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       # taz.de -- Umstrittenes Dorf im Westjordanland: Die Bulldozer vor der Tür
       
       > Bis Montag sollen 30 Familien im Westjordanland ihr Dorf niederreißen und
       > gehen. Gegner von Israels Politik fürchten einen Präzedenzfall.
       
   IMG Bild: Streit um den Abriss: Protestierende vor einem Bulldozer in Khan al-Ahmar
       
       Jerusalem taz | Aus israelischer Sicht geht es um Recht und Ordnung; das
       EU-Parlament sieht internationales Recht verletzt. Sicher ist: Die
       bevorstehende Vertreibung von dreißig Familien aus dem Beduinendorf Khan
       al-Ahmar im Westjordanland wird Widerstand hervorrufen. Mit Sandhaufen und
       Betonblöcken sperrte die israelische Armee die Region ab. Für den Abriss
       ist alles bereitet. Erste Verletzte und Verhaftungen hat es bei
       Protestaktionen bereits gegeben.
       
       Über zehn Jahre dauerte der Rechtsstreit um das Schicksal der Beduinen und
       die Zukunft einer Schule für Kinder aus der gesamten Region. Schließlich
       entschied Israels Oberster Gerichtshof in Jerusalem Anfang September gegen
       die Mitglieder des Dschahalin-Stammes. Bis Montag sollen die Bewohner nun
       „alle Gebäude, die in Khan al-Ahmar errichtet worden sind, eigenständig
       niederreißen“ und das Dorf verlassen. Dies forderte die israelische
       Regierung am Sonntag vergangener Woche.
       
       Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien appellierten an Israel,
       davon abzusehen, „das Dorf einschließlich seiner Schule abzureißen und
       seine Bewohner umzusiedeln“. Die Folgen für „die Gemeinde einschließlich
       ihrer Kinder sowie für die Zukunft der Zwei-Staaten-Lösung“ würden „sehr
       ernst“ sein.
       
       Der ungewohnt laute Protest der Europäer stützt sich auf die Sorge, dass
       mit dem Abriss von Khan al-Ahmar ein Präzedenzfall geschaffen wird. Das
       Dorf könnte das erste von zwölf bedrohten Gemeinden in der Region sein.
       Auch die Vereinten Nationen kritisierten die Pläne und sprachen sich vor
       allem gegen den Abriss der Schule aus.
       
       Khan al-Ahmar liegt unmittelbar an der Hauptverbindungsstraße zwischen
       Jerusalem und dem südlichen Westjordanland. Sollten die Palästinenser aus
       dem Dorf vertrieben werden, um Platz für israelische Siedlungen zu machen,
       wäre der Süden des Wetstjordanlands komplett vom palästinensischen Ostteil
       Jerusalems abgeschnitten.
       
       Israel hat den Beduinen ein Ausweichquartier in der an OstJerusalem
       angrenzenden Kleinstadt Abu Dis angeboten. Jede Familie soll 260
       Quadratmeter Land bekommen, allerdings liegen die Grundstücke unmittelbar
       neben einer Müllkippe. Die überwiegend von ihren Tieren lebenden Familien
       hätten in Abu Dis zudem keine Möglichkeit, ihre Schafe, Ziegen und Kamele
       unterzubringen.
       
       Die EU bezieht sich in ihrer Kritik auf die vierte Genfer Konvention, die
       „zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlungen“ verbietet. Israels
       Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei Jüdisches Heim,
       warf den Europäern vor, sich „die Beduinen zu politischen Geiseln zu
       machen“. Ziel des Protestes sei kein anderer, „als Israel mit dem Finger
       ins Auge zu piksen“.
       
       Für die Älteren des Dschahalin-Stammes wäre der Umzug nach Abu Dis die
       zweite Zwangsumsiedlung. Die Beduinen wurden in den fünfziger Jahren aus
       der Negev-Wüste vertrieben und zogen ins damals noch von Jordanien besetzte
       Westjordanland.
       
       Israels Oberstes Gericht genehmigte den Abriss von Khan al-Ahmar mit dem
       Argument, dass die zumeist provisorisch errichteten Unterkünfte für Mensch
       und Tier wie die aus alten Autoreifen und Lehm errichtete Schule ohne
       Genehmigung gebaut worden seien. Dies ist zutreffend, allerdings erteilen
       die israelischen Behörden in den komplett unter Besatzung stehenden
       C-Gebieten des Westjordanlands nur in Ausnahmefällen eine Baugenehmigung.
       Für Khan al-Ahmar hat es einen Masterplan zur infrastrukturellen
       Entwicklung nie gegeben.
       
       Während die nach israelischem Recht illegalen palästinensischen Dörfer vom
       Abriss bedroht sind, ermöglicht ein im Februar vergangenen Jahres vom
       Parlament verabschiedetes Gesetz die nachträgliche Legalisierung illegal
       errichteter israelischer Siedlungen im Westjordanland. Sogar Häuser, die
       auf einem palästinensischen Privatgrundstück und ohne Genehmigung errichtet
       wurden, können im Nachhinein für rechtmäßig erklärt werden. Einzige
       Voraussetzung dafür ist, dass die Siedler „unwissentlich“ gehandelt hätten
       und davon ausgegangen seien, dass es sich bei dem Grundstück um staatlich
       kontrolliertes Land handele, auf das niemand Ansprüche stellt.
       
       30 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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