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       # taz.de -- Nach der Beförderung von Maaßen: Seehofer sichert die Zukunft der Krise
       
       > Der Innenminister freut sich über die Lösung des Maaßen-Problems. Die SPD
       > ist sauer. Und die Kanzlerin? Hält sich zurück.
       
   IMG Bild: Gut drauf: Maaßen ist eindeutig der Gewinner der ganzen Aktion
       
       Horst Seehofer sieht müde aus, als er am späten Mittwochvormittag im
       Bundesinnenministerium vor die Hauptstadtpresse tritt. Die Augen sind
       klein, das Gesicht ist blass. Doch das sind Äußerlichkeiten. Als er
       vorträgt, wie er die Spitze seines Hauses umbauen will, um für den
       bisherigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen,
       [1][einen Staatssekretärsposten freizuräumen], blitzt immer wieder ein
       kleines, spöttisches Lächeln um seinen Mund auf. Ganz so, als würde er sich
       freuen, dass er es der SPD jetzt heimzahlen kann.
       
       Denn der Mann, der bei der Personalrochade geopfert wird, ist ein
       Sozialdemokrat. Seehofer versetzt den Staatssekretär für Bauen und
       Stadtentwicklung, Gunther Adler, in den einstweiligen Ruhestand – einen
       ausgewiesenen Fachmann. Und das zwei Tage vor dem Wohngipfel, der am
       Freitag im Kanzleramt tagt. Adlers Bereich soll der bisherige
       Sicherheitsstaatssekretär Hans-Georg Engelke übernehmen. Ein Terrorexperte.
       
       Den Unmut in der SPD über die Vereinbarung zur Zukunft Maaßens, auf die
       sich am Dienstagnachmittag Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Seehofer und
       die SPD-Vorsitzende Nahles [2][geeinigt hatten], dürfte das noch weiter
       befeuern. Und genau das scheint Seehofer Spaß zu machen. Die Personalie sei
       Folge der gemeinsam gefällten Grundsatzentscheidung, sagt der Bayer. Und
       betont immer wieder, dass nicht er es gewesen sei, der den Anstoß zum nun
       folgenden Personalkarussell gegeben habe. „Das Thema ist ja nicht mein
       Thema gewesen“, sagte er. „Ich hätte ja die Versetzung von Herrn Maaßen
       nicht betrieben.“
       
       Maaßen, der nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den rassistischen
       Übergriffen in Chemitz das Vertrauen der SPD und wohl auch der Kanzlerin
       nicht mehr besitzt, ist eindeutig der Gewinner der ganzen Aktion. Er wird
       nicht nur zum Staatssekretär befördert; er erhält auch noch einen auf ihn
       zugeschnittenen Zuständigkeitsbereich mit weitreichenden Kompetenzen.
       Maaßen wird künftig nicht nur für die öffentliche Sicherheit und die
       Bundespolizei zuständig sein wie bislang Engelke. Er bekommt die Abteilung
       Cyber- und Informationssicherheit noch dazu.
       
       Nur die Aufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz wird er nicht
       haben. Sie wird weiter bei Engelke liegen, der jetzt eigentlich für Bauen
       zuständig ist. Das wird im Innenministerium, das erst mit Seehofers
       Amtsantritt gehörig umgebaut worden ist, erneut zu organisatorischen
       Herausforderungen führen.
       
       Einen Nachfolger für Maaßen als Verfassungsschutzchef hingegen präsentierte
       Seehofer nicht. Bis diese Personalie geklärt sei, solle Maaßen im Amt
       bleiben, so Seehofer. „Das ist wegen der Sicherheitslage in der
       Bundesrepublik Deutschland auch unverzichtbar.“
       
       Kandidaten für einen möglichen Nachfolger seien am Dienstag nicht genannt
       worden, sagte Seehofer. „Wir haben gestern niemanden – weder die Frau
       Nahles noch die Bundeskanzlerin noch ich – irgendeinen Namen auf den Tisch
       gelegt, noch diskutiert. Null.“ Auch er selbst habe keinen Namen im Kopf,
       allerdings solle über die Personalie zügig entschieden werden.
       
       Bei der SPD brennt derweil der Baum. Dass Maaßen als Staatssekretär nun für
       Sicherheit zuständig sein wird, hält die SPD-Bundestagabgeordnete Nina
       Scheer sogar für „einen Staatsstreich“. Maaßen habe ja die Aufklärung
       rechtsextremer Taten verhindert und seine Amtspflicht verletzt, so Scheer.
       
       Staatsstreich – so extrem sieht es in der SPD sonst kaum jemand. Doch das
       Empörungslevel ist hoch. Mit Maaßen, so SPD-Mann Ralf Stegner, wird „ein
       Verbreiter rechter Verschwörungstheorien zum Staatssekretär befördert“.
       Axel Schäfer, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bochum, findet den Fall „nur
       noch absurd“. Die Union, so der SPD-Linke, sei bei der „Entscheidung
       zwischen Entlassung und Versetzung auf Beförderung“ gekommen. „Die SPD wird
       das hoffentlich nicht mit sich machen lassen“, so Schäfer.
       
       Anders als sonst üblich bei Koalitionskrisen ist nicht nur der linke
       SPD-Flügel entsetzt. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller
       hält den Deal für „peinlich.“ Die Wut an der Basis, melden besorgte
       Abgeordnete, sei groß. Auch dass Seehofer den einzigen SPD-Staatssekretär
       im Innenministerium feuert, um Platz für Maaßen zu schaffen, hebt die
       Stimmung nicht.
       
       Die ohnehin schwierigen Wahlkämpfe in Hessen und Bayern werden für die SPD
       nach dem Fall Maaßen noch komplizierter. „Das gibt in der Partei ein
       mittelschweres Beben“, so Schäfer. Doch was heißt das konkret?
       Koalitionsbruch?
       
       Ralf Stegner, der zum moderat linken Flügel in der SPD zählt, glaubt: „Die
       SPD nähert sich in der Koalition dem Ermüdungsbruch.“ Die Hoffnung, dass
       nach Seehofers Asyl-Sommertheater endlich Ruhe einkehren würde, war
       trügerisch. Stegner droht: „Unser Geduldsfaden hält keiner weiteren
       Belastung stand.“
       
       Denn zur Wahrheit gehört, dass Parteichefin Andrea Nahles in der Runde mit
       Seehofer und Merkel alle Entscheidungen abgesegnet hat – auch die
       Beförderung von Maaßen. Zuvor soll Nahles einen anderen Plan Seehofers
       abgelehnt haben. Der wollte, wie Bild und ARD berichten, dass der SPD-nahe
       Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, und Maaßen die Posten tauschen.
       
       ## Wie viel Mitschuld trägt die SPD?
       
       Wie viel Mitschuld trägt die SPD also an dem skurrilen Eindruck, dass man
       nur genug falsch machen müsse, um befördert zu werden? Stegner versucht,
       wie die SPD-Spitze, seine Partei mit einer Doppelstrategie aus dem
       Schussfeld zu bekommen. Die SPD habe immerhin dafür gesorgt, dass Maaßen
       als Verfassungssschutzchef abgelöst wird. Und wie Seehofer seine
       Staatssekretäre auswähle, darauf habe man leider keinen Einfluss.
       
       Die SPD ist, so jedenfalls die Darstellung, von Maaßens Karrieresprung
       kalt erwischt worden. „Wir haben uns“, so Stegner, „im Traum nicht
       vorstellen können, dass Maaßen befördert wird.“ Das allerdings zeigt einen
       erstaunlichen Mangel an politischem Vorstellungsvermögen. Seehofers
       wiederholte Treuebekundungen für den Verfassungsschutzchef ließen in der
       letzten Woche wenig Zweifel. Der Innenminister, der immer mal wieder nach
       rechts funkt, würde gerade vor der Wahl in Bayern nicht klein beigeben.
       
       Wie geht es also weiter? Vielleicht doch raus aus der Koalition, in der die
       SPD sichtbar leidet? Natascha Kohnen, SPD-Spitzenkandidatin in Bayern, will
       die Revolte: Die SPD solle im Kabinett gegen Maaßens Beförderung votieren.
       Das wäre das Ende der Koalition.
       
       Doch dafür gibt es in der SPD bislang keine Mehrheit. Auch der SPD-Linke
       Schäfer hält den Ausstieg für falsch. Man habe am Mittwoch im Bundestag
       mehr als 5 Milliarden Euro für Kitas bis 2022 beschlossen, solche Erfolge
       dürfe man nicht gefährden, so Schäfer. So ist das Bild, das die SPD am Tag
       eins nach dem Fall Maaßen abgibt, das bekannte: Dampf ablassen, Fäuste
       ballen, weitermachen.
       
       Und Merkel? Die Kanzlerin schweigt, jedenfalls zur Maaßen-Affäre. Ansonsten
       spult sie diesen Mittwoch streng protokollarisch ab: Morgens sitzt sie am
       Kabinettstisch, mittags stellt sie im Kanzleramt die Grundzüge der
       nagelneuen Plattform „Zukunft der Mobilität“ vor. Am Nachmittag hält sie
       eine Rede bei Daimler in Immendingen, und anschließend düst sie weiter nach
       Salzburg zum informellen Treffen der EU-Staatschefs. Motto:
       Regierungskrise? Ich seh keine.
       
       Fraglich ist, ob und wie lange Angela Merkel das noch durchhält. Hört man
       in Partei und Fraktion hinein, trifft man vor allem auf Ratlosigkeit. Von
       „Erschütterung“ ist die Rede, von „ganz schlechtem Stil“. Damit soll vor
       allem der Unionspartner CSU beschrieben werden. Aber es ist deutlich
       spürbar, dass Merkel gerade dabei ist, ihre innerparteilichen Fürsprecher
       zu verprellen; dass ihr nicht mehr viel Führungskompetenz zugetraut wird.
       Merkels Kraft ist absorbiert vom Ringen mit Seehofer.
       
       Selbst unter CSU-Abgeordneten gibt es schon Befürchtungen, dass Horst
       Seehofer überreißt und damit die Koalition zuschanden reitet. Das würde
       nicht nur bedeuten, dass BerufspolitikerInnen mit einer desaströsen
       Regierungsbilanz schon wieder wahlkämpfen müssten. Viele fürchten als
       unmittelbare Auswirkung ein grandios schlechtes Ergebnis bei der Bayernwahl
       in drei Wochen.
       
       Ein Schnelltest, wie es um Merkels Führungskraft bestellt ist, wird die
       Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden am Dienstag kommender Woche sein.
       Entgegen Merkels Plänen tritt gegen den langjährigen, ihr treuen
       Amtsinhaber Volker Kauder (69) auch dessen Vize Ralph Brinkhaus an. Der
       Finanzexperte ist fünfzig Jahre alt und kommt aus der größten Landesgruppe,
       Nordrhein-Westfalen.
       
       Stellen sich dessen Leute und gleich auch noch reichlich CSU-Abgeordnete
       gegen Merkels Mann Kauder, könnte dessen Wahlergebnis noch desaströser
       ausfallen als vor einem Jahr. Damals kam er auf 77 Prozent der Stimmen,
       drei Jahre zuvor waren es noch 97 gewesen. Diesmal könnte das Ergebnis für
       Kauder so peinlich ausfallen, dass klar würde: Da stimmen
       Unions-Abgeordnete gegen die Regierungschefin.
       
       In Berlin stellt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer
       wortreich die Kabinettsbeschlüsse vor. Bei Fragen nach der Haltung ihrer
       Chefin zu den Personalentscheidungen ihres Innenministers aber wird sie
       schmallippig. „Die Kanzlerin trägt dieses Ergebnis mit“, sagt Demmer nur.
       Dass diese Bundesregierung „sehr gut“ zusammenarbeite, könne man doch an
       den soeben vorgetragenen Ergebnissen der Kabinettssitzung ablesen. Als eine
       Journalistin nachhakt, inwiefern Vorgänge wie Seehofers Maaßen-Deal das
       Vertrauen der Wählerschaft in die Politik und deren VertreterInnen
       beeinträchtige, spricht Demmer von dem „Anliegen“ dieser Bundesregierung,
       „vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Von mehr als einem Anliegen kann wohl
       kaum noch die Rede sein.
       
       19 Sep 2018
       
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