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       # taz.de -- Hamburg-Fan über Liebe zu beiden Clubs: „Hab’ zwei Fußballherzen“
       
       > Derby-Zeit: HSV oder der FC St. Pauli? Wer Hamburg und den Fußball liebt,
       > muss sich entscheiden. Bernd Volkens weigert sich. Er ist Anhänger beider
       > Vereine.
       
   IMG Bild: Mag beide Hamburger Vereine: Bernd Volkens
       
       taz: Bernd, wann wirst du am Sonntag jubeln – wenn der HSV das Derby
       gewinnt oder der FC St. Pauli? 
       
       Bernd Volkens: Beim FC St. Pauli fiebere ich ein Fünkchen mehr mit, auch
       wenn mir die Antwort nicht leicht fällt. Ich würde mich für beide Vereine
       freuen.
       
       Das geht, weil du Fan beider Vereine bist. Klingt paradox – die Rivalität
       zwischen den Clubs hat lange Tradition, die Fanszenen unterscheiden sich
       sehr. Für dich kein Widerspruch? 
       
       Das hat mit meiner Geschichte zu tun. Ich komme aus Dithmarschen und spiele
       Fußball, seit ich sechs bin. Wenn du in den Siebzigern in der Gegend
       gewohnt hast und Bock auf Fußball hattest, ging nix über den HSV. Der
       Verein war damals richtig groß, Leute wie Felix Magath, Horst Hrubesch und
       Kevin Keegan standen auf dem Platz. Legendär! Über den HSV hab’ ich meine
       Liebe zum Fußball entdeckt. Auch heute ist da noch eine ganz tiefe,
       emotionale Bindung.
       
       Die Liebe zum FC St. Pauli kam erst später? 
       
       Ja, als ich nach Hamburg zog und anfing, Amateurfußball beim FC St. Pauli
       zu spielen. Ich hab’ viele Leute über den Verein kennengelernt, tolle
       Freundschaften im Viertel geknüpft. Ich identifiziere mich mit den Werten,
       für die der FC St. Pauli steht, das soziale Engagement. Ich liebe die
       lockere und familiäre Atmosphäre im Millerntor. Meine Liebe zum HSV ist
       emotional und nostalgisch, das Pauli-Fan-Ding ist da viel rationaler: Ich
       hab’ mich bewusst für den Verein entschieden, weil ich das Drumherum so
       sympathisch finde. In meinem Freundeskreis gibt es auch viel mehr
       Pauli-Fans.
       
       Kassierst du als HSV-Fan da oft hämische Sprüche? 
       
       Klar. Schön ist das nicht. Stell dir das vor: Du guckst dir ein HSV-Spiel
       in der Kneipe an und erlebst mit, wie alle lieber einen Verein wie
       Wolfsburg anfeuern. Hauptsache, der HSV verliert. Da denke ich mir: ›Ach
       komm, welche Verbindung habt ihr denn schon zu Wolfsburg?‹ So ein bisschen
       Solidarität mit dem HSV wäre schon nett. Aber man entwickelt ein dickes
       Fell, blöde Sprüche prallen an mir ab. Außerdem gibt’s ja noch die
       braun-weißen Rauten.
       
       Braun-weiße Rauten? 
       
       Ein kleiner Fanclub, den ich und vier Mitspieler aus meiner
       Amateurmannschaft gegründet haben, die auch den FC St. Pauli und den HSV
       gut finden. Also haben wir die HSV-Raute in Pauli-Farben eingefärbt und
       Sticker gedruckt, die wir in der ganzen Stadt verteilen. Unser Banner war
       beim letzten Heimspiel sogar im Stadion und hat es als Foto in die Bild
       geschafft. Ist natürlich nur Quatsch, wir provozieren da ein bisschen und
       nehmen die Rivalität zwischen den Fanlagern mit Humor. Anfangs gab das
       schon mal Stress. Wenn Leute gemerkt haben, dass wir beide Clubs gut
       finden, wurde es auch mal laut.
       
       Und heute? Wo treffen sich die braun-weißen Rauten zum Fußballgucken? 
       
       In meiner Stammkneipe in St. Pauli. Dort geht’s entspannt zu und unsere
       Doppelliebe wird toleriert. Manchmal geh ich auch ins Millerntor, zu
       HSV-Heimspielen ins Volksparkstadion aber nur noch sehr selten. Eine Zeit
       lang bin ich da aus Prinzip gar nicht mehr hin …
       
       Wieso nicht? 
       
       Ich hab’ zu oft übergriffiges Verhalten, dumpfes Gepöbel von Nazis im
       Stadion erlebt. Ende der 90er-Jahre war es besonders schlimm, zu der Zeit
       schwor ich mir, nie wieder zu HSV-Spielen zu gehen. Ich war seitdem doch
       ein paar Mal da und Nazi-Hools sind im Stadion weniger präsent, so mein
       Eindruck. Trotzdem ist die Stimmung weniger gemütlich als im Millerntor,
       dafür unpersönlicher und nach wie vor aggressiver. Es fallen unter HSV-Fans
       auch öfter homophobe, sexistische Sprüche. So was wird unter Pauli-Fans
       nicht toleriert, auch deswegen sagt mir die Fankultur am Millerntor
       deutlich mehr zu.
       
       Würdest du mitgrölen, wenn vorm Spiel „Hamburg, meine Perle“ im Stadion
       erklingt? 
       
       Nein! Find ich furchtbar, ist nicht mein Ding. Diese krasse Art von
       Lokalpatriotismus liegt mir nicht, zu sagen: „Hamburg ist viel toller als
       alle anderen Städte!“ Das ist doch Bullshit.
       
       Was nervt dich noch am HSV? 
       
       Das Chaos in der Vereinsführung, klar. Dass man sich immer wieder fragen
       muss, wer da eigentlich das Sagen hat. Die ständigen Trainerwechsel und
       Kühne, der als Investor zwar Geld gibt, aber ständig reinplappert. Ich weiß
       ja auch, dass dieser HSV nicht mehr mit dem von früher zu vergleichen ist.
       Und sage mir selbst oft: „Ey Bernd, du kannst den HSV eigentlich nicht mehr
       gut finden!“ Aber was willste machen? Diese Prägung aus meiner Kindheit
       werd’ ich nicht los. Ich hab nun mal zwei Fußballherzen in der Brust.
       
       Was nervt am FC St. Pauli? 
       
       Die Doppelmoral einiger Fans, Mackergehabe und Pöbeleien in den eigenen
       Reihen. Wer nicht laut genug mitsingt, sei kein richtiger Fan, heißt es
       dann etwa. Doch wer Toleranz predigt, sollte die auch leben! Ich lasse mir
       von niemandem sagen, wie ich mein Fantum ausleben soll. Und auch Schläger
       gibt es nicht nur in der HSV-Fanszene. Vor drei Wochen wurde ein HSV-Fan in
       der Wohlwillstraße von ein paar Pauli-Fans verprügelt, einfach so. Bekannte
       von mir haben den Vorfall beobachtet. Das war kein Hooligan, der provoziert
       hätte. Das war einfach nur ein Typ, der nach einem HSV- Spiel im Trikot
       unterwegs war. Verbal austeilen ist das Eine, aber für Gewalt im Fußball
       fehlt mir jedes Verständnis. Egal, von welcher Seite sie ausgeht.
       
       Wie empfindest du die Stimmung vorm Derby? 
       
       Die ist extrem aggressiv. Einige Medien tragen durch ihre Berichterstattung
       sicher ihren Teil dazu bei, aber eigentlich muss man nur mal in die
       Facebook-Kommentarspalten gucken. Fans bedrohen und beschimpfen sich da in
       einem Ton, der gar nicht klar geht. Eine gewisse Rivalität zwischen den
       Vereinen macht Spaß, die tut der Stadt auch gut. Doch dieser Hass auf
       beiden Seiten geht zu weit.
       
       Wie erklärst du dir den Hass? 
       
       Die Ursachen liegen sicher nicht im Sport. Es gibt Leute in beiden
       Fanlagern, die bewusst aufpeitschen. Ein klares Feindbild dient ja auch
       dazu, die eigene Fanidentität aufzuwerten und zu stärken, das
       Selbstbewusstsein zu pushen. Doch wenn Hools oder Ultras aufeinander
       einschlagen, instrumentalisieren einfach ein paar Vollidioten den Fußball,
       um Aggressionen rauszulassen, die sie sonst anscheinend nirgends loswerden.
       
       Wie sollten die Vereine damit umgehen? 
       
       Alle Fußballvereine müssten sich noch viel stärker von Fangewalt
       distanzieren, auch der FC St. Pauli. Politische Initiativen erreichen die
       Fanszene nicht. Die Vereine sind in der Verantwortung, sie müssen klare
       Konzepte vorlegen. Stadionverbote find ich daher gut: Wer Leute
       zusammenschlägt, muss auch mit den Konsequenzen leben. Das Gute ist, dass
       es beim FC St. Pauli schon eine starke Diskussionskultur zum Thema und
       engagierte Fanvertreter gibt.
       
       Was hat der eine Verein, was dem anderen fehlt? 
       
       Früher lief am Millerntor vieles chaotisch, Corny Littmann hat die
       Strukturen verändert und aufgeräumt, das muss man ihm zugute halten. Mehr
       Ordnung und weniger Machtgeplänkel, das würde dem HSV auch gut tun. Und
       andersrum? Da fällt mir nichts ein. Oder doch: Ein starker Investor wie
       Kühne wäre natürlich gut. Dann aber lieber einer, der auch mal die Klappe
       hält.
       
       Ist Hoffnung eigentlich das Einzige, was HSV-Fans gerade noch antreibt? 
       
       Hoffnung ist für jeden Fußballfan die treibende Kraft! Der Abstieg war
       natürlich ein großes Drama, eine Stadt wie Hamburg braucht eine
       Erstliga-Mannschaft. Aber mein großer Traum ist, dass beide Vereine
       aufsteigen, auch der FC St. Pauli gehört in die Erste Liga. Beim Fußball
       geht’s ums Gewinnen!
       
       Es gibt Fans, die glauben, der FC St. Pauli ist in der zweiten Liga besser
       aufgehoben … 
       
       Ach, das Gelaber ist Quatsch. Der Verein hat sich längst verändert und ist
       total durchprofessionalisiert. Ich vermisse vor allem das alte Klubheim,
       das 2007 abgerissen wurde. Früher mussten die Profis nach den Heimspielen
       da durch, haben so direktes Feedback von den Fans bekommen. Und wenn wir
       dort gefeiert haben, hing die Wirtin Brigitte irgendwann betrunken hinterm
       Tresen und hat uns angepöbelt. Profis, Amateure und Fans waren damals viel
       enger miteinander verbunden. Diese alten Zeiten vermisse ich sehr, so eine
       Bindung fehlt heute. Und trotzdem kann ich vom Aufstieg träumen.
       
       Dein Tipp fürs Derby? 
       
       Der HSV gewinnt. Nach der 0:5-Heimpleite wird das Team stark in den Angriff
       gehen. Und sollte der HSV doch verlieren, werd’ ich eben mal wieder viel
       Spott ertragen müssen. Auch das gehört dazu und schließlich schlägt dann
       mein St.-Pauli-Herz umso freudiger in der Brust.
       
       29 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annika Lasarzik
       
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