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       # taz.de -- 40 Jahre taz: Drucktechnik und Fortschritt: Analog, okay. Digital? Ach nee!
       
       > Die taz geht nur mit „modernster Technik“, das war den Gründern trotz
       > Technologie-Skepsis klar. Kein Redakteur wollte aber am Bildschirm
       > arbeiten.
       
   IMG Bild: Das Tor zur Welt: der Fernschreiber
       
       Links und radikal sollte die taz werden. Und ökologisch. Folgerichtig
       diskutierten wir auch darüber, ob es überhaupt zu vertreten sei, Bäume in
       Gestalt von Papier für die Zeitungsidee zu opfern. Und darüber, ob eine
       Produktion ohne Setzer politisch korrekt sei. Denn vor 40 Jahren wurden die
       meisten Zeitungen noch klassisch in Blei gesetzt, und die Gewerkschaften
       bekämpften die Einführung des Fotosatzes, um die angestammten Arbeitsplätze
       zu erhalten.
       
       Trotz alledem waren wir uns in den taz-Initiativen der Republik schnell
       einig, dass wir mit modernster Technik arbeiten wollten, damit die Beiträge
       aus Hannover, Stuttgart, Schorndorf, Gießen, München in die
       Zentralredaktion übertragen werden konnten.
       
       Ganz neu waren dafür Telefaxgeräte. Verbunden über analoge Telefonleitungen
       wurde auf der sendenden Seite das Manuskript auf eine Trommel gespannt, auf
       der empfangenden Seite ein silbern beschichtetes Spezialpapier. Wenn beide
       Seiten die richtigen Tasten gedrückt hatten, gingen Piepstöne über die
       Leitung, begannen die Trommeln zu rotieren, und mit Gestank und kleinen
       Blitzen sorgte das „Elektroerosionsverfahren“ für lesbaren Text beim
       Empfänger.
       
       „Gesetzt“ haben wir die Texte der ersten drei Nullnummern auf
       IBM-Composern. Die Spalten mit Schere und Skalpell auf Leuchttischen
       montiert, und mit „Letraset“-Buchstaben Überschriften dazugerubbelt.
       Abläufe, die wir von „Alternativzeitungen“ kannten.
       
       ## Ein Computer musste her
       
       Die montierten Vorlagen transportierten wir zur Druckerei in Würzburg; dort
       wurden Filme und Druckplatten hergestellt, und bald konnten wir sie
       abholen, die erste Nullnummer der „linken, radikalen Tageszeitung“.
       
       Lange bevor überhaupt an eine Nullnummer zu denken war, trafen im Laden der
       Berliner taz-Ini in der Suarezstraße schon die ersten Abo-Bestellungen ein.
       Peter Köker, eigentlich Psychologe, machte sich über die Schuhkartons mit
       ausgerissenen Coupons und Postkarten her, um diese in Karteikästen
       einzuordnen. Für Peter war schnell klar: Ein Computer musste her. Für teuer
       Geld schafften wir einen MAI-Computer an. Die Software musste angepasst
       werden. Den Lieferanten zu beauftragen war kostenmäßig einfach nicht drin.
       So wurde der Psychologe zum Programmierer – „learning by doing“.
       
       Fotosatzgeräte wurden in einer Nacht- und Schneesturm-Aktion am Stichtag
       für Investitionszulage und Steuerabschreibung, dem 31. Dezember 1978, in
       der taz-Zentrale gerade noch rechtzeitig angeliefert. Abo-Computer,
       Telefonanlage, Repro-Technik kamen später. Und auch die zusammengewürfelte
       Büro-Einrichtung.
       
       Christian Ströbele sorgte dafür, dass der Konferenztisch der „Kommune 1“
       seinen Weg in einen großen Raum fand, wo zuvor einmal auf einem gekühlten
       Doppelboden die leistungsfähige EDV-Anlage der Berliner Supermarktkette
       „Meyer“ ihren Platz hatte. Über deren Rechenkapazität mit vielen
       Kubikmetern Hardware würde heute jeder Nutzer eines Smartphones Tränen
       lachen.
       
       Auch nachrichtentechnisch musste die taz an die Welt angebunden sein. Nicht
       nur zum Empfang von Agenturmeldungen. Der Fernschreiber im „Ticker-Raum“
       war ans Telex-Netz der Post angebunden. Superschnell kam das Neueste aus
       aller Welt mit fünf Buchstaben in der Sekunde auf die Papierrollen.
       Auslandsredakteurin Beate Seel erinnert sich, „dass alle, die damit zu tun
       hatten, das Gerät hassten. Man musste ständig die Tastatur umstellen, je
       nachdem, ob man Buchstaben oder Zahlen und Satzzeichen schreiben wollte.“
       
       ## Gefaxte Layoutvorgaben und per Luftfracht gelieferte Fotos
       
       Alles analog. Wie auch die fertigen Filme der Zeitungsseiten, die alle
       Ressorts und Abteilungen im Rotationsverfahren zum letzten Flieger bringen
       mussten, der von Berlin-Tegel nach Hannover flog. Manchmal war die Zeit so
       knapp, dass unsere Kuriere die Druckvorlagen direkt einer
       British-Airways-Stewardess in die Hand drückten. Rekordzeit für die
       tägliche halsbrecherische Jagd von der Wattstraße zum Flughafen: 18
       Minuten. Als ein Kollege das rote taz-Auto dabei mal gegen einen Baum
       setzte, wurde die Rotation abgeschafft und die Hausmeister mussten die
       tägliche Raserei zum Flughafen übernehmen.
       
       Wir träumten davon, dass die Texte auch digital übertragen würden. Die
       entsprechende Software war mitgekauft, musste aber vom Hersteller erst noch
       entwickelt werden. Und die taz das Geld für eine weitere Fotosatzmaschine
       zusammenkratzen. Für nostalgische Techies: Die Daten für die aktuellen
       Seiten wurden auf einer 8“ Floppy-Disk gespeichert. Mit einem
       1200-Baud-Modem – das ist eine Geschwindigkeit von 0,0012 MBit – per
       Piepston auf eine weitere Diskette in Burgdorf übertragen, dort nach
       gefaxten Layoutvorgaben mit per Luftfracht gelieferten Fotos
       zusammenmontiert und in den Druck gegeben.
       
       Die Redakteurinnen und Redakteure arbeiteten, wie das seit Jahrzehnten
       üblich war, sie tippten ihre Texte – viele im Zweifingersystem – auf
       Schreibmaschinen und brachten die Manuskripte den „Säzzerinnen“, die sie an
       den Fotosatzterminals erfassten, sprich abschrieben. Waren Reporter
       unterwegs, sprachen sie ihre Texte per Telefon auf Band oder ließen sie von
       einem Postamt per Fax als „Telebrief“ übertragen.
       
       Wir bewunderten Korrespondenten aus den USA, von denen einige auf
       transportablen „Osborne-Computern“ schrieben, ein Pioniergerät der
       tragbaren Computer. Für die taz waren diese Rechner unerschwinglich. Bis
       eines Tages Wau Holland, der heute legendäre Gründervater des „Chaos
       Computer Clubs“, in der Wattstraße erschien und fröhlich erzählte, er habe
       einen wirklich tragbaren Computer dabei, den könnten wir wohl für unsere
       Zwecke nutzen. Wo der denn sei? Na, hier unter’m Arm in der Ledertasche.
       
       Das war der Durchbruch Richtung Digitalisierung. Ein „Olivetti M10“, so
       groß und schwer wie ein Berliner Telefonbuch. Auf dem sich auch unterwegs
       Texte verfassen ließen! Auf einer „normalen“ Tastatur, mit einem Display
       von 8 Zeilen zu 40 Buchstaben! Mit satten 32 KByte Speicher, der Textmenge
       einer kompletten Zeitungsseite!
       
       ## Avantgarde in puncto moderner Kommunikation
       
       Wau Holland und sein Kollege von „Nor Systems“ „hackten“ die Kommunikation
       mit dem Fotosatzsystem, so dass Texte direkt auf dessen Disketten
       übertragen werden konnten. Das „Texi“ war erfunden. Von unterwegs ließen
       sich Artikel mit einem (illegalen) Akustikkoppler aus fast jeder
       Telefonzelle in die taz übertragen. Später kam dann noch ein
       handgestrickter Computer „NOR I“ dazu, der die Texte automatisch
       entgegennahm und ausdruckte. Die taz war Avantgarde in puncto moderner
       Kommunikation.
       
       Nicht alle in der taz aber waren mit fortschreitender „Digitalisierung“
       einverstanden. Uli Dillmann argumentierte, mit der Nutzung von Texis sei
       eine technologische Entwicklung eingeläutet worden, deren Dimensionen den
       wenigsten bewusst wäre; per Redaktionssystem könnten wie bei anderen
       Zeitungen Agenturmeldungen per Knopfdruck ins Blatt wandern. Andere
       kritisierten, dass durch die Einführung des Ganzseitenumbruchs
       Arbeitsplätze im Layout vernichtet und die Kreativität eingeschränkt würde;
       eine Seitenvorschau im „Postkartenformat“ auf einem grünen Bildschirm
       reiche einfach nicht aus.
       
       Dennoch konnte 1985 das Redaktionssystem eingeführt werden. Die
       „Digitalisierung“ hatte gesiegt. Leider auch mit unerwarteten Folgen: Die
       taz hatte ein Redaktionssystem erworben, geliefert wurde ein EDV-System.
       Umdenken war erforderlich. Wieder einmal learning by doing. Meist nachts.
       
       Kleinste Fehler quittierte das System mit Streik. Selbst Georg Schmitz, der
       Säzzer, Unterstützer der neuen Technik, verließ beim Umarbeiten auf die
       neuen Satzbefehle irgendwann wütend den Schulungsraum – „Ich lasse mich von
       diesem System doch nicht verarschen“. Es dauerte fast zwei Jahre, bis er
       wieder zum System zurückkehrte. Fotoredakteur Udo Schewietzek sprang ein.
       Als Erstes produzierten wir auf dem System eine Zeitung der SPD zur
       Westberliner Abgeordnetenhauswahl.
       
       ## Ein halbes Jahr Nachtarbeit
       
       Irgendwann lief alles „rund“, konnten ganze Seiten auch in den
       westdeutschen Druckereien ausbelichtet werden. Lediglich Fotos mussten
       nachträglich einmontiert werden. Die Daten wurden mit einer Geschwindigkeit
       von 9.600 Baud als „Datex-P“ übertragen. ISDN gab es noch nicht, der
       Vorläufer „Modellnetz 64 K“ wurde von der Deutschen Bundespost gerade
       getestet.
       
       Heftig stritten wir uns über eine „Lokalausgabe Bremen“. Unbezahlbar, so
       die schlichte Position von Geschäftsführer Kalle. Vor allem die Investition
       in den Ausbau des Redaktionssystems, das ohne Berlin-Förderung hätte
       finanziert werden müssen, war ausgeschlossen. Doch hatten „die Techniker“
       eine preisgünstigere Alternative ausgeklügelt: „Texis“ wurden zur
       Texterfassung genutzt, ein selbst entwickeltes Blockkonzept für die Seiten
       mit einem drehbaren Bildschirm zum „Layout“ der Ganzseite erarbeitet, und
       das Ganze mit einem speziell geschriebenen Erfassungsprogramm auf einem
       UNIX-Rechner zu einem mit dem Berliner System verbundenen Gesamtnetzwerk
       zusammengestellt.
       
       Ein halbes Jahr Nachtarbeit von Randolf Schröder, Wolfgang Spindler und
       Dieter Metk machte dann die erste in Bremen produzierte Lokalausgabe
       möglich. Digitalisierung pur. Begeistert ließen die Bremer am ersten
       Erscheinungstag die Sektkorken mit Kollegen anderer Medien knallen. Die
       „Techniker“, die nach durchgearbeiteter Nacht am anderen Ende des Raumes
       herumhingen, gingen leer aus. Gar nicht aus böser Absicht, so sind sie eben
       die Redakteur*innen…
       
       Ein nächster Schritt in der Digitalisierung, die Übertragung von Fotos, war
       in absehbarer Zeit kostenmäßig nicht mehr zu stemmen. Ende 1986 war ein
       Status quo erreicht. Andere „Techniker“ als wir haben die immer rasantere
       Entwicklung von Computersystemen und Datennetzen zu dem ausbauen können,
       was heute in der taz Realität ist. Print und Online. Und das ist gut so.
       Als ehemaliger Drucker bin ich der Meinung: Die gedruckte Zeitung muss
       erhalten bleiben!
       
       27 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dieter Metk
       
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