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       # taz.de -- Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof: Was dürfen Amtsblätter?
       
       > Die „Südwest Presse“ klagt gegen das Crailsheimer „Stadtblatt“, denn dort
       > soll zuviel drin stehen. Das bedrohe die lokalen Medien.
       
   IMG Bild: Darum geht's: Was das „Stadtblatt“ aus Crailsheim darf, wird vor dem Bundesgerichtshof verhandelt
       
       Freiburg taz | Kommunen dürfen ihre Amtsblätter vermutlich nicht zu
       redaktionell gestalteten Wochenzeitungen ausbauen. Diese Entscheidung des
       Bundesgerichtshofs (BGH) zeichnet sich nach der mündlichen Verhandlung am
       Donnerstag ab. Die Stadt Crailsheim (Baden-Württemberg) wird wohl den
       Rechtsstreit gegen die regionale Tageszeitung Südwest Presse verlieren.
       
       Crailsheim gibt ein kommunales Amtsblatt namens Stadtblatt heraus, früher
       im Abo, seit 2016 wird es kostenlos an 17.000 Haushalte im Stadtgebiet
       verteilt. Der Konflikt entstand, weil das Stadtblatt seine
       Berichterstattung immer weiter ausbaute. Dagegen klagte der Verlag der
       Südwest Presse (SWP), der zudem ein kostenloses Anzeigenblatt herausgibt.
       Die Stadt betreibe unlauteren Wettbewerb, weil sie verfassungsrechtliche
       Vorgaben missachte.
       
       In der Verhandlung beim BGH berief sich die Südwest Presse auf das „Gebot
       der Staatsferne der Medien“, gegen das Craislheim verstoße. Das Stadtblatt
       dürfe zwar über die Arbeit von Stadtverwaltung und Gemeinderat informieren,
       aber nicht über die örtliche Kultur, Wirtschaft und den Sport. Dies sei
       Aufgabe der freien Medien. Wenn eine Kommune hier mit eigenen Presseorganen
       aktiv werde, sei die institutionelle Garantie der freien Presse verletzt,
       so der SWP-Anwalt Axel Rinkler.
       
       Die Stadt Crailsheim berief sich dagegen auf die ebenfalls im Grundgesetz
       garantierte „kommunale Selbstverwaltung“. Die Kommunen seien für alle
       örtlichen Angelegenheiten zuständig. Wenn die Zeitung nur über 40 Prozent
       der örtlichen Vereinsaktivitäten berichte, entstehe ein
       „Informationsdefizit“, das die Kommune beseitigen könne, so Anwalt Jörg
       Semmler. Die Institution der Presse sei dadurch sicher nicht gefährdet,
       schließlich sei das Stadtblatt zur Neutralität verpflichtet, auf örtliche
       Themen beschränkt und erscheine nur einmal in der Woche.
       
       ## Bürgermeister: „Es geht um die Zukunft der Demokratie“
       
       Der parteilose Crailsheimer Bürgermeister Christoph Grimmer hielt in
       Karlsruhe ein pathetisches Plädoyer: „Es geht hier nicht nur um die Zukunft
       der kommunalen Amtsblätter, es geht hier um die Zukunft der Demokratie in
       Deutschland.“ Viele Gemeinden hätten gar keine Tageszeitung mehr. Da müsse
       eine Kommune mit eigenen Medien in die Bresche springen können.
       
       SWP-Anwalt Rinkler konnte die Notlage jedoch nicht erkennen. Vereine und
       Unternehmen könnten über ihre Aktivitäten ja auch auf eigenen Webseiten
       oder über soziale Netzwerke wie Facebook informieren. Wenn bei jedem
       vermeintlichen Informationsdefizit gleich die Kommune aktiv werde, gebe es
       auch keinen Anlass und keine Chance, neue Medienorgane zu gründen, so
       Rinkler.
       
       Der Bundesgerichtshof gab zu erkennen, dass er wohl eher der Südwest Presse
       folgen wird – wie schon die Vorinstanzen Landgericht Ellwangen und
       Oberlandesgericht Stuttgart. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch
       betonte, dass Kommunen Teil des Staates seien und deshalb keine Grundrechte
       hätten. Es gehe deshalb nicht um einen Interessenausgleich zwischen
       Kommunen und Presse. Vielmehr ende die Kompetenz der Kommunen dort, wo die
       Institution der Presse gefährdet werde. Ein Amtsblatt dürfe deshalb im
       wesentlichen nur über das Handeln der Stadtverwaltung und des Gemeinderats
       berichten, nicht über das gesamte Gemeindeleben.
       
       Das Urteil wird am 20. Dezember verkündet. Aufgrund einer einstweiligen
       Verfügung des Landgerichts Ellwangen hält sich das Crailsheimer Stadtblatt
       schon seit Anfang 2016 in seiner Berichterstattung sehr zurück.
       
       Von künftig noch größerer praktischer Relevanz ist ein ähnlicher Prozess,
       bei dem es um die Internet-Aktivitäten einer Kommune geht. Die Stadt
       Dortmund betreibt die Webseite dortmund.de, die ebenfalls deutlich mehr als
       nur Angelegenheiten der Stadtverwaltung beschreibt. Dagegen klagte der
       Lensing-Verlag, der die in Dortmund erscheinenden Ruhr-Nachrichten
       produziert. Dieser Fall steht prozessual aber noch am Anfang.
       
       14 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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