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       # taz.de -- Freie Wähler bei der Wahl in Bayern: Den Biber erschießt er noch selbst
       
       > Hubert Aiwanger könnte bald Vize-Ministerpräsident werden. Dabei kümmert
       > sich der Freie Wähler immer nur um Kleinigkeiten.
       
   IMG Bild: Kein Thema ist Hubert Aiwanger zu klein
       
       Truchtlaching/Rosenheim taz | „Die Preußen“, so weiß der Bayer aus dem
       beliebten Theaterstück über den Brandner-Kaspar, „sprechen ihren ganzen
       Denkvorgang mit. Der Bayer gibt ’s Ergebnis nur bekannt.“ So gesehen müsste
       ausgerechnet der Mann, den die FAZ jüngst als den „bayerischsten Bayern“
       tituliert hat, der Paradepreuße sein. „Ich bin eben ein Denksprecher oder
       Sprechdenker, wie auch immer man das nennt“, sagt Hubert Aiwanger, der
       bekannteste Oppositionspolitiker im Freistaat und vielleicht schon bald
       stellvertretender Ministerpräsident.
       
       In der Tat sind die Reden des Freie-Wähler-Chefs berühmt. Manuskripte kennt
       der Mann nicht, er redet immer frei. „Ich denke eben während meiner Rede
       mit und schaue, wo ist der logische weitere Schritt. Man beginnt mit dem
       Kern des Themas und baut dann immer mehr Zwiebelschalen drum herum.“ Ihn
       einen brillanten Rhetoriker zu nennen wäre eine Übertreibung, aber es macht
       mitunter Spaß, dem Denksprecher von Zwiebelschale zur Zwiebelschale zu
       folgen. Zwischen den Schalen findet sich dann immer wieder die eine oder
       andere unterhaltsame Pointe.
       
       Und doch ist es genau dieser Mensch, der im Bierland Bayern zu allem
       Überfluss auch noch nie einen Tropfen Alkohol angerührt hat, von dem die
       Leute sagen: „Der spricht unsere Sprache.“ Und das liegt nicht nur daran,
       dass Aiwanger Bairisch spricht – als einziger von allen Spitzenkandidaten,
       die wohl in den Landtag einziehen dürften.
       
       Thomas Reitmeier zum Beispiel ist so einer, dessen Sprache Aiwanger
       spricht. Reitmeier hat einen Bauernhof im oberbayerischen Truchtlaching,
       direkt an der Alz, der Chiemsee ist nicht weit. 13 Hektar Wald
       bewirtschaftet der Bauer, das Grundstück reicht bis an den Fluss. Reitmeier
       hat Aiwanger eingeladen. Denn die Alz-Anrainer haben ein putziges Problem:
       den Biber. Der Nager, der in Bayern einst fast ausgestorben war, richtet
       mittlerweile große Schäden an.
       
       Nun also steht Aiwanger im Wald. Um ihn herum: rund zwei Dutzend Menschen –
       Bauern, Jäger, die örtliche Landtagskandidatin der Freien Wähler, auch zwei
       Vertreterinnen des Bund Naturschutzes. Sie wüssten jetzt gern, wie der Mann
       aus dem Landtag es mit dem Biber hält. Die Rinde mancher Bäume ist hier,
       direkt am Ufer, meterhoch abgenagt. Aiwanger begutachtet eine Fichte. „So
       ein Baum ist eigentlich erledigt“, sagt er. Er stellt fachkundige Fragen,
       will wissen, wie das Verbissgutachten ausgefallen ist. Dann sagt er: „Der
       Biberbestand muss ausgedünnt werden. Es darf nicht sein, dass alle 50 Meter
       eine Biberburg steht.“ Das Schlüsselwort heißt: „Entnahme“. Es bedeutet:
       Abschuss.
       
       ## Zu klein? Kann ein Thema nicht sein
       
       Hubert Aiwanger ist Bundesvorsitzender, Landesvorsitzender und
       Fraktionschef der Freien Wähler im Bayerischen Landtag. Er ist der Freie
       Wähler. Und er kann sich derzeit berechtigte Hoffnungen machen, nach der
       Landtagswahl am 14. Oktober in die Regierung zu wechseln. Vorausgesetzt, es
       reicht für eine Koalition mit der CSU, notfalls vielleicht auch im
       Dreierbund mit der FDP. Zuletzt standen die Freien Wähler bei rund 10
       Prozent, und Aiwanger sieht noch Luft nach oben. Deshalb zieht er von
       Wahlkampftermin zu Wahlkampftermin, von Bierzelt zu Biberburg. „Jede Stimme
       zählt“, sagt er.
       
       In Truchtlaching sind die Freien Wähler traditionell stark. 24 Jahre lang
       haben sie hier den Bürgermeister gestellt. So hat Aiwanger schon mal keine
       schlechten Karten. Dazu kommt: Er ist selbst Bauer – und passionierter
       Jäger. Er versteht die Probleme der Leute hier. Endgültig ist das Eis
       gebrochen, als der Politiker bekennt: „Ich habe auch selber schon einige
       Biber in die ewigen Jagdgründe befördert.“ Wer Biber erlegt, kann
       schließlich kein schlechter Mensch sein.
       
       Die Bauern in Truchtlaching sind zufrieden. „Das hat mich sehr
       zuversichtlich gestimmt“, wird Reitmeier hinterher sagen. Aiwanger werde
       ihr Anliegen nun mit nach München nehmen. Während die Truchtlachinger noch
       bei der Brotzeit sitzen, muss sich der Politiker verabschieden. „Servus,
       Herrschaften, Waidmannsheil!“ Der nächste Wahlkampftermin ruft. Rosenheim.
       Eine Rede in der Fußgängerzone.
       
       Die Freien Wähler, das sind die, die sich nach ihrem Selbstverständnis um
       die Probleme der sogenannten kleinen Leute kümmern. „Wir sind die
       Organisation des Bürgerwillens“, sagt Aiwanger. Da geht es dann um die
       Haftpflichtversicherungen der Hebammen, den Erhalt kleiner Bauernhöfe, die
       Dokumentationspflicht des Hausarztes, die Schließung von
       Geburtshilfestationen oder um die Finanzprüfungen bei Gastwirten. Selbst
       die Qualität von Polizeiuniformen beschäftigt sie. Zu klein? Kann ein Thema
       nicht sein.
       
       ## Aufgewachsen auf einem Bauernhof
       
       „Wir haben die Liebe zum Detail“, gibt Aiwanger zu. „Auch wenn das nicht
       für die große Links-rechts-Debatte und die Talkshows taugt.“ Von den
       anderen Parteien werden die Freien Wähler deshalb gern belächelt, sie
       vermissen eine klare Haltung, werfen Aiwanger auch immer wieder Populismus
       und Freibiermentalität vor. „Wer nicht weiß, wofür er steht“, schimpft
       CSU-Generalsekretär Markus Blume, „der wird politisch auch nicht
       gebraucht.“ Dabei kennt die Regierungspartei sehr wohl das Gefühl, von der
       Opposition vor sich hergetrieben zu werden. Die Freien Wähler hätten so das
       achtjährige Gymnasium, die Studiengebühren und die Straßenausbaubeiträge
       abgeschafft, rühmt sich Aiwanger gern.
       
       „Wir sind nicht revolutionär, sondern evolutionär“, sagt er. Er selbst also
       der Evoluzzer. Schnittmengen gibt es mit allen. So klingt Aiwanger für
       bayerische Verhältnisse geradezu linksradikal, wenn er fordert: „Wir müssen
       verhindern, dass das Großkapital das Kommando übernimmt.“ Auch bei der
       Ablehnung von Freihandelsabkommen und der dritten Startbahn am Münchner
       Flughafen oder der Forderung nach einer Gratis-Kita ist er Grünen und SPD
       näher als der CSU. Einen neuen Nationalpark für den Freistaat lehnt er
       dagegen noch vehementer ab als Markus Söder, und, klar, wenn ein Flüchtling
       straffällig wird, müsse man ihn auch nach Afghanistan abschieben können.
       
       Aiwanger hat nichts Gönnerhaftes, spielt nicht den Volkstribun. Während es
       anbiedernd wirkt, wenn Söder mal wieder in Anlehnung an einen Slogan des
       Bayerischen Rundfunks erklärt, „Ich bin der Markus, und da bin i dahaam“,
       nimmt man dem Aiwanger den Hubert ab.
       
       Aiwanger ist 47, aufgewachsen auf einem Bauernhof im Landkreis Landshut,
       den er auch heute noch gemeinsam mit den Eltern bewirtschaftet. Sein
       politisches Weck-Erlebnis, wie er es nennt, war Tschernobyl. In die aktive
       Politik ist er aber erst mit 30 eingestiegen, dafür ging es dann Schlag auf
       Schlag: zunächst kommunale Ämter, 2003 die Organisation des
       Landtagswahlkampfs, 2006 der Landesvorsitz.
       
       Liiert, aber nicht verheiratet ist Aiwanger mit einer Parteifreundin. Tanja
       Schweiger war dabei, als die Freien Wähler 2008 erstmals erfolgreich in den
       Landtag einzogen, seit 2014 ist sie Landrätin im Landkreis Regensburg. Die
       beiden haben zwei kleine Söhne.
       
       ## Aiwanger will mit der CSU regieren
       
       „Jetzt muss ich schauen, ob unsere Leute richtig plakatiert haben“, sagt
       Aiwanger, während er durch Bad Endorf fährt. Es ist 14.07 Uhr, seit sieben
       Minuten sollte er in Rosenheim reden, bis dorthin sind es noch 17
       Kilometer, doch der Politiker lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
       
       Draußen auf einer Weide stehen Lamas und trotzen der sonst allzu
       bayerischen Bilderbuchlandschaft. Einer Landschaft, von der manch einer
       noch immer nicht glauben mag, dass sie nicht das Werk der CSU ist.
       
       Anders als vor fünf Jahren ist Aiwanger in diese Wahl mit einer ganz klaren
       Koalitionsaussage gegangen: Die Freien Wähler wollen regieren. Und zwar an
       der Seite der CSU. Er biedere sich an, schimpfen die übrige Opposition und
       die CSU unisono. Sollen sie doch, findet Aiwanger, nach der Wahl würden sie
       schon sehen, dass ohne die Freien Wähler nichts geht. Der Weg nach
       Rosenheim ist nicht lang genug, als dass Aiwanger all das aufzählte, was
       ihn an der CSU stört, an dieser „großkonzern- und lobbygesteuerten Partei“,
       an Söders „hirnrissigen Ideen“ und „Größenwahn“.
       
       Die beiden geben sich allerdings nicht viel. In seiner ersten
       Regierungserklärung etwa kündigte Söder an, Dialekt an den Schulen
       unterrichten zu lassen, denn: „Dialekt macht schlau.“ Mit Blick auf
       Aiwanger ergänzte er: Es gebe auch Ausnahmen. Aiwanger nimmt so etwas
       gelassen. Spott – gerade wegen seines niederbairischen Dialekts – ist er
       gewohnt. „Wenn Söder die Mehrheit verliert, kann ich mir trotzdem gut
       vorstellen, dass man mit ihm auch zusammenarbeiten kann.“ Er müsse ja nicht
       gleich mit ihm in Urlaub fahren. „Wobei ich auch das mal als
       Lebenserfahrung mitmachen würde.“
       
       Es ist 14.34 Uhr, als Aiwanger schließlich in Rosenheim ankommt. Auf dem
       Weg durch die Fußgängerzone erkennen ihn manche, grüßen. Der Politiker
       grüßt zurück, winkt. Er geht auf zwei ältere Herren zu, die sich nicht
       rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben. „So, Grüß Gott“, sagt er und gibt
       ihnen die Hand. „Kommt mit!“ Sie wehren ab: „Wir sind nur das einfache
       Volk“, sagen sie. „Wir auch“, ruft Aiwanger und eilt weiter.
       
       9 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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