URI: 
       # taz.de -- Mafia-Experte über Berliner Clans: „Es kann kaum brutaler werden“
       
       > Sandro Mattioli ist der Vorsitzende von „Mafia? Nein Danke“. Laut ihm
       > nehme die Gewalt auf Berlins Straßen eine neue und dramatische Qualität
       > an.
       
   IMG Bild: Ein bisschen Farbe wird das Problem nicht lösen
       
       taz: Herr Mattioli, hat Berlin ein Problem mit organisierter Kriminalität? 
       
       Sandro Mattioli: Ja, und daran ändert auch ein gewachsenes Bewusstsein beim
       Senat nichts. Die Situation ist dramatisch – es ist pures Glück, dass bei
       den tödlichen Schüssen auf den 36-jährigen Nidal R. am Tempelhofer Feld
       keine Unbeteiligten zu Schaden gekommen sind. Die organisierte Kriminalität
       findet nicht in einem stillen Winkel statt, sondern offen. Da sollten mehr
       Alarmleuchten angehen.
       
       In den Medien war vor einigen Jahren vor allem die italienische Mafia
       präsent, jetzt hört man immer wieder von arabischen Clans. Welche
       Strukturen gibt es noch in Deutschland? 
       
       Die deutschen Rocker sind nicht zu unterschätzen. Ansonsten gibt es viele
       ethnisch geprägte Gruppen wie die Tschetschenen oder Armenier. Laut einer
       Arbeitsgruppe im EU-Parlament sind in Europa 3.600 Gruppen der
       organisierten Kriminalität zuzurechnen. Das Problem ist weniger, wie viele
       Gruppen es sind, sondern was sie tun. Es gibt ein großes Dunkelfeld, das
       von keiner polizeilichen Statistik erfasst wird.
       
       Wenn von organisierter Kriminalität die Rede ist, geht es oft darum, dass
       sie von staatlicher Seite gedeckt wird. Wie ist das in Berlin? 
       
       Wir wissen, dass es in Berlin Bemühungen gab, in die Polizei zu kommen. Mit
       diesen Bemühungen sind die Clans aber noch nicht so weit gekommen. Dazu
       wollen sich einige bürgerlicher geben und sind zum Teil bereits gut
       verdrahtet. Sie agieren zwar in einer Art Unterwelt, leisten sich aber
       gleichzeitig sehr gute und teure Anwälte und bewegen sich in
       gutbürgerlichen Netzwerken. Eine Infiltration auf hoher Ebene sehen wir
       noch nicht.
       
       Welche Maßnahmen hat der Berliner Senat gegen die Clans ergriffen? 
       
       Von einem Clan hat die Staatsanwaltschaft vor Kurzem 77 Immobilien
       beschlagnahmt, die der Clan wohl mit Gewinnen aus Straftaten erworben hat.
       Man sollte diese Vermögensabschöpfung intensivieren und über eine soziale
       Wiederverwertung der beschlagnahmten Gebäude nachdenken, bei der die Räume
       zum Beispiel einer Initiative für Jugendliche zur Verfügung gestellt
       werden. Gut ist auch, dass es in Neukölln jetzt einen Staatsanwalt vor Ort
       gibt. Das Bild, dass die organisierte Kriminalität nur in diesem Bezirk
       aktiv sei, ist aber falsch – die gibt es genauso auch auf dem Ku’damm oder
       in Kreuzberg.
       
       Sie haben mit Ihrem Verein „Mafia? Nein Danke“ einen 5-Punkte-Plan gegen
       die organisierte Kriminalität erstellt. Was ist jetzt wichtig? 
       
       Exit-Möglichkeiten zu schaffen wie bei rechtsextremen Gruppen, auch und
       besonders für Frauen. Solche Strukturen bestehen bisher nicht. Nicht alle
       Frauen wollen ihre Familie hinter sich lassen, manche aber schon – sie
       stecken in archaischen Clanstrukturen fest, sehen aber dank der Medien, was
       für ein freies Leben sie führen könnten. Es gibt außerdem Modelle, bei
       denen straffällige Jugendliche selbst entscheiden können, ob sie ins
       Gefängnis wollen oder an einem Ersatzprogramm teilnehmen, das ihnen ein
       Leben außerhalb der kriminellen Sphäre überhaupt erst zeigt. Der Fall von
       Nidal R. belegt: Gefängnisaufenthalte wirken nicht resozialisierend.
       
       Was ist das Besondere am Fall Nidal R.? 
       
       Für Berlin ist es eine neue Qualität, dass auf der Straße rumgeschossen
       wird ohne Rücksicht auf Verluste und auch Unbeteiligte. Momentan beobachten
       wir, dass sich die Situation hochschaukelt. Da reicht die bisherige
       Polizeiarbeit nicht mehr aus – wir müssen das Thema auch präventiv anpacken
       und offen diskutieren.
       
       Könnte es jetzt aus Rache mehr Morde geben? 
       
       Die Gefahr ist groß, die kommenden Wochen werden das zeigen. Dass die
       Polizei auf Angehörige zugegangen ist und das auch öffentlich gemacht hat,
       ist gut. Wobei die Gewalt kaum mehr brutaler werden kann – auf dem
       Flughafenfeld waren Leute, die mit ansehen mussten, wie jemand vor ihren
       Augen erschossen wird.
       
       23 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Spelsberg
       
       ## TAGS
       
   DIR Mafia
   DIR Organisierte Kriminalität
   DIR Clans
   DIR Polizei Berlin
   DIR Clans
   DIR Berlin-Neukölln
   DIR Polizei Berlin
   DIR Milieu
   DIR Neukölln
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Organisierte Kriminalität: Polizei macht sich ein Bild
       
       Innensenator Andreas Geisel (SPD) stellt den ersten „Lagebilds Organisierte
       Kriminalität Berlin 2018“ vor. Es bleiben etliche Fragen offen.
       
   DIR Polizei Berlin: Es braucht einen langen Atem
       
       Senat sagt Kriminalität durch arabischstämmige Strukturen den Kampf an.
       Drei Senatoren nahmen an dem Gipfeltreffen teil
       
   DIR Neuer Neuköllner Integrationsbeauftragter: „Wir brauchen positive Erzählungen“
       
       Seit dem Mord an Nidal R. wird über kriminelle Clans geredet. Doch die
       organisierte Kriminalität sei nicht der Normalfall, sagt Neuköllns
       Integrationsbeauftragter Jens Rockstedt.
       
   DIR Bekämpfung Clankriminalität Berlin: Neukölln geht voran
       
       Innenausschuss diskutiert nach dem Fall Nidal R. über Clankriminalität:
       Neuköllns Bürgermeister preist die Null-Toleranz-Linie in seinem Bezirk.
       
   DIR Ermordetes Clanmitglied in Berlin: Huldigung übermalt
       
       Unter Polizeischutz wird ein Wandgemälde, das den Intensivtäter Nidal R.
       zeigte, übermalt. R. war am Rande des Tempelhofer Feldes erschossen worden.
       
   DIR Beerdigung nach Milieu-Mord: Viele Männer im Sonnenallee-Style
       
       „Möge Allah euch alle reichlich belohnen“: Mehr als 1.000 Menschen kommen
       zur Beerdigung des am Sonntag in Neukölln erschossenen Intensivtäters Nidal
       R.
       
   DIR Mumaßliche Bandenkriminalität in Berlin: Tödliche Schüsse am Tempelhofer Feld
       
       Am späten Sonntagnachmittag wird auf einen Mann geschossen – vor den Augen
       seiner Familie und von Passanten.