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       # taz.de -- SPD und der Fall Maaßen: Ein absehbarer Absturz
       
       > Die SPD hat in der Maaßen-Affäre hoch gepokert – und verloren. Nun sagt
       > Andrea Nahles: Wir haben uns geirrt. Und will neu verhandeln.
       
   IMG Bild: Wo geht es hier nach links? Andrea Nahles und andere finden sich auch in Bayern nicht zurecht
       
       Andrea Nahles steht in München vor drei großen, rot leuchtenden Lettern,
       SPD. Und nickt. Und nickt. Ein Dutzend Mal nickt Nahles in die Kameras. Sie
       ist mit allem einverstanden, [1][was Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin in
       Bayern], über Kitas und den Mietenstopp sagt. Der Termin am Donnerstag
       steht lange fest: ein bisschen Unterstützung für die Genossen im Süden, die
       es bei der Wahl in Bayern in drei Wochen schwer haben, noch schwerer als
       sonst.
       
       Aber jetzt ist alles anders. Aus Berlin kommt keine Unterstützung, aus
       Berlin kommen Querschläger. Die Affäre Maaßen.
       
       Die SPD hatte viel Druck gemacht, damit Hans-Georg Maaßen, der starrsinnige
       Verfassungsschutz-Chef, seinen Job räumen muss. Am Dienstag trafen sich die
       drei ParteichefInnen Nahles, Merkel und Seehofer. Der CSU-Chef schlug vor,
       dass Maaßen mit Holger Münch, dem Chef des Bundeskriminalamtes, den Job
       tauschen könne. Nahles lehnte ab. Den nach rechts blinkenden Maaßen zum
       Chef von 6.000 BeamtInnen machen? Niemals.
       
       Dann werde Maaßen eben [2][Staatssekretär im Innenministerium], zuständig
       für die Bundespolizei und öffentliche Sicherheit, so Seehofer. Dagegen
       sprach aus Nahles’ Sicht weniger. Minister wählen ihre Staatssekretäre
       selbst aus. Nahles willigte ein. Und stellte misstrauisch die Bedingung,
       dass Maaßen keinesfalls die Aufsicht über den Verfassungsschutz bekommt.
       Für sie wäre das völlig absurd gewesen – als Verfassungschef unbrauchbar,
       um dann seinen Nachfolger zu beaufsichtigen.
       
       Nahles hatte gezögert, ehe sie dem Druck aus der SPD nachgegeben hatte und
       auf den Maaßen-muss-weg-Kurs umgeschwenkt war. Doch vergangene Woche sagte
       sie bei einem Wahlkampftermin: Maaßen muss gehen, Maaßen wird gehen.
       
       Jetzt schien die riskante Operation ein gutes Ende genommen zu haben – mit
       dem Schönheitsfleck, das Maaßen Staatssekretär im Innenministerium werden
       würde, eine Beförderung also. Das aber war Seehofers Verantwortung. Das
       würde in der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen werden, so die Hoffnung.
       
       ## „Die SPD hat sich durchgesetzt“
       
       Merkel, Nahles und Seehofer vereinbarten, dass der Bundesinnenminister am
       Mittwoch das Ergebnis der Öffentlichkeit vorstellen sollte. Auch das war
       Nahles nicht Unrecht. Seehofers Umbauten im Ministerium waren
       offensichtlich konfus. Der einzige Bauexperte, der SPD-Staatssekretär
       Gunther Adler, [3][muss gehen]. Der bisher für Sicherheit verantwortliche
       Staatssekretär Hans-Georg Engelke muss sich um Bauen kümmern, hat aber
       weiterhin die Aufsicht über den Verfassungsschutz. Ein halbes Ministerium
       wird rund um einen Staatssekretär organisiert. Das würde auf Seehofers
       Kappe gehen, gerade wenn er dieses Ergebnis selbst präsentiert.
       
       Nach dem Treffen der drei ParteichefInnen telefonierte Nahles mit dem
       SPD-Präsidium und ließ eine Mail an die SPD-Abgeordneten verschicken, darin
       das Wording: „Die SPD hat sich durchgesetzt.“
       
       Nahles hat, so sehen es viele in der Partei, vier Fehler gemacht. Erstens
       hat sie allzu vollmundig die Erwartung geweckt, dass die SPD Maaßen aus dem
       Amt befördern wird, ohne Seehofers Reaktion zu bedenken. Zweitens hat sie
       am Dienstag nicht begriffen, welche Falle Seehofer, mit Merkels
       Einverständnis, gebaut hatte. Drittens überhörte sie in der Telefonschalte
       mit dem SPD-Präsidium die ersten kritischen Stimmen, die zweifelten, ob
       sich die Lesart: „Sieg für die SPD, der Rest ist Seehofers Schuld“
       durchsetzen könnte. Und viertens: Die SPD-Führung erfuhr nicht von Nahles,
       sondern von Seehofer, dass der SPD-Staatssekretär für Maaßen seinen Stuhl
       räumen muss. Gut gemeint also, schlecht gemacht.
       
       Nahles war mit dem Versprechen angetreten, professioneller als Martin
       Schulz zu arbeiten. Doch manche GenossInnen erinnerte Nahles’ Auftritt in
       der Telefonschalte an das Ende der Schulz-Ära. Als Seehofer am Mittwoch
       grinsend vortrug, dass Nahles den Deal, inklusive Maaßens Beförderung,
       abgenickt hatte, kippte die Stimmung. Nun schien die SPD für das bizarre
       Ergebnis verantwortlich zu sein: Ein Behördenleiter, der seine Kompetenzen
       überschritten hat, wird dafür mit einem besseren Job belohnt.
       
       ## Haufenweise kritische Briefe und Mails
       
       Am Mittwoch versuchte die SPD, den Ball ins Feld der Union zurückzuspielen.
       Maaßens Karrieresprung zeige, so SPD-Vize Ralf Stegner, Merkels „eklatante
       Schwäche“. Der Verfassungsschützer hatte mit der Einschätzung, es habe in
       Chemnitz keine Hetzjagd gegeben, ja vor allem die Kanzlerin öffentlich
       angegriffen – sogar ohne sie vorab zu informieren. Außerdem hatte Maaßen,
       besonders peinlich für einen Sicherheitsexperten, ohne Grund die Echtheit
       eines Videos bezweifelt, das die Attacke eines Rechtsradikalen in Chemnitz
       zeigte und so das Misstrauen gegen die „Lügenpresse“ geschürt. Beides waren
       zwingende Gründe für die Kanzlerin, den Behördenchef auf Posten zu
       versetzen, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte – aber nicht, dessen
       Aufstieg durchzuwinken.
       
       Diese Kritik an Merkel war zutreffend – aber das zählte nicht mehr. Der
       Eindruck war: Die SPD hatte sich früh selbst auf die Schultern geklopft,
       aber indirekt dafür gesorgt, dass Maaßen befördert wurde.
       
       Seitdem versucht Nahles, den Totalschaden zu verhindern. Sie schrieb einen
       Brief an die 430.000 SPD-Mitglieder: Ohne triumphalen Tonfall, dafür mit
       einem pragmatischen Argument: „Das müssen wir aushalten. Die SPD sollte
       diese Bundesregierung nicht opfern, weil Horst Seehofer einen Beamten
       anstellt, den wir für ungeeignet halten.“ Vielleicht hätte das Desaster
       verhindert oder begrenzt werden können, wenn Nahles diese Deutung – nur ein
       halber Erfolg – am Dienstagabend offensiv verbreitet hätte. Aber da glaubte
       sie noch an das gute Ende.
       
       SPD-Linke wie Kevin Kühnert, Hilde Mattheis und Marco Bülow, die die Große
       Koalition ohnehin für ein Fehler halten, kritisieren den Deal. Ihr Einfluss
       ist kleiner, als er in den Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die
       einflussreicheren moderaten Linken in der SPD geben bislang ihre in Krisen
       übliche Devise aus: Wir stellen die Regierungsbeteiligung in Frage, werden
       aber die Koalition nicht sprengen. Bellen, aber nicht beißen.
       
       In München vor den SPD-Buchstaben sagt Nahles, es gebe in der SPD „einzelne
       Stimmen, die sich laut zu Wort gemeldet haben“.
       
       Doch die Lage verschiebt sich seit Mittwoch zu ihren Ungunsten.
       Beunruhigend für die SPD-Chefin ist, dass kaum noch ein
       SPD-Spitzenpolitiker sie offensiv verteidigt. Johannes Kahrs, Karl
       Lauterbach und Carsten Schneider sind die Ausnahmen. Das Willy-Brandt-Haus
       in Berlin erreichen haufenweise kritische Briefe und Mails. Aus dem größten
       SPD-Landesverband kommen deprimierende Nachrichten. Michael Groschek,
       Ex-SPD-Chef in NRW, der entscheidenden Anteil daran hatte, dass die SPD
       Anfang des Jahres doch in die Regierung eintrat, findet es „unbegreiflich,
       wie Andrea Nahles diesem Deal zustimmen konnte“.
       
       In der Landtagsfraktion verteidigt niemand mehr die SPD-Chefin.
       Beunruhigend ist auch, dass Natascha Kohnen, die moderate linke
       SPD-Spitzenkandidatin in Bayern, öffentlich von der SPD-Spitze fordert, den
       Deal mit Seehofer zu korrigieren. Das erzeugt Handlungsdruck. Die
       SPD-Spitze muss Kohnen entgegenkommen. Eine Spitzenkandidatin im Wahlkampf
       kalt auflaufen zu lassen, kann sich keine Parteichefin leisten – Nahles im
       Moment erst recht nicht. Eine Meinungsumfrage legt die Deutung nahe, dass
       der Streit um Maaßen SPD und Union schadet und der AfD nutzt.
       
       ## Vierstündige Krisensitzung
       
       Der Entschluss, den Fall noch einmal zu verhandeln, fällt Donnerstagabend
       nach einer vierstündigen Krisensitzung.
       
       Nahles gibt den Kritikern nach, die immer lauter neue Verhandlungen über
       Maaßens neuen Job fordern. In einem Brief an Merkel und Seehofer schreibt
       sie, dass „wir uns geirrt haben“. [4][Und fordert einen neuen Deal über die
       Causa Maaßen]. Es ist der Griff zur Notbremse. Das heißt: alles von vorne.
       Klar ist, dass Nahles bei der Sitzung des Parteivorstands am Montag ein
       Scherbengericht erspart bleibt. Aber ansonsten ist nichts klar. Alles ist
       möglich, auch der Bruch der Koalition.
       
       Die SPD ist in einer ungemütlichen Situation. Denn alles hängt davon ab, ob
       die Union geneigt ist, auf diese Offerte einzugehen, die halb Hilferuf,
       halb Drohung ist. „Wir haben uns geirrt“, schreibt Nahles und spielt damit
       darauf an, dass es auch viele in der Union unmöglich finden, dass Maaßen
       für Fehler befördert wird. Auch den chaotischen Umbau des Innenministeriums
       halten in der Union manche für falsch.
       
       Merkel stimmte am Freitagabend Neuverhandlungen zu und selbst Seehofer
       signalisiert Gesprächsbereitschaft. Der CSU-Chef, dessen Zukunft nach der
       Bayernwahl unsicher ist, machte zuvor nicht den Eindruck, sich geirrt zu
       haben. Am Mittwoch genoss er es, die Attacke der SPD mit einem Judo-Griff
       gegen sie gewendet zu haben. Jetzt soll er diesen Triumph wieder in Frage
       stellen, um die Nahles zu retten? Allerdings ist Seehofer auch bekannt für
       unvorhergesehene Wenden. Letztlich ist Nahles nun abhängig vom Wohlwollen
       der Union. Die SPD ist am Freitag wieder dort angekommen, wo sie Anfang der
       Woche schon mal war. Nur mit viel schlechteren Karten.
       
       21 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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   DIR Hans-Georg Maaßen
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