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       # taz.de -- Kolumne Ich meld mich: Der Kaffee ist fertig
       
       > Beim Frühstück am Übernachtungsort trennt sich die Spreu vom Weizen, der
       > gute Gastgeber vom schlechten Hotelbetrieb.
       
   IMG Bild: Frühstücksgruß aus Bayern
       
       Dem Mann auf dem Gang zum Frühstück ist bang. Welches Schicksal haben die
       unergründlichen kulinarischen Mächte ihm wohl diesmal zugedacht? Wartet ein
       unwiderstehliches Arrangement aus papierdünn geschnittenem Alpenspeck,
       geräucherten Forellenfilets und frischen Laugenbrezeln auf ihn – ein Morgen
       mit Sonnenaufgang und Engelschören also?
       
       Oder gähnt da wieder ein Abgrund von Verzweiflung, an dessen Rand bereits
       die Folterknechte warten: Brötchen-Zombies aus den zusammengefegten
       Mehlresten der nächsten „Back & Kack“-Kette, eine greise Gurkentruppe sowie
       die Legion charakterloser Goudagesellen und schwitzender Cervelatknechte,
       die neben sich Gaumenschrauben aus verschweißter Leberpastete und den
       Schwedentrunk aus Joghurt mit nie ablaufendem Haltbarkeitsdatum
       bereithalten?
       
       Die Frage nach dem Hotelfrühstück ist nicht einfach die nach Mortadella aus
       der Folie oder frischem Birchermüsli, Tischeimer oder eifrigem Kellner,
       Selberwählen am Buffet oder Umsorgtwerden am Tisch. Sie stellt sich in der
       einfachen Fernfahrerpension genauso wie im 4-Sterne-Haus, und sie rührt
       tief an das Selbstverständnis von Gastgeber und Reisendem: Was tut
       Sömmerda, Düren, Kühlungsborn, Neuruppin, um seine Besucher willkommen zu
       heißen? Und worauf lässt der Gast sich ein, um ihnen eine Chance zu geben?
       
       Viel zu viele Touristen bestehen auf ihrem heimischen Set: Der Kaffee
       bitteschön von Tchibo, die Marmelade von Schwartau, Emmentaler, Putenbrust
       und Butter möglichst wie von überall in Deutschland – so muss das Buffet
       bestückt sein. Sie ahnen nicht, was sie sich entgehen lassen, die Armen.
       
       Wie wunderbar ist es, wenn in Wangen ofenwarme Seelen im Brotkorb duften
       oder in Kronach Blaue Zipfel im Sud ziehen. Gelobt sei der Hotelier in
       Kassel, der seinen Gästen ein paar Scheibchen holzharte „Ahle Wurst“
       spendiert, gepriesen seine Kollegin in Langen, die sich traut, einen
       „Handkäs mit Musik“ hinzustellen.
       
       Zunge, Ziegenfrischkäse, Landjäger, Schweinskopfsülze, Kieler Sprotten,
       Quittengelee – was immer Vaihingen, Riesa, Greetsiel, Torgelau von Coburg,
       Grimmen, Stade, Mechernich unterscheidet, ist so etwas wie ein erster,
       eigenständiger Gruß. Mit Grünenbacher Bergkäs’, Bautz’ner Senf und
       Ostfriesentee samt Kluntjes stellen Grünenbacher, Bautzener und Ostfriesen
       sich dem Fremden vor.
       
       Wenn eine kluge Kellnerin es dann sogar fertigbringt, ihren verschlafenen
       Azubi in der Küche zu überzeugen, dem Gast ein 5-Minuten-Ei zu kochen –
       „Dürfen wir doch nicht. Wegen der Hygiene, glaube ich.“ „Machst du doch,
       wenn er es will“ –, dann steht einer kulinarischen Seligsprechung des
       Etablissements nichts mehr im Wege. Und beflügelt von einem
       Abschlussstückchen hausgebackenen Apfelkuchens fühlt der Gast sich
       endgültig – nein: eben nicht zu Hause. Sondern angekommen. In Lauscha,
       Eckernförde, Coesfeld, Erding.
       
       30 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franz Lerchenmüller
       
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