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       # taz.de -- Hamburger Zweitliga-Derby: Mutlos in Mordor
       
       > Rund um das erste Zweitliga-Stadtderby in Hamburg zwischen dem HSV und
       > dem FC St. Pauli geht es überwiegend friedlich zu.
       
   IMG Bild: HSV-Fans zünden Pyrotechnik
       
       Hamburg taz | Es liegt ein Hauch von G20 über Hamburg, vor diesem Derby.
       Eine Polizei, die ein Aufeinandertreffen von 1.000 gewalttätigen Chaoten,
       zum Teil aus dem Ausland prophezeit und gleichzeitig verkündet: „Wir sind
       auf alles vorbereitet.“ Polizeiportale für Freizeit-Denunzianten, auf denen
       diese die Bilder von möglichen Straftaten ablegen sollen. Und am Ende noch
       Helikopter-Gebrumme und Blaulichtalarm im Schanzenviertel. Doch der
       Vergleich trügt: Bis in die frühen Abendstunden bleibt es rund um das
       Zweitliga-Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli ruhig. Und auch auf
       dem Platz wollen sich beide Mannschaften nichts tun – am Ende trennen sie
       sich 0:0.
       
       Das Vorspiel: St. Pauli-Fans zerstören gewaltsam Teile einer
       HSV-Choreografie, unbekannte Täter knüpfen Strohpuppen in den
       St.-Pauli-Fanfarben an Autobrücken auf und verüben am Vorabend einen
       Buttersäure-Anschlag auf den S-Bahnhof Bahrenfeld, über den die
       St.-Pauli-Fans zum Lokalderby anreisen. Die Polizei befürchtet
       Ausschreitungen und viele Fans das Schlimmste. Anhänger beider Klubs,
       gerade die mit Kindern, bleiben dem Volksparkstadion fern, weil sie
       Auseinandersetzungen befürchten. Die Atmosphäre vor dem Derby ist
       angespannt.
       
       Die Anreise: Die Fans vom FC St. Pauli machten sich gemeinsam auf den Weg
       zum Volkspark. Schon morgens um neun treffen sie sich am Millerntorstadion,
       dann geht es über die Landungsbrücken mit der S-Bahn nach Bahrenfeld. Im
       S-Bahnhof Bahrenfeld stinkt es immer noch nach Buttersäure. Etwa eine
       Stunde marschieren St.-Pauli-Fans durch Bahrenfeld. Sie werden dabei von
       AnwohnerInnen über die Balkone mit Bier versorgt, dies wird ihnen mit
       Fangesängen gedankt. Auch Oke Göttlich und Jan Phillip Kalla mischen sich
       zwischenzeitlich unter die Gruppe. Die Situation bleibt die ganze Zeit
       friedlich, die BeamtInnen an der Strecke verhalten sich zurückhaltend.
       
       Die Stadien: Rund um das Volksparkstadion gelingt es der Polizei, die
       gegnerischen Fans voneinander fernzuhalten. Viele Polizisten, die für die
       Trennung der Fans zuständig sind, haben ihre Helme abgenommen. Die
       Pferdestaffel steht bereit. Hinter der Westtribüne warten die Wasserwerfer
       auf ihren Einsatz. Im Stadion werden die 5.700. St.-Pauli-Fans, die eine
       Karte ergattern konnten, von etwa 150 Ordner von den HSV-Anhängern
       abgeschirmt.
       
       Vier Kilometer entfernt füllt sich das Millerntor zum Public Viewing. Die
       Gegengerade und die Südkurve sind geöffnet, drei Leinwände aufgebaut, die
       sich später als zu klein erweisen, um jedem der 15.200 Versammelten eine
       gute Sicht zu erlauben. Wie das 57.000 Zuschauer fassende Volksparkstadion
       ist auch das Public Viewing seit Langem ausverkauft – 72.000 Fans sehen so
       in beiden Stadien das erste Stadtderby seit über sieben Jahren.
       
       Das Spiel: Als die Spieler des FC St. Pauli den Rasen des Volksparkstadions
       betreten, empfängt sie ein gellendes Pfeifkonzert. Als Minuten später die
       HSV-Akteure das Spielfeld entern, übertönt eine donnernde Einlauffanfare
       die Unmutsbekundungen der St.-Pauli-Fans. Die HSV-Fans sind neun mal so
       viele wie die St. Paulianer, doch denen gelingt es immer mal wieder, mit
       ihren Fangesängen zu dominieren. Viele Fahnen, ein paar Pyros, Schmährufe
       in Richtung des gegnerischen Fanblocks – all das bleibt im Rahmen eines
       ganz normalen Zweitligaspiels.
       
       Am Millerntor gibt es die Bilder aus Mordor ohne Kommentar zu sehen. Über
       ein Mikro aus dem St.-Pauli-Fanblock wird der Ton ans Millerntor übertragen
       – so klingt es nach Heimspiel. Es ist eng auf den Tribünen, die Stimmung
       lange etwas verhaltener. Unbeirrt singen die gut 15.000 Versammelten ein
       Möwenpaar an, denn mehr passiert auf dem Platz nicht. Und erst als sich die
       Partie dem Ende nähert, ist am Millerntor die Hölle los: Die Atmosphäre
       erreicht Heimspiel-Hochdruck.
       
       Der Sport: HSV-Trainer Christian Titz hat einen klaren Matchplan. Kein Tor
       fangen, den Gegner müde spielen und wenn dieser müde ist: der Lucky-Punch,
       das 1:0. Auch St.-Pauli-Trainer Markus Kautschinski hat einen Matchplan.
       Kein Tor fangen, den Gegner irgendwann auskontern, wenn dieser müde wird
       und dann: der Lucky-Punch, das 0:1. So kontrolliert der HSV Spiel und
       Gegner, spielt aber zu ideenlos, um den Abwehrriegel der St. Paulianer zu
       knacken. Und St. Pauli kontert nur mutlos, die Defensivspieler rücken nicht
       mit auf und sichern lieber ab. So gibt es kaum Chancen, bis in der zweiten
       Minute der Nachspielzeit Cenk Sahin zwei HSV-Spieler umdribbeln kann und
       aus 50 Meter auf das HSV-Tor abzieht. Torhüter Julian Pollersbeck steht wie
       immer weit vor seinem Kasten, muss zurückeilen und erreicht den Ball gerade
       noch mit den Fingerspitzen, bevor er sich unter die Latte senkt. Es fehlen
       Millimeter und Sahin wäre für die Fans vom Kiez für immer ein Held gewesen.
       So bleibt es beim 0:0.
       
       Die dritte Halbzeit: Während die meisten HSV-Fans das Stadion schon
       verlassen haben, bringen die St. Paulianer ihrer vor der Südkurve
       versammelten Mannschaft ein Ständchen. In Mordor nicht abgemetzelt zu
       werden, fühlt sich nach Heldengeschichte an. Doch als die Gesangseinlage
       bemerkt wird, dreht die Stadionregie die Lautsprecher auf und beschallt den
       Volkspark mit HSV-Hymnen.
       
       Rund um das Stadion bleibt es friedlich, der Abmarsch verläuft säuberlich
       voneinander getrennt. Eine dreiviertel Stunde nach Abpfiff rasen die
       Wasserwerfer im Eiltempo zur Reeperbahn. Am Volkspark wird schweres Gerät
       nicht mehr gebraucht, doch in St. Pauli erwartet die Polizei in den
       Abendstunden Randale. Es droht, eine lange Nacht zu werden.
       
       Mitarbeit: Tanja Stier und Silke Langhoff
       
       30 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
   DIR Marthe Ruddat
       
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