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       # taz.de -- Grüne Mihalic über Verfassungsschutz: „Wir brauchen einen radikalen Cut“
       
       > Ein bloßer Wechsel an der Spitze des Verfassungsschutzes reiche nicht,
       > sagt die Grüne Irene Mihalic. Das Bundesamt müsse ganz neu strukturiert
       > werden.
       
   IMG Bild: Maaßen geht. Dass bloß jemand neues seinen Posten übernimmt, reicht den Grünen nicht
       
       taz: Frau Mihalic, die Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird
       ausgetauscht. Reicht das für einen Neuanfang?
       
       Irene Mihalic: Nein, wir haben ohnehin viel zu lange über Herrn Maaßen und
       viel zu wenig über strukturelle Probleme des Bundesamtes für
       Verfassungsschutz diskutiert. Wir brauchen einen kompletten Neustart. Wir
       Grünen fordern seit langem, dass das Bundesamt in seiner derzeitigen Form
       aufgelöst und durch zwei neue Einheiten ersetzt wird.
       
       Welche strukturelle Probleme sehen Sie? 
       
       Das ist vor allem die mangelnde Analysefähigkeit. Wir haben gerade auch
       wieder [1][in Chemnitz gesehen], wie sich in kürzester Zeit viele tausend
       Rechtsextremisten an einem Ort versammeln können. Wir wissen zu wenig über
       rechte Netzwerkstrukturen, da hat das Bundesamt eine Analyseschwäche. Im
       Verfassungsschutzbericht sieht man Wanderungsbewegungen von einer Partei
       zur nächsten, aber wie die Netzwerke funktionieren, das sieht man nicht.
       Alles, was ich zum Beispiel [2][aus dem NSU-Untersuchungsausschuss] über
       solche Netzwerke weiß, weiß ich von Wissenschaftlern oder von engagierten
       Journalisten, die viel in diesem Bereich recherchieren. Aber nicht vom
       Bundesamt für Verfassungsschutz.
       
       Gilt das auch für den Islamismus? Herr Maaßen und seine Behörde werden ja
       innerhalb der Union immer wieder dafür gelobt, hier gute Arbeit zu leisten.
       
       Selbstverständlich gilt das auch für diesen Bereich. Das hat sich ja beim
       [3][Fall Amri ganz klar gezeigt]. Amri wurde letztlich als Kleinkrimineller
       abgetan, von dem keine Anschlagsgefahr ausgehe. Wie extremistische
       Netzwerke arbeiten und wo Schnittstellen zu konkreten Gefahren sind, wissen
       wir eben auch beim islamistischen Terrorismus nicht.
       
       Was müsste aus Ihrer Sicht also passieren?
       
       Wir wollen keine Abschaffung, sondern eine Umstrukturierung des
       Bundesamtes. Wir wollen ein unabhängiges wissenschaftliches Institut zum
       Schutz der Verfassung, das anhand von offen zugänglichen Quellen
       extremistische Bestrebungen aufklärt und die Öffentlichkeit und die
       Sicherheitsbehörden darüber informiert. Und daneben soll es ein Amt für
       Gefahrenerkennung und Spionageabwehr geben, sozusagen den Rest des jetzigen
       Bundesamtes reduziert auf seine Kernaufgaben. Dieses Amt wird immer dann
       zuständig sein, wenn das wissenschaftliche Institut mit offenen Quellen
       nicht weiterkommt und nachrichtendienstliche Mittel notwendig sind. Und
       wenn sich aus der Beobachtung konkrete Gefahren ergeben, ist die Polizei
       zuständig. Wir wollen klarere Zuständigkeiten und hoffen, dass mit mehr
       wissenschaftlicher Expertise extremistische Bestrebungen viel besser
       aufgeklärt werden.
       
       Soll es nach Ihren Vorstellungen weiter V-Leute geben? 
       
       Wir brauchen sehr enge gesetzliche Anforderungen an den V-Leute-Einsatz,
       der immer nur Ultima Ratio sein kann. Schließlich hat sich beim NSU
       gezeigt, dass [4][V-Leute im Rechtsextremismus] sogar noch dazu beigetragen
       haben die Strukturen zu unterstützen, die man eigentlich bekämpfen wollte.
       
       Warum sollte die Analysefäh igkeit durch eine neue Struktur zunehmen? 
       
       In der alten funktioniert es jedenfalls nicht. Und das lässt sich aus der
       Geschichte herleiten. Die Verfassungsschutzbehörden wurden ja gegründet,
       ohne dass es eine klare Aufgabenbeschreibung gab. Wenn es eine neue Aufgabe
       gab, wurde irgendetwas angebaut. Dann kam der NSU-Skandal, dann hat man
       versucht innerhalb der Struktur etwas zu ändern, aber immer mit keinem oder
       mäßigem Erfolg. Das muss sich ändern, wir brauchen einen radikalen Cut.
       
       Wü rde ein Totalumbau die Behör de nicht komplett lahmlegen? 
       
       Wahrscheinlich wird es nie einen guten Zeitpunkt geben, aber wir müssen
       jetzt die ersten Schritte gehen, damit wir mittelfristig die dringend
       notwendige Neustrukturierung auf den Weg bringen.
       
       Innenminister Seehofer hat am Mittwoch anders als erwartet keinen
       Nachfolger für Maaßen an der Spitze des Verfassungsschutzes benannt. Wie
       deuten Sie das? 
       
       Es ist schon bezeichnend, dass Seehofer erst einmal die Versorgung und den
       Aufstieg Maaßens zum Sicherheitschef des Innenministeriums organisiert,
       bevor er die Nachfolge im Bundesamt regelt. Die ganze Causa ist skandalös.
       Dieser Innenminister ist nicht mehr tragbar.
       
       19 Sep 2018
       
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