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       # taz.de -- Antirassistische Demo in Hamburg: Das erhoffte Signal
       
       > „We'll Come United“: Zehntausende Menschen demonstrierten gegen
       > Rassismus. Wir sind eben doch mehr – das ist, was man senden will.
       
   IMG Bild: Insgesamt 44 Bündnisse, darunter „Lampedusa Hamburg“ und die „Hamburger Seebrücke“, zogen mit eigenen Trucks los
       
       Hamburg taz | Wohl keiner hat sie alle gesehen. Wenn das Ende des Zuges
       kommt, war die Spitze schon vor einer Stunde da: Die „Omas gegen rechts“
       und die DJs, die Kurden und die Afghanen, die Seenotretter und die Frauen,
       Ärzte, Eritreer oder Roma: Insgesamt 45 Trucks, dröhnend laut, geschmückt.
       Ein Karneval gegen Abschiebung, gegen die AfD, gegen die Seehofers und die
       Orbáns dieser Welt. 450 Flüchtlingsgruppen aus ganz Deutschland haben zur
       Welcome-United-Parade am Samstag in Hamburg aufgerufen. Sie wollen an
       [1][die Grenzüberschreitung der Flüchtlinge vom Budapester Bahnhof Keleti
       vor drei Jahren] erinnern; und jetzt schieben die Menschen und die Laster
       sich in einer nicht zu überblickenden Prozession durch St. Pauli in
       Richtung Hafen.
       
       Fast am Ende, dort, wo Bässe die Trucks der Seenotrettungsgruppen umwabern,
       läuft Swantje Tiedemann, eine junge Frau mit blonden kurzen Haaren. Sie ist
       gewissermaßen auf Betriebsausflug: In Nordfriesland versucht Tiedemann
       ehrenamtliche Flüchtlingshelfer zu unterstützen, ihr Arbeitgeber ist der
       Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, dessen Transparent sie und fünf
       KollegInnen vor sich her tragen. „Musikalisch haben wir es hier hinten
       nicht so gut getroffen“, sagt Tiedemann, ansonsten aber ist sie zufrieden.
       Hier sei ein „auffällig breites Publikum“ unterwegs, sagt sie: Familien mit
       Kindern und Hunden, ältere Leute; solche, die wohl immer schon politisch
       aktiv waren – und solche, die wohl noch vor wenigen Monaten nicht auf eine
       solche Veranstaltung gekommen wären.
       
       „Die politische Lage, was in Chemnitz passiert ist, das hat manchen
       Menschen das Gefühl gegeben: Da müssen wir was machen“, sagt Tiedemann.
       Genau das spüre sie auch bei ihrer Arbeit mit den Flüchtlingshelfern in der
       ländlichen Region im äußersten Norden der Republik. „Das sind oft Leute,
       die etwas älter und konservativ in ihrer Grundhaltung sind. Und trotzdem
       ist bei ihnen jetzt eine Politisierung festzustellen.“ Heute in einer
       solchen Masse auf der Straße zu sein, findet sie „beruhigend. Das zeigt,
       dass man nicht so alleine ist, wie man manchmal denkt.“
       
       Seit dem Sommer hat sich die Lage in Sachen Flüchtlinge fundamental
       verändert: Im Mittelmeer hat Italien jede menschenrechtliche Hemmung fallen
       gelassen und seine Häfen gesperrt, in Marokko wird auf Flüchtlinge
       geschossen. In Deutschland ist mit Horst Seehofer ein Minister für
       Migration zuständig, der diese für „die Mutter aller Probleme“ hält und
       danach auch handelt. Und seit dem Wochenende wird die AfD laut einer
       Umfrage als zweitstärkste Partei in Deutschland gehandelt.
       
       Der Protestbewegung allerdings gab das einen Schub. Die Seenotretter, deren
       Schiffe an die Kette gelegt wurden, [2][bekamen so viele Spenden], dass sie
       sich jetzt einfach neue kaufen können – wenn sie denn wüssten, wo sie die
       Menschen damit hinbringen sollen. Die [3][Seebrücken]-Demos schafften es
       aus dem Stand, nahezu flächendeckend in ganz Deutschland Demonstrationen zu
       organisieren. 50.000 Menschen gingen [4][unter dem Motto „ausgehetzt“ in
       München] gegen die CSU auf die Straße. Und bei der [5][„#unteilbar“-Demo in
       zwei Wochen] in Berlin sollen es noch viel mehr werden.
       
       ## Selbst die Elbphilharmonie macht mit
       
       Auf diese Stimmung hatten auch die [6][Veranstalter von Welcome United
       gesetzt]. 25.000 Menschen, so kündigten sie an, würden an diesem Tag nach
       Hamburg kommen. Um 16.20 Uhr spricht die Polizei von 20.000. Die Agenturen
       übernehmen die Zahl. Die Organisatoren lassen selbst zählen und melden, es
       seien 30.000.
       
       Am Abend berichten fast alle großen Medien über die Parade. Aus 35 Städten
       sind Busse gekommen. Eine größere Aktion haben Flüchtlingsgruppen in
       Deutschland noch nie auf die Beine gestellt. Und dieser Rekord, er ist
       vielen hier heute noch wichtiger als sonst: Wir sind eben doch mehr – das
       ist das Signal, das man senden will.
       
       Um 16 Uhr erreicht der Zug die Hafenstraße. Entlang der grandiosen Kulisse
       der Docks, vom alten Elbtunnel bis zum Fischmarkt, parken die Trucks im
       Steinwurfabstand. Genau hier [7][prügelte die Polizei vor einem Jahr, beim
       G20-Gipfel, die autonome „Welcome2Hell“-Demo auseinander], noch bevor sie
       losgelaufen war. An diesem Samstag aber ist von Polizei nichts zu sehen.
       
       Die Musik läuft weiter, RednerInnen sprechen vom NSU, von der Lage
       geflüchteter Frauen oder über die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Vor den
       einst besetzten Häusern der Hafenstraße wird Suppe ausgegeben. Auf dem
       Transparent der Bühne der Abschlusskundgebung steht: „Migration ist die
       Mutter aller Gesellschaften“. [8][Bilder davon verbreiten sich in
       Minutenschnelle auf Twitter.]
       
       Mittendrin, im Schatten einer Fußgängerbrücke, steht Newroz Duman, eine
       junge Kurdin aus Hanau mit wallenden dunklen Locken. Sie selbst floh 2006
       über das Mittelmeer nach Deutschland, seitdem ist sie politisch aktiv.
       Schon vor einer Woche ist sie nach Hamburg gekommen, hatte die Parade
       mitorganisiert und auch die Zahl von 25.000 an die Presse gegeben. Nicht
       alle im Vorbereitungskreis hatten das für eine gute Idee gehalten. Jetzt
       hat sie mit ihrer Prognose recht behalten.
       
       Zufrieden gibt Duman Interviews, sagt Sätze wie: „Alle, die hier sind, sind
       von hier“, oder „Das Problem heißt nicht Migration, das Problem heißt
       Rassismus.“ Der darüber entscheide, wer auf dem Mittelmeer gerettet werde
       und wer ertrinken müsse, der entscheide darüber, wer ein Recht auf
       Familienleben und wer im Job stärker ausgebeutet werde.
       
       Dagegen helfe nur praktische Solidarität. Immer wieder erklärt Duman, wie
       stark die heute sei. „Jeden Tag wehren sich in diesem Land Tausende in
       ihrem Alltag gegen Nazis oder Abschiebung.“ Deutschland, will sie sagen,
       ist voll von Leuten wie Swantje Tiedemann und ihren Ehrenamtlichen in
       Nordfriesland. Und auf die komme es nun an: Wenn die Politik in die
       Offensive gegen den Flüchtlinge gehe, müssten Unterstützer für Schutz
       sorgen.
       
       Und an diesem Nachmittag sieht es so aus, als seien dazu viele bereit, bis
       in sehr bürgerliche Kreise. Selbst die Elbphilharmonie hat die Flaggen der
       Welcome-United-Parade gehisst, ebenso wie viele Theater und andere
       Kultureinrichtungen in Hamburg.
       
       Das ist auch der AfD nicht entgangen: „Undankbare Ausländer (+ deutsche
       Linksradikale) demonstrieren dafür, dass Deutschland so wird, wie die
       Heimatländer aus denen sie geflohen sind“, twittert der Hamburger
       Landesverband. Dass öffentliche Kultureinrichtungen sich auf die Seite der
       Abschiebegegner schlagen, ist für sie ein Unding.
       
       Kurz bevor die Sonne hinter dem Fischmarkt in der Elbe versinkt, betritt
       Ibrahim Manzo Diallo die Bühne. Der Radioredakteur trägt eine schwarze
       Lederjacke und verbeugt sich in alle Richtungen. Er lebt in Agadez in Niger
       und leitet dort den Sender Sahara FM. Durch Agadez kamen jahrelang fast
       alle Westafrikaner auf dem Weg nach Europa.
       
       Vor zwei Jahren kam Angela Merkel, seitdem bewachen Militär und Polizei,
       ausgerüstet von Deutschland und der EU, die Route durch die Wüste.
       Migranten werden gestoppt, ihre Fahrer verhaftet. Diallo hat früh darauf
       aufmerksam gemacht, dass deshalb immer mehr Migranten auf gefährlichen
       Routen, weit abseits der Straßen, durch die Wüsten fahren und dort den Tod
       finden. Die Sahara sei durch die Intervention der EU heute „ein Friedhof
       unter freiem Himmel“.
       
       Diallo ist dabei, ein Alarmtelefon für Migranten, die auf dem Weg durch die
       Wüste in Not geraten, aufzubauen. Ohne die Hilfe der europäischen Gruppen,
       die ihn zu der Demo nach Hamburg eingeladen haben, wäre das nicht möglich.
       „Ich bin geehrt und glücklich, dieses andere Europa in Form von euch heute
       hier zu sehen“, sagt er.
       
       30 Sep 2018
       
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