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       # taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Pervertierung der Aufklärung
       
       > Die Wahrheit derer, die „Lügenpresse“ und „Fake News“ rufen, folgt einer
       > anderen Definition. Es ist die einer autoritär gesetzten Wahrheit.
       
   IMG Bild: Ein nie versiegender Quell der Fake News
       
       Worum geht es eigentlich bei Fake News? Worum geht es bei den
       „Lügenpresse“-Rufen? Man sollte da etwas ganz Simples festhalten: Bei Fake
       News geht es nicht einfach um Inhalte, die nachweislich falsch sind. Die
       Leute, die an Fake News glauben, meinen ja nicht, sie würden an Fake News
       glauben. Sie meinen nicht, dass sie von Lügen oder von gezielter
       Desinformation überzeugt seien.
       
       In ihrer Innenperspektive glauben sie an Wahrheiten. An alternative
       Wahrheiten. An andere Wahrheiten also als jene des sogenannten
       „Mainstreams“. Das aber heißt: Wahrheiten, die aus anderen Quellen stammen.
       Anders gesagt: Leute, die an Fake News glauben, glauben nicht einfach an
       andere Inhalte – sondern sie vertrauen andere Quellen, sie glauben an
       andere Sprecher. Dasselbe gilt für die „Lügenpresse“-Überzeugten.
       
       Zentral für beide Phänomen sind also die Sprecher, denen man Glauben
       schenkt – und im Umkehrschluss jene Sprecher, denen man nicht oder nicht
       mehr glaubt. Fake News und „Lügenpresse“ bedeuten also vor allem eine
       Verschiebung der Instanzen, denen man und an die man glaubt.
       
       Deshalb gehen all die Faktenchecks, mit denen man Fake News zu begegnen
       versucht, ins Leere. Sie nützen nichts. Denn sie zielen nur auf die Inhalte
       – während es doch um die Glaubwürdigkeit der Sprecher geht: sowohl jener,
       die eine Behauptung aufstellen, als auch jener, die sie zu widerlegen
       versuchen. Die „Dementis der Realität“, mit denen man Fake News und
       „Lügenpresse“ beizukommen versucht, prallen für die Überzeugten an ihrem
       Glauben an die alternativen Sprecher ab.
       
       ## Quellen der Macht
       
       Und genau darin beginnt das Problem für die Demokratie. Um das, um die
       Erschütterung, die das bedeutet, zu verstehen, müssen wir uns über unsere
       eigenen Grundlagen klar werden.
       
       Die demokratische Öffentlichkeit lebt von autorisierten Sprecherpositionen.
       Das ist eine sehr heikle Grundlage. Weil unser Aufklärungspathos uns unsere
       eigenen demokratischen Grundlagen vernebelt. Ja, es stimmt: Die
       Autorisierung der öffentlichen Stimmen speist sich nicht mehr aus anderen
       denn aus Vernunft-Quellen – etwa aus Quellen der Macht. Idealerweise.
       Insofern sind die öffentlichen Stimmen also autoritativ, aber nicht
       autoritär.
       
       Aber trotzdem ist der öffentliche Diskurs keine reine Vernunftordnung. Er
       bedarf darüber hinaus nämlich noch der Legitimierung der Sprecherpositionen
       – und das heißt nichts anderes als den Glauben an die Rechtmäßigkeit eben
       dieser Sprecher. Der öffentliche Diskurs ist also das fragile Gleichgewicht
       zwischen Vernunft und Glauben, der Balanceakt eines rationalen Glaubens.
       
       ## Ja, es gibt eine demokratische Wahrheit
       
       Nehmen wir etwa die Öffentlich-Rechtlichen, die eine herausragend
       autorisierte Sprecherposition einnehmen, soll sich doch hier die
       Allgemeinheit über sich selbst verständigen. Deren Objektivitätskriterien
       sollen Inhalte überprüfen und Aussagen rational halten. Sie sollen also das
       Glaubensmoment so gering wie möglich halten – oder anders gesagt: Sie
       sollen den Glauben an ihre Rechtmäßigkeit genau dadurch befestigen.
       Durchstreichen aber lässt sich die Notwendigkeit des Glaubens auch hier
       nicht.
       
       Fake News und mehr noch der „Lügenpresse“-Ruf stören dieses heikle
       Gleichgewicht. Sie rütteln an den Grundlagen der demokratischen
       Öffentlichkeit. Sie untergraben die Sprecherpositionen. Und zugleich
       untergraben sie den demokratischen Wahrheitsbegriff. Ja, es gibt eine
       demokratische Wahrheit. Diese ist nicht inhaltlich bestimmt, sondern durch
       eine ganze Reihe von Maßnahmen – etwa das Unterscheiden zwischen Meinungen
       und Fakten oder die Möglichkeit von Rede und Gegenrede. Ein ganzes Set an
       Vorkehrungen, um das Verabsolutieren der je eigenen Meinung zu verhindern.
       
       Die Wahrheit der „Lügenpresse“-Rufer folgt jedoch einem anderen
       Wahrheitsbegriff – einer autoritär gesetzten Wahrheit. Diese behauptet sich
       als Tabubruch, ermächtigt sich aus dem Einspruch gegen den öffentlichen
       Diskurs, dessen Autorisierung sie als autoritär diffamiert. Eine
       unglaubliche Verkehrung. Und eine Verkehrung in der das Pendant, die
       sogenannte „Wahrheitspresse“ auf die sie sich berufen, nicht das Andere der
       Aufklärung ist – sondern zur Pervertierung der Aufklärung wird.
       
       29 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Isolde Charim
       
       ## TAGS
       
   DIR Fake News
   DIR Krise der Demokratie
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