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       # taz.de -- heute in bremen: „Bis zum Urteil ist Konjunktiv angesagt“
       
       Interview Karolina Meyer-Schilf
       
       taz: Herr Docke, welchen Einfluss – positiv und negativ – hat
       Presseberichterstattung auf die Rechtsprechung? 
       
       Bernhard Docke: Gerichtsverfahren sind öffentlich, dadurch soll das
       Vertrauen in die Unparteilichkeit der Rechtsprechung gestärkt werden. Immer
       mehr und immer intensiver wird über Prozesse berichtet, das nimmt mitunter
       problematische Auswüchse an.
       
       Ist es naiv zu glauben, RichterInnen seien in ihrer Arbeit unabhängig von
       aktueller Berichterstattung? 
       
       Bei aller Professionalität der Richter, es wäre tatsächlich naiv, eine
       komplette Immunität zu erwarten. Laut auf Richterbefragungen basierenden
       Untersuchungen gibt es zumindest einen Einfluss auf die Höhe einer Strafe
       oder etwa die Frage einer Bewährung, kaum aber auf die Frage Schuld oder
       Nichtschuld.
       
       Finden Sie, PressevertreterInnen gehen mit ihrer Verantwortung angemessen
       um? 
       
       Leider nicht immer. Es mehrt sich in der Bemühung um Sensationen und Quoten
       ein unverantwortlicher Umgang mit der Unschuldsvermutung. Manchen
       Gerichtsurteilen gehen mediale Urteile voraus, die die Betroffenen selbst
       im Fall eines späteren Freispruchs gesellschaftlich ächten. Im
       Kachelmann-Prozess übernahmen Medien die Rolle übergriffiger
       kriminalpolitischer Akteure mit dem erklärten Ziel, das Urteil zu
       beeinflussen. Ein Unding ist auch die Veröffentlichung von
       Aktenbestandteilen, die den Medien gar nicht vorliegen dürfen.
       
       Was bedeutet verantwortlicher Umgang in der Presseberichterstattung für
       Sie? 
       
       Die Sach- und Beweislage muss offen und vorurteilsfrei geschildert werden,
       bis zum rechtskräftigen Urteil ist Konjunktiv angesagt. Bevor berichtet
       wird, sollte ein Mindestbestand an verlässlichen Beweistatsachen für die
       Richtigkeit des Verdachts vorliegen. Seriöse Berichterstattung braucht
       Recherche und Zeit, statt eines Schnellschusses kann man auch mal nicht
       berichten.
       
       Ab wann wird Presse zur „Lügenpresse“? 
       
       Ich mag dieses Wort nicht, es ist ein Kampfbegriff der neuen Rechten.
       Journalisten und die Medien haben eine ungemein wichtige Funktion, Kritik
       ist auszuhalten und ein undifferenziertes Medienbashing vordemokratisch.
       Soweit die Berichterstattung aber den Markenkern des Rechtsstaats, die
       Unschuldsvermutung, verletzt oder sie sich anmaßt, anstelle der Gerichte zu
       urteilen, ist sie zurückzuweisen, notfalls durch Schadensersatzklagen wie
       im Fall Kachelmann. BILD musste zahlen, ein schwacher Trost für den allzeit
       Geächteten.
       
       19 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karolina Meyer-Schilf
       
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