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       # taz.de -- Oktoberfest startet: Menschenmassen und Höchstpreise
       
       > Nun beginnt das Oktoberfest in München. Bayerische Kultur oder
       > Herbstvergnügen findet sich dort kaum. Muss man nicht hin.
       
   IMG Bild: Menschenmassen, Lärm, Volksmusik: Das Oktoberfest muss man wirklich nicht besuchen
       
       Einmal und nie wieder. Das war das Fazit, das ich aus meinem ersten und
       einzigen Oktoberfestbesuch vor ein paar Jahren zog. Jetzt steht das
       Riesenvolksfest gerade wieder vor der Tür; an diesem Samstag startet es auf
       der Theresienwiese. Chinesische Billig-Dirndl treffen auf betrunkene
       Lederhosen; überteuerte Hendl reihen sich an viel zu süßen Popkornduft. Und
       das Ziel, bayerische Kultur zu leben, Menschen kennenzulernen und einen
       fröhlichen Herbsttag zu verbringen, bleibt auf der Strecke.
       
       Sechs Millionen Besucher*innen werden erwartet. Menschenmassen also, dazu
       Alkoholmassen und horrende Preise. Muss man nicht hin. [1][Das Oktoberfest]
       ist wie eine Absturzparty für 16-Jährige. Man sucht sich seine
       Lieblings-Feiergruppe, macht sich schick, freut sich auf Spaß, Austausch,
       Ablenkung vom Alltag. Eigentlich vielversprechend. Nur, dass man hier
       selbst mit viel gutem Willen nichts davon wirklich bekommt – stattdessen
       Enge, Hitze, unangenehme Blicke. Und die „gute Laune“ bleibt vorgegaukelt.
       
       Ich muss zugeben, ich bin schon etwas skeptisch gewesen. Aber als Bayerin
       muss man mal dort gewesen sein, schließlich gehört das irgendwie dazu – und
       neugierig war ich schon auch. Mit Freund*innen links und rechts haben wir
       uns also aus unserer Kleinstadt in die Großstadt aufgemacht – zum
       Wochenendausflug aufs Oktoberfest. In der trachtenbekleideten Menge durch
       die Stadt zur Festtagswiese, die sich gar nicht verfehlen ließ. Doch schon
       als ich am Eingang stand, war ich völlig überfordert. Ich kannte den
       „Volksfestflair“ von unserem kleinen Stadt-Volksfest. Aber das war eine
       ganz andere Dimension.
       
       Eine riesige geteerte Fläche, grell leuchtende Stände, kreischende
       künstlich-fröhliche Musik. Nichts mit „Wiesn“, originellen Buden oder
       interessanten neuen Essensangeboten. Die gezwungene „Fröhlichkeit“
       erinnerte stark an Partys, die mehr ein gesellschaftliches Schaulaufen
       sind. Der Spaß ist – und bleibt – vorgespielt. Nichts von guter Laune und
       ausgelassener Samstagsstimmung, für die wir eigentlich da waren.
       
       ## Nichts mit fröhlicher Feststimmung
       
       Es war voll an diesem Nachmittag, die Stimmung war ungemütlich. Überall
       waren Menschen. Zu viele Menschen. Menschenmassen regelrecht. Menschen in
       traditionellen Trachten, Menschen in Sommeroutfit, Tourist*innen in
       seltsamen Kleidern, die wohl Dirndl oder Lederhosen darstellen oder
       imitieren sollten. Diese plastikanmutende Billigware tat in den Augen weh.
       Angeblich bayerische Souvenirs wurden überall feilgeboten. Schnell war
       klar: Das Oktoberfest ist auch – und vor allem – ein Millionengeschäft.
       Vielleicht macht das das Besondere aus: Man kann es sich nur einmal im Jahr
       leisten.
       
       Der Bierzelteingang, an dem wir vorbeikamen, war bereits geschlossen: voll.
       Einfach so konnten wir da nicht rein. Spannend hätte ich die „Oide Wiesn“
       gefunden, vielleicht hätte man da ein bisschen mehr von der Original-Idee
       des Oktoberfestes gesehen; aber gleiches Spiel. So „schlenderten“ wir über
       das Festgelände, von einer Duftwolke in die nächste, an Menschengruppen
       vorbei und hindurch. Sich nicht zu verlieren war ein eigener Sport hier,
       gekoppelt mit Hindernislauf. Auch das sehr absturzpartymäßig, bloß viel
       riesiger. Es stellte unseren Vorschub an Vorfreude schon sehr auf die
       Probe; und es blieb anstrengend.
       
       Und dann die Ungeduld überall. Nichts von „bayerischer Gemütlichkeit“,
       nicht einmal ausgelassener Feierlaune. An Hendl- und Lebkuchenherzständen
       standen lange Schlangen, unverschämt teure Preise rechtfertigten sich wohl
       mit der besonderen bayerischen Authentizität. Ganz schön heuchlerisch.
       Schokoerdbeeren und Zuckerwatte waren also nicht zu bekommen, eine Maß Bier
       kaum zu bezahlen. In diesem Jahr wird übrigens die „11-Euro-Marke“ geknackt
       – für einen Liter Bier.
       
       In einer der vielen kleineren „Hüttn“ stellten wir uns an einen Tisch und
       beobachteten neugierig die Leute. Es war brechend voll. Die Kneipe war wie
       eine Alpenfarm gestaltet, dicke Holzbalken, Terrasse mit geschnitztem
       Geländer, Bayernflaggen überall. Eigentlich ganz nett. Nur sehr künstlich
       „heimelig“, mit Neon-Beleuchtung und Plastikmöbeln. Dazu laute Musik und
       laute Menschen. Reden war so kaum möglich, man verstand sein eigenes Wort
       nicht. Neue Menschen kennenlernen ging also nicht. Was sehr schade war bei
       der bunten Menge an Menschen, die sich zusammenfand; Menschen aus aller
       Herren Länder, wie es schien.
       
       ## Ein unsicheres Gefühl in der Menschenmasse
       
       Ich fühlte mich unwohl in dieser Menge. Jede*r blieb in seiner Gruppe, auf
       der einen Seite die „gestandenen Bayer*innen“, auf der anderen die
       spanischen Tourist*innen. Und jeder wollte den besten Platz an der Bar, an
       der Terrasse, auf einer der wenigen Bänke. Ellbogen hier, zur Seite
       geschoben da. Klein wie ich war, kam es mir vor, als ob ich einfach
       untergehen könnte. Den „bunten Trubel“ und das „gemeinsame Feiern“ hatte
       ich mir anders vorgestellt.
       
       Vor den wenigen Toiletten standen wir dann bestimmt eine halbe Stunde an.
       Zwischen schwitzenden Betrunkenen und telefonierenden Tourist*innen, sehr
       unangenehm. Mir gefiel die Stimmung nicht. Irgendwie schienen anzügliche
       Blicke, ungeniertes Rumschreien und angetrunkenes Umrempeln akzeptiert zu
       sein. Man beschwert sich nicht, man weicht eben aus. Gegen manche
       gesellschaftlich eingefahrenen und allgemein tolerierten Strukturen
       [2][kommt man wohl nicht so einfach an].
       
       Wir sind dann mit einem der Fahrgeschäfte gefahren, die die Wege säumten;
       Nervenkitzel. In der Achterbahn ging es in die Höhe, einen Ausblick über
       das Festgelände ergattern. Wenn schon, dann muss man das ganze Erlebnis
       mitnehmen. Mir tat danach allerdings alles weh, wahrscheinlich war ich zu
       klein. Das hatte aber wohl keinen interessiert. Was an den Fahrgeschäften
       besonders sein sollte, erschloss sich mir auch nicht richtig.
       
       Der Weg zum Bahnhof wurde schließlich mehr zum Hürdenlauf: Tritt auf nichts
       Erbrochenes, umrunde halb aufgegessenen Lebkuchenherzen und
       Leberkassemmeln, halte Abstand von herumsitzenden Betrunkenen.
       Sanitäter*innen fanden sich überall, für nicht wenige schien der
       Festtagsausflug volltrunken im Krankenhaus zu enden. Auch sehr
       absturzpartymäßig – aber akzeptiert. Niemand vor Ort regte sich darüber
       wirklich auf. Überhaupt scheint auf dem Oktoberfest Ausnahmezustand zu
       herrschen. Für meine letzten lauen Herbsttage kann ich mir wirklich
       Schöneres vorstellen. Der Steg am Fluss ist gemütlicher.
       
       22 Sep 2018
       
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