehen. Mit dem ersten Licht, das so
       sonnenlos und quellenfrei über die Welt scheint, sei das göttliche Licht
       gemeint! Gar nicht dumm, diese Christen. Ist der Text bescheuert, dreht man
       ihn so hin, dass es umso mehr zur Religion passt.
       
       „Dann sprach Gott“, spricht die Genesis weiter: „Das Land bringe alle Arten
       von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des
       Feldes. So geschah es.“ Das Land also hat das Pferd hervorgebracht. Oder
       eher doch ein anderes Pferd? Es gehört realiter nämlich einer anderen
       Geliebten, der meines Bruders. Ja, der ist tatsächlich mit einem
       Pferdemädchen zusammen! Wie es halt so läuft auf dem Land. Als jenes „Tier
       des Feldes“ fohlte, wurde ich gefragt, ob mir ein Name einfiele – aus
       Zuchtgründen aber nur einer mit G, H oder I. Meine Vorschläge „Holly
       Golightly“ oder „Galatea“, wie die Frau, die man nach eigenen Erwartungen
       formen kann, fielen allerdings durch.
       
       Ich stehe auf und ziehe die Rollos hoch, die Sonne ist aufgegangen. Die
       Finsternis ist verschwunden. Meine Großeltern sind längst den Weg alles
       Irdischen gegangen. Sie haben einen Kleinbauernhof vererbt, Pferde hatten
       sie nie. In meinem Traum mit dem Pferd auf dem Flur ruht der Kopf meiner
       Großmutter im Küchenspülbecken. Ihr Kopf liegt im klaren Spülwasser, sie
       hat die Augen geöffnet und guckt mich an. Sie sagt nichts und guckt nur.
       Wie ein Pferd.
       
       19 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Hamann
       
       ## TAGS
       
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