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       # taz.de -- Eigentümer über besetztes Haus: „Wir haben keine Rachegedanken“
       
       > Benjamin Marx, Eigentümer des teil-besetzten Hauses in Kreuzberg, ließ
       > nicht räumen. Einen Anspruch hätten die Besetzer nicht, aber reden will
       > er mit ihnen.
       
   IMG Bild: Unmittelbar nach der Besetzung versammelten sich Menschen vor dem Haus in der Großbeerenstraße
       
       Zum vereinbarten Interviewtermin vor dem vor einer Woche [1][teilbesetzten
       Haus an der Größbeerenstraße Ecke Obentrautstraße] in Kreuzberg kommt
       Benjamin Marx nicht allein. Der Projektleiter des Eigentümers, der
       katholischen Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, war zuvor bei
       einem Gespräch mit der Bezirkspolitik im Rathaus Kreuzberg – und hat alle
       Beteiligten zur Besichtigung mitgebracht.
       
       Kurz darauf stehen Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt, die Abgeordneten
       Katrin Schmidberger und Canan Bayram (alle Grüne), ein Architekt,
       Verwaltungsmitarbeiter und VertreterInnen des Sozialdiensts katholischer
       Frauen in dem Haus. Zunächst begutachten sie den ehemaligen Friseurladen,
       zwei leere Räume, unverputzt, der Boden notdürftig mit Brettern ausgelegt.
       Weiter geht die Besichtigung in verwinkelten Räumlichkeiten nebenan, eine
       halbe Etage tiefer, dem Souterrain.
       
       Marx führt mit einer Taschenlampe durch die abgedunkelten Räume.
       Anschließend zeigt der gedrungene Mann mit dem rheinischen Akzent seinen
       Gästen auch mehrere leer stehende Wohnungen. Die letzten drei Bewohner
       haben Schilder an ihren Türen angebracht: „Stopp! Diese Wohnung ist regulär
       vermietet“. Kein Zutritt gibt es auch zu der Wohnung im ersten
       Obergeschoss, die von den Besetzern gehalten wird. Bis zum 14. Oktober
       dürfen sie bleiben, das hat Marx ihnen zugesagt.
       
       Zum anschließenden Gespräch gesellt sich zu Benjamin Marx auch der
       zukünftige Büroleiter der Wohnungsgesellschaft, Markus Deml.
       
       taz: Herr Marx, Sie haben mit dem Bezirk über die Zukunft des Hauses
       gesprochen. Worum ging es da genau? 
       
       Benjamin Marx: Wir haben vor allem über unser geplantes Angebot für
       wohnungslose Frauen gesprochen. Im Souterrain soll ein Raum entstehen, in
       dem Frauen sich aufwärmen, duschen, ihre Klamotten waschen oder etwas zu
       essen machen können. Daneben, im alten Friseursalon, soll eine
       Beratungsstelle einziehen. Oben drüber werden Schutzwohnungen entstehen, in
       denen bis zu 30 Frauen temporär zur Ruhe kommen können und wieder ein
       Gefühl des Wohnens bekommen, wenn sie zuvor auf der Straße gelebt haben.
       Von da aus soll dann eine Vermittlung in den ganz normalen Wohnungsmarkt
       stattfinden, um den Kreislauf der Obdachlosigkeit zu durchbrechen.
       
       Was ist mit dem anderen Gebäudeteil geplant, in dem momentan auch die
       Besetzer sind? 
       
       Ich habe ja vergangenen Montag mit den Besetzern gesprochen. Wir haben uns
       darauf geeinigt, ergebnisoffen in die Gespräche zu gehen. Am 4. Oktober
       sind wir wieder verabredet. Wir stehen dem Modell, alternative Wohnformen
       zu finden, offen gegenüber. Wenn da eine gute Idee kommt, verschließen wir
       uns nicht.
       
       Was könnte das sein? 
       
       Ich habe schon viele Wohnprojekte entwickelt von
       Demenz-Wohngemeinschaften, über Generationenwohnungen bis
       Schutzwohnungen. Das Spektrum ist groß. Aber die Menschen aus dem Kiez
       sollen selbst sagen, was sie wollen. Ich will da gar keine Vorgaben machen.
       
       Was heißt das für die Besetzer? 
       
       Der Automatismus, man geht in eine Wohnung rein, besetzt sie und hat dann
       einen Anspruch darauf, funktioniert hier nicht. Wir wollen, dass sich das
       beste Modell durchsetzt.
       
       Die Besetzer werden also kein Teil einer zukünftigen Nutzung? 
       
       Markus Deml: Dafür ist die Besetzergruppe wohl nicht homogen genug. Ich
       kann mir vorstellen, dass sie Ideen entwickeln, wie dort gewohnt werden
       soll. Dass sie aber selbst dort wohnen möchten, haben sie in den bisherigen
       Gesprächen nicht deutlich gemacht.
       
       Marx: Gemeinsames Besetzen ist nicht identisch mit gemeinsamen Wohnen.
       
       Die Besetzer bezeichnen sich als Hausprojektgruppe. Das suggeriert doch,
       dass sie zusammenwohnen wollen. 
       
       Deml: Das suggeriert auch, dass sie ein Haus haben. Das haben sie aber
       nicht. Sie haben sich mit uns als Eigentümer auf die Nutzung einer Wohnung
       verständigt. Es ist aber wirklich so, dass wir hoffen, dass die Impulse für
       die neue Nutzung aus dieser Gruppe kommen.
       
       Sie wollen Ideen abschöpfen, aber die Gruppe dann nicht mehr im Haus haben? 
       
       Marx: Wenn die Besetzer Teil eines Konzeptes sind, das überzeugend und
       sinnvoll ist, dann haben wir kein Problem. Warum sollten wir? Wir haben ja
       keine Rachegedanken.
       
       Können Sie sich vorstellen, Teile des Hauses kostenfrei zur Verfügung zu
       stellen? 
       
       Nein. Das Haus wird ganz normal vermietet. Wohnen ist ein Gut, und dafür
       muss man auch bezahlen.
       
       Wie lief der Kontakt am Tag der Besetzung mit Ihnen ab? 
       
       Ich war an dem Samstagnachmittag im Theater. Als ich mein Handy
       eingeschaltet habe, waren da 30 Anrufe in Abwesenheit. Die erste Nummer,
       die ich zurückgerufen habe, war die Polizei, die gefragt hat, ob sie räumen
       dürfe.
       
       Was Sie auch wollten. 
       
       Nein, das ist falsch dargestellt worden. Wir hatten nicht das Bedürfnis die
       Polizei reinzuschicken. Ich habe dann als Nächstes mit Frau Schmidberger
       gesprochen, dann Herrn Deml darum gebeten vorbeizufahren. Vor Ort lief
       alles ganz entspannt ab.
       
       taz: Am Montag danach haben Sie die Besetzer getroffen. Wie haben Sie Ihre
       Gegenüber wahrgenommen? 
       
       Marx: Die waren erstaunt, dass sie den Vertreter eines Eigentümers vor sich
       hatten, der nicht in das vielleicht erwartbare Klischee passt: ohne Anwalt,
       dafür mit eigener Hausbesetzervergangenheit.
       
       Haben Sie? 
       
       Ja, klar. 1977 habe ich in Düsseldorf ein Haus besetzt.
       
       Mit welchem Ergebnis? 
       
       Wir sind noch am selben Tag geräumt worden.
       
       Wollten Sie bleiben? 
       
       Unsere Motivation war es, auf den Missstand des Leerstandes hinzuweisen.
       
       Das nun besetzte Haus steht seit Jahren leer. Jetzt sind Sie für den
       Missstand verantwortlich. 
       
       Es ist ein Missstand, aber nicht unserer. Der frühere Besitzer hat es
       leerstehen lassen. Wir haben das Haus erst im Dezember 2014 gekauft. 2015
       habe ich mit der Planung begonnen, schon damals war ich mit dem
       Sozialdienst katholischer Frauen drin. Als dann nach dem Sommer die
       Flüchtlinge kamen, war ich mit meiner Kraft in Köln gebunden, da hakte es
       dann etwas. 2016 haben wir den Antrag gestellt, eine Etage aufzustocken.
       Das wurde abgelehnt. 2017 wurde dann genehmigt, dass wir die Wohnungen
       entsprechend der Milieuschutzsatzung sanieren dürfen.
       
       Bis heute ist aber nichts geschehen. 
       
       Bei der Vorbereitung der Arbeiten wurde festgestellt, dass wir hier auch
       statische Probleme haben. Deshalb konnten wir nicht einfach anfangen zu
       renovieren.
       
       Sie wollen Balkone anbringen, einen Fahrstuhl einbauen. Doch eher eine
       Luxus-Modernisierung? 
       
       Wenn aufgestockt worden wäre, hätten wir einen Fahrstuhl eingebaut. Es gibt
       Mieter, die lieber zwölf Euro im Monat mehr zahlen, anstatt auszuziehen,
       weil sie es nicht mehr bis in die vierte Etage schaffen. Die Balkone, die
       wir anbringen wollen, sind eher so kleine Raucherbalkone. Mit
       Luxussanierung hat das nichts zu tun.
       
       Wie war denn Ihre Idee für diesen Teil des Hauses vor der Besetzung? 
       
       Ganz normale Mietwohnungen.
       
       Kein Eigentum? 
       
       Nein.
       
       Durch die Besetzung wird jetzt alles schneller gehen? 
       
       Nein.
       
       So ein Gespräch wie heute mit der Bezirkspolitik und -verwaltung, hätte
       doch sonst nicht stattgefunden. 
       
       Wir waren ja schon im Gespräch. Vielleicht hat es aber jetzt einen
       zusätzlichen Drive bekommen.
       
       Wie ist denn Ihr Zeitplan? 
       
       Deml: Wir versuchen, die Souterrain-Räume schon in diesem Winter für die
       Kältehilfe zur Verfügung zu stellen. Um die Schutzräume herzurichten,
       müssen wir massiv umbauen. Eine Zeit zu benennen, ist schwierig. Von
       unserer Seite spricht nichts dagegen, das jetzt schnell anzugehen.
       
       Marx: Das Roma-Haus in der Harzer Straße habe ich im August 2011
       übernommen, im September 2012 war die Eröffnung. Das hier geht ein bisschen
       schneller.
       
       18 Sep 2018
       
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