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       # taz.de -- Kommentar Krise der Kanzlerin: Merkels wunderbare Fehler
       
       > Auf den letzten Metern ihrer Kanzlerinschaft wird Angela Merkel trotz
       > ihrer vielen Krisen sympathisch. Und könnte noch einiges bewegen.
       
   IMG Bild: Auf einmal wirkt die kühle Kanzlerin menschlich
       
       Angela Merkels Macht besteht dieser Tage darin, nicht sofort entmachtet zu
       werden. Sie hat aber nicht mehr die Macht, ihre Gegner – es sind auffällig
       viele Männer – auf Distanz zu halten. Keiner muss fürchten, dass eine
       Regierungschefin, die ihre Zukunft schon hinter sich hat, ihm die Karriere
       verbaut.
       
       [1][Tatsächlich wäre es besser, die Kanzlerin ginge bald.] Weil mit ihr die
       Regierung [2][von Krise] [3][zu Krise] wackelt. Weil neue Köpfe neue
       Motivation bringen können. Und weil die Situation, dass Merkel lauter linke
       Fans und lauter konservative Feinde hat, der politischen Kultur schadet:
       Wenn Linke und Umweltbewusste eine CDU-Vorsitzende verteidigen, die die
       Mieten nicht bremst, die den Hartz-IV-Satz einfriert und die Autoindustrie
       davonkommen lässt, dann entkoppelt das in bizarrer Weise Sachfragen von der
       Machtfrage.
       
       Mit der Krise der Kanzlerin – das registrieren ihre Kritiker jetzt erfreut
       – geht einher, dass sie Fehler begeht. Die einst übermächtige Strategin hat
       sich schon wieder verkalkuliert, lästern dann die Leute in Politik und
       Medien. Merkel, die berühmte Risikominimiererin, ist wieder reingefallen,
       hoho! Merkel, die Meisterin der Macht, hat ihr Gespür für die Menschen
       verloren, hehe!
       
       Vielleicht ist das falsch. Vielleicht riskiert die Frau, die so lange und
       so gern taktierte, gegen Ende mehr als früher. Vielleicht erkennen wir
       jetzt, wer Angela Merkel ist.
       
       ## Merkel gegen rechts
       
       Nehmen wir mal die Fehler: Konservative kreiden ihr an, dass sie sich zu
       den Hetzjagden in Chemnitz sehr früh und sehr deutlich geäußert hat, ohne
       detailliert zu wissen, was passiert war. Sie wandte sich gegen rechts.
       Genau wie sie den Abgeordneten Martin Hohmann 2003 aus der Unionsfraktion
       warf, nachdem der von den Juden als Tätervolk gesprochen hatte. Genau wie
       sie 2007 Günther Oettinger zum Kotau zwang, nachdem der Hans Filbinger vom
       Nationalsozialisten zum Widerstandskämpfer umgedeutet hatte.
       
       Genau wie sie sich 2014 schon früh gegen die Kälte und den Hass von Pegida
       wandte. Heute hat Merkel viel weniger politischen Kredit als damals. Am
       Montag nach den ersten Naziattacken von Chemnitz, als die Faktenlage sich
       gerade erst zusammensetzte, da ging sie ein Risiko ein. Es war ihr wichtig,
       schnell einzugreifen.
       
       Oder der Fehler, dass sie Volker Kauder ins Rennen um den Vorsitz der
       CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehen ließ, in der es schon lange grummelt und
       gärt. Sie hätte die Gelegenheit nutzen können, als der spätere Sieger Ralph
       Brinkhaus sehr früh zu ihr kam und fragte, ob sie nicht lieber ihn
       vorschlagen wolle. Taktisch wäre es klug gewesen, in diesem Moment Kauder
       auszumustern.
       
       Aber mit ihm arbeitet sie ewig zusammen, er verkörpert die Allianz, die die
       baden-württembergische CDU einst mit Merkel einging. Kauder, der
       Konservative, hat sich immer wieder für sie verbogen. Die Kanzlerin hat
       ihren Weggefährten nicht aufs Altenteil geschickt. Sympathischer Zug.
       
       ## Kaum Eiskönigin mehr
       
       Die Frau, die der Stern einst als Eiskönigin auf dem Titel präsentierte,
       zeigt Schwäche, zeigt Nerven, sie redet mit einem Mal über Irrtümer und
       Niederlagen. Die Machtanalytikerin Merkel wird in ihren taktischen Fehlern
       kenntlich.
       
       So war es im Grunde schon 2015, als sie die Grenze nicht dicht machte. Sie
       schuf der Republik und sich selbst Probleme für Jahre. Aber sie tat, was
       sie für richtig hielt, sie ließ die Flüchtlinge nicht mit Knüppeln und
       Wasserwerfern zurückweisen. „Dieser wunderbare Fehler“, so hat es der
       Liedermacher Wolf Biermann [4][kürzlich geschrieben]. Und so ist es.
       
       Was haben wir von den sympathischen letzten Zügen der Angela Merkel? Diese
       Kanzlerin könnte auf ihren letzten Metern etwas wagen. So wie Barack Obama,
       der am Ende seiner Präsidentschaft Kuba die Hand reichte. Sie könnte mutige
       Entwürfe zu Europas Erneuerung vorlegen. Sie könnte sich mit den
       Energiebossen anlegen und etwas gegen die Erderhitzung tun. Wer Fehler in
       Kauf nimmt, kann mutig sein. Ist der Ruf erst ruiniert, regiert es sich
       ganz ungeniert.
       
       28 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5512390/
   DIR [2] /Seehofer-Merkel-und-die-Unions-Krise/!5514586
   DIR [3] /Kommentar-Maassen-Krise/!5537466
   DIR [4] https://www.nytimes.com/2018/06/29/opinion/wolf-biermann-angela-merkel.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Georg Löwisch
       
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