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       # taz.de -- Grenzverschiebungen auf dem Balkan: Serbiens Präsident rudert zurück
       
       > Bei seiner angeblich größten Rede in Nordkosovo gibt sich Aleksandar
       > Vucic eher kleinlaut. Einen Kompromiss mit den Albanern hält er für fast
       > unmöglich.
       
   IMG Bild: „Willkommen Präsident!“ Serben in Nordmitrovica warten am Sonntag auf Aleksandar Vucic
       
       Mitrovica taz | Eigentlich wollte er die „größte Rede“ seines Lebens
       halten. Aleksandar Vucic, der Präsident Serbiens, kündigte vor ein paar
       Tagen an, einen großen Entwurf für die Neuordnung des Verhältnisses von
       Albanern und Serben vorschlagen zu wollen. Deshalb war er am Wochenende in
       den Nordkosovo und in die zwischen Albanern und Serben geteilte Stadt
       Mitrovica gekommen.
       
       Schon seit Wochen gibt es Gerüchte über Verhandlungen um einen
       Gebietsaustausch. Nach diesen Informationen hatten sich Aleksandar Vucic
       und sein kosovarischer Präsidentenkollege Hashim Thaci schon vor zwei
       Wochen in Österreich geeinigt. Danach sollten die vor allem von Serben
       bewohnten Gebiete im Norden des Landes an Serbien und als Kompensation drei
       Gemeinden in Südserbien, wo vor allem Albaner wohnen, an Kosovo fallen.
       
       Tausende Kosovo-Serben drängten sich am Sonntag im Nordteil der Stadt
       Mitrovica, um Vucic zu sehen. Der Andrang war überwältigend groß. Für viele
       Besucher gab es kein Durchkommen zum Versammlungsplatz, Autos und Autobusse
       blockierten sich, lautes Gehupe überlagerte die Szenerie. Ein solches Chaos
       wird auf dem südlichen Balkan normalerweise als ein würdiger Rahmen für
       eine wichtige Rede der politischen Führung empfunden.
       
       Doch Alexandar Vucic, der starke Mann Serbiens, blieb verhalten und ruderte
       gegenüber seinen früheren Aussagen merklich zurück. Ein Kompromiss mit den
       Albanern sei „fast unmöglich“, rief er der Menge zu. Er spielte darauf an,
       dass der Außenminister Kosovos seinen Besuch in Kosovo als unerwünscht
       deklariert hatte.
       
       ## Innenpolitische Risiken
       
       Auch andere hochrangige Kosovaren äußerten sich ähnlich negativ. Kosovos
       Präsident, Hashim Thaci, versuchte zwar die Wogen zu glätten. Doch derzeit
       er geht er innenpolitisch Risiken ein. Nicht nur die Bewegung
       „Selbstbestimmung“ von Albin Kurti stellte sich gegen ihn. Auch andere
       Oppositionsparteien und viele seiner Parteifreunde halten von einem solchen
       Deal nichts und sehen große Risiken für die Stabilität in der gesamten
       Region.
       
       Insgeheim jedoch sind nationalistische Kreise und einige Intellektuelle
       dabei, die Gedankenspiele Thacis zum Gebietsaustausch zu diskutieren. Sie
       hoffen auf einen Deal, der Serbien dazu bringt, Kosovo diplomatisch
       anzuerkennen und beiden Staaten den Weg in die EU zu öffnen. Zudem würde
       damit auch ein Weg für die Vereinigung Albaniens und Kosovos und damit die
       Gründung eines gemeinsamen albanischen Staates geebnet.
       
       Bei den meisten Serben Kosovos, die nicht im Norden, sondern in den
       Enklaven des Südens wohnen, wird angesichts dieser Gedankenspiele Protest
       laut. Auch die Orthodoxe Kirche positioniert sich gegen Vucic. Die
       wichtigen (Weltkulturerbe-)Klöster der serbisch orthodoxen Kirche, so der
       Patriarchen-Sitz in Pec und die berühmten Klöster in Decani und Gracanica
       liegen im Süden.
       
       Ein Mönch in Decani erklärte gegenüber der taz, Kosovo gehöre zu Serbien,
       daran halte man in der Kirche fest. Der Status quo sei besser als solche
       Gedankenspiele, die für die Serben des Südens inakzeptabel seien.
       
       ## Diskussion geht weiter
       
       Offenbar hat Vucic nachgegeben: „Wenn sie sagen, dass ich die Grenzen
       ändern möchte, dann lügen sie“, sagte er bei seiner Rede in Mitrovica am
       Sonntag. Doch die Diskussion in der EU und zwischen den USA und Russland
       ist damit noch nicht zu Ende.
       
       Trotz der harschen Kritik an der Idee des Gebietsaustausches durch die
       ehemaligen Hohen Repräsentanten in Bosnien, Christian Schwarz-Schilling,
       Paddy Ashdown und Carl Bildt mit dem Hinweis, die Büchse der Pandora würde
       mit einem ethnisch definierten Gebietsaustausch geöffnet, bleibt das Thema
       auf der Tagesordnung.
       
       Nicht einmal der Hinweis, diese Politik könnte sogar (bewaffnete) Konflikte
       in Mazedonien, im von Muslimen bewohnten und in Serbien und Montenegro
       liegenden Sandzak sowie in Bosnien und Herzegowina nach sich ziehen, hält
       Diplomaten in Brüssel und Wien, den USA und Russland davon ab, weiter mit
       Vucic und Thaci zu arbeiten.
       
       Der unberechenbare Vucic ließ am vergangenen Freitag aber ein
       Spitzengespräch mit der EU platzen und erklärte, er werde sich nicht gegen
       Angela Merkel stellen. Die deutsche Bundeskanzlerin hatte sich eindeutig
       gegen jeglichen Gebietsaustausch ausgesprochen. Was die Aussage des
       wankelmütigen Vucic wirklich wert ist, bleibt jedoch auch nach seiner Rede
       in Mitrovica völlig unklar.
       
       11 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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